von Angela Klein
«Warum heute ein Buch über Sklaverei in England, den USA und Frankreich, den drei Zentren der bürgerlichen Revolution? Haben nicht England (1838), Frankreich (1848) und die USA (1865) ihre Sklaverei und ihren Sklavenhandel (1807–1808) schon vor langer Zeit abgeschafft, weil sie den Werten der universalen Menschenrechte gefolgt sind? Gehört das Thema also nicht der Vergangenheit an? Sollten sich wirklich die bedeutendsten Sklavenhalternationen der sogenannten Moderne mit einem Federstrich aus Vertretern der Barbarei in Vertreter der Humanität verwandelt haben? So hätte man es gern.»
So fragt der Autor Rainer Roth, Professor für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Frankfurt am Main und seit Jahren aktiv im Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne und für die Interessen der Lohnabhängigen in seinem neuen Buch. Roth hat sich in den vergangenen Jahren vielfach mit sehr kenntnis- und materialreichen Veröffentlichungen zu Themen um die Lage von Erwerbslosen, zu den Auswirkungen von Hartz IV, das «Leben mit Sozialhilfe», Arbeitslosigkeit und Existenzminimum in Deutschland und einer Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens hervorgetan. Die am Rande der Gesellschaft kennt er genau, aus Theorie und Praxis.
Nun also die Sklaven, die alten und die modernen, die Sklaverei in der Lohnarbeit und als Gegensatz zur Lohnarbeit. Und das bürgerliche Konzept der Menschenrechte, das die Sklaverei nicht ausschloss, im Gegenteil: Die Väter der Menschenrechte (Locke, Rousseau, Jefferson) und die französischen Aufklärer rechtfertigten sämtlich die Sklaverei und waren teilweis aktiv in der Sklavenwirtschaft verwurzelt.
Roth möchte nachweisen, dass «die Sklaverei nicht in prinzipiellem Gegensatz zur Lohnarbeit steht, sondern in modernen Formen weiterlebte», u.a. in der Form der Schuldsklaverei – eine Betrachtung, die angesichts der von den Finanzmärkten induzierten Verschuldung ganzer Staaten und der damit verbundenen Verelendung der Bevölkerung seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, insbesondere seit der sog. Griechenlandkrise, hohe Aktualität besitzt. Die Lohnsklaverei bezeichnet Roth als «indirekte Sklaverei», die insbesondere von der rohstoffextrahierenden Industrie in Bergwerken und Landwirtschaft praktiziert wird.
Roth entlarvt die These, der Industriekapitalismus habe die Sklaverei abgeschafft und sei ihr prinzipieller Gegner, als Mythos und weist das an Beispielen aus England, Frankreich und den USA nach. Die herrschende Meinung streitet ja ab, «dass die proklamierten Menschenrechte von Anfang an nur Rechte einer bürgerlichen Minderheit waren, mit denen sie ihre Interessen gegenüber der feudalen Aristokratie geltend machte. Sie fälscht die Menschenrechte zu Menschenrechten für alle Menschen um … und angeblich für alle geltende Menschenrechte zur Grundlage der wirtschaftlichen Verhältnisse.»
Im Jahr 2001 wurden Sklaverei und Sklavenhandel auf der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban auch von ehemaligen Sklavenhalterstaaten erstmals zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärt. «Die ehemaligen bürgerlichen Sklavenhalterstaaten halten trotzdem daran fest, dass nur die verbrecherischen Sklavenhalter ein Menschenrecht hatten, für den Verlust ihres Sklaveneigentums entschädigt zu werden, nicht aber die damaligen Sklaven für das an ihnen verübte Verbrechen und ihre heutigen Nachkommen.» Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wiesen gar jeden Gedanken auch nur an eine Entschuldigung weit von sich, wie Jean Ziegler, damals Mitglied im Beratenden Ausschuss des Menschenrechtsrats der UN, schrieb. Statt dessen verweist man in Europa gern darauf, dass die Sklaverei schließlich von den Arabern erfunden worden sei.
Dass die kapitalistische Gesellschaft die Menschenrechte nicht nur nicht verwirklicht, sondern grundsätzlich dazu im Widerspruch steht, macht Roth vor allem daran fest, dass sie unfähig ist, wesentliche Forderungen aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu realisieren, allen voran das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung und das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl für den Einzelnen und seine Familie gewährleistet, «einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung … und im Alter» (aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte).
Roth fordert eine Ausweitung der Menschenrechte, vor allem der sozialen Menschenrechte. Dem steht allerdings vor allem eins im Weg: das kapitalistische Eigentum und die Lohnsklaverei. «Ökonomische Abhängigkeit kann nicht die Basis von Freiheit sein und auch nicht die Basis des Selbstbestimmungsrechts der Völker.» Die bürgerlichen Revolutionen sind in ihrem emanzipatorischen Programm auf der halben Wegstrecke stehen geblieben. «Die Beschränktheit der bürgerlichen Revolution verlangt ihrerseits selbst wieder nach einer revolutionären Auflösung.»
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