von Thies Gleiss
Auf dem Bundesparteitag der LINKEN konnte die Antikapitalistische Linke (AKL) hie und da punkte, doch das Kräfteverhältnis insgesamt in der Partei hat sich dadurch nicht verschoben.
Der Bundesparteitag der LINKEN Ende Mai in Magdeburg hat eine neue Parteiführung gewählt: Die Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden, Schatzmeister und Geschäftsführer – also die engere geschäftsführende Parteileitung – wurden allesamt in ihren Ämtern bestätigt. Auch dieser Wahlakt zeigte, dass die LINKE gerade versucht, eine eigenständige radikale Position zu finden, die sich freimacht von den unseligen Bemühungen, sich allein durch Regierungsspielen zu profilieren und von den politischen Aktionen anderer Parteien abhängig zu machen – mit diesem Versuch liegt sie sehr richtig.
Die beiden Vorsitzenden hatten diesen Kurs im Vorfeld des Parteitags angeregt und stießen mit ihrem Aufruf für eine «Revolution für soziale Gerechtigkeit» auf ein erstaunlich großes Echo. Dass die Mainstreampresse («Die LINKE muss sich entscheiden») mit diesem Kurs ebenso wenig einverstanden ist wie die unermüdlichen Kasper in den eigenen Reihen, die für eine SPD-Grünen-LINKE-Regierung die Trommeln rühren, verwundert nicht, sollte aber als Bestätigung der Richtigkeit des Kurses angesehen werden.
Bei der Wahl zum erweiterten Vorstand aus 36 ehrenamtlichen Mitgliedern blieb das innerparteiliche Kräfteverhältnis zwischen den auf Mitgestaltung, irreale Reformpolitik und Regierungsbeteiligung erpichten Strömungen einerseits und der Parteilinken andererseits ungefähr gleich. Allerdings haben sich die inneren Gewichtungen bei beiden Flügeln etwas verändert. Die ganz harten Burschen des lammfrommen und auf «Rot-Rot-Grün» fixierten «Forum Demokratischer Sozialismus» wurden nicht in den Vorstand gewählt. Dafür konnte sich innerhalb des linken, bewegungsorientierten Flügels die AKL besser positionieren. Mit Lucy Redler und dem Autor dieser Zeilen sind die beiden bekanntesten Bundessprecher der AKL in den Vorstand gewählt worden.
Kritischer Zustand
Der Zustand der LINKEN ist kritisch. Nur noch 59000 Mitglieder, 60% davon im Osten, 40% im Westen, sind bei ihr organisiert. Der Anteil der Frauen beträgt gute 37%, in den Westverbänden liegt er aber kaum über 25%. 10000 Mitglieder sind unter 35 Jahre alt. Fast die gesamte Aktivität der Partei konzentriert sich auf die parlamentarische Arbeit, ihre Mobilisierungs- und Organisationsfähigkeit außerhalb der Parlamente ist weiterhin schwach.
Auch dieser Parteitag war fest im Griff der Parteischicht, die in Parlamenten als Mandatsträger oder Mitarbeiter oder Parteiangestellte hauptamtlich Politik betreibt. Nicht einmal die Hälfte der Delegierten ist gewerkschaftlich organisiert. Leider gibt es außerhalb der AKL so gut wie kein Problembewusstsein bei der Linken in der LINKEN für diese strukturellen Probleme.
Aber die LINKE ist, wenn man es so nennen mag, ein Glückskind der Geschichte. Fast die gesamte Zeit ihrer Existenz hat die politische Entwicklung in Deutschland, Europa und der Welt ihr keine Chance gelassen, sich so rechts und reformorientiert einzunisten, wie es die Parteirechte benötigt, um auf Parteitagen zu dominieren.
Der Kapitalismus will partout keinen Raum für sozialdemokratische Reformpolitik und Regierungsspiele mit der SPD eröffnen. Die tiefe Weltwirtschaftskrise nach 2007, aus der es bis heute kein Entrinnen gibt; die existenzielle Krise des Hauptprojekts des deutschen Kapitals, die EU und die Einheitswährung Euro; die furchtbaren Ergebnisse der Kriege zur Weltneuordnung und der Militarisierung der Politik; die Unfähigkeit aller bürgerlichen Regierungen, die Umwelt- und Klimakrise in den Griff zu bekommen, und nicht zuletzt die aktuelle Herausforderung durch Millionen von Menschen, die in das reiche Europa flüchten wollen und der damit verbundene Aufschwung rechter Parteien – all das hat die Notwendigkeit authentisch linker Antworten und damit immer wieder Unterstützung für den linken Parteiflügel hervorgebracht.
Auch die praktische Unterstützung aller Arten von gesellschaftlichen Oppositionsaktivitäten – von der klassischen Friedensbewegung über betriebliche Kämpfe bis hin zu Blockupy und «EndeGelände» – der sich die LINKE stellen musste und der sie ohne Abstriche auch nachkam, haben die linken Positionen in der LINKEN gestärkt.
Der Obervortänzer des surrealen Reform- und Regierungskurses in der Partei, Gregor Gysi, hatte noch unmittelbar vor dem Parteitag mit einer Interview- und Talkshowoffensive versucht, der Parteidebatte den Quark eines gemeinsamen Kanzlerkandidaten von SPD, Grüne und LINKE, die Option eines Regierungsbündnisses sogar mit der CDU und ähnlichen Schabernack aufzuzwingen, aber auf dem Parteitag, zu dem er dann gar nicht mehr erschien, wurde das buchstäblich weggelacht. Seine These von der «saft- und kraftlosen LINKEN» wurde in diversen Reden zum Running Gag degradiert.
Welches Profil?
Die Linke in der LINKEN sollte sich nicht nur auf diese Außeneffekte, auf den weiteren Druck, die Kapitalismuskritik zu vertiefen und in praktische Politik umzusetzen, verlassen. Das Jahr 2017 wird wieder ein Jahr von vielen Parlamentswahlen werden, vor allem der Bundestagswahl.
Die parteiinternen Schlachten um Parlamentsposten stehen wieder bevor, und leider spricht auch wieder viel dafür, dass einer der zigfach gescheiterten Wahlkämpfe «um die Mitte», um die aufgeklärte Wählerin und den aufgeklärten Wähler, neu aufgelegt wird, mit viel Buntes-Papier-Konkurrenz zu den anderen Parteien und keiner Spur authentischer, bewegungsorientiert Politik «in der ersten Person».
Dabei sollten gerade die Erfahrungen der letzten Wahlen – die Kommunalwahlen in Hessen, wo die LINKE teilweise sehr gute Ergebnisse erzielte, und die schlimmen Ergebnisse bei den drei Landtagswahlen einschließlich des Wahlerfolgs der AfD – zeigen, dass auch bei Wahlen nur eine eigenständige linke Partei angenommen und gewählt wird, die den Menschen in realen Kämpfen und Bewegungen, und im realen Leben in den Betrieben und Stadtteilen beisteht. Parteien, die andere nur kopieren oder «korrigieren» wollen, werden nicht einmal kurzfristig benötigt.
Es ist keine gewagte Spekulation, dass auch die nächsten Wahlen von Themen beherrscht werden, die weder landes- noch bundespolitische Exklusivität haben werden: Es wird auch dort um die internationale Politik mit ihren furchtbaren Auswirkungen in den betroffenen Ländern und in der Flüchtlingsbewegung gehen, und es wird um die Todeskrise der EU gehen.
Die LINKE ist gefordert, heute die Konturen eines neuen linken, sozialistischen Internationalismus aufzuzeigen. Der wird einerseits in einer umfassenden politischen, die Flüchtlinge auch als handelnde politische Subjekte ernstnehmenden, Solidarität mit den Menschen bestehen, die versuchen nach Europa zu kommen, und andererseits in einer Politik gegen die EU, gegen die Troika und für den Aufbau eines alternativen Europas von unten.
Eine solche ebenso menschenfreundliche wie systemkritische Politik wird auch den Aufschwung der rechten, nationalistischen Gruppen und Parteien zurückdrängen und der Politik der allgemeinen Hoffnungslosigkeit, die durch Europa wabert, eine echte Alternative und Perspektive neuer Hoffnung geben können.
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