dokumentiert*
Dank starker Mobilisierung durch eine breite Koalition von Bürgergruppen einschließlich Gewerkschaften ist es gelungen, die erneute EU-Zulassung von Glyphosat – weltweit das am meisten eingesetzte Herbizid und Wirkstoff in Monsantos Roundup – vorerst zu blockieren. Die Europäische Kommission und die nationalen Regierungen lavieren zwischen dem Druck der in der Glyphosattaskforce organisierten Agrochemielobby und dem nicht nachlassenden Aufbegehren der Bevölkerung.
Trotz eines im letzten Jahr veröffentlichten Berichts der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO, die zu dem Ergebnis gekommen war, dass Glyphosat für Menschen wahrscheinlich krebserregend ist (und damit nach den EU-Pestizidvorschriften illegal), gab die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im November 2015 eine positive Empfehlung für die Wiederzulassung von Glyphosat ab und schlug sogar eine Erhöhung der zulässigen Expositionsgrenzwerte vor.
Normalerweise würde die Wiederzulassung damit routinemäßig erfolgen, durch den massiven Widerstand entwickelte sich der Einsatz von Glyphosat aber zu einem brisanten politischen Thema. Am 13.April verabschiedete das Europäische Parlament mit überwältigender Mehrheit eine Entschließung, in der erklärt wurde, dass die Kommission das Vorsorgeprinzip nicht befolge und nichts getan habe, um ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu gewährleisten. Die Entschließung empfahl nur eine begrenzte Wiederzulassung mit bedeutenden Einschränkungen. Die Kommission ignorierte die Entschließung, doch der Fachausschuss, über den die Zulassung läuft und in dem eine «qualifizierte Mehrheit» (entsprechend 65% der Bevölkerung der EU) erforderlich ist, wurde ihr die notwenige Unterstützung dreimal versagt. Bei der jüngsten Abstimmung enthielten sich Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal und Luxemburg. Jetzt wird ein Beschwerdeausschuss eingeschaltet, der am 24.Juni zusammentritt. Kommt auch dort keine Mehrheit für eine Genehmigung zustande, kann die Kommission die Zulassung immer noch einseitig genehmigen.
Der Präsident der Kommission, Jean-Claude Juncker, hat vorgeschlagen, den einzelnen Mitgliedstaaten die Entscheidung zu überlassen, ob sie den Einsatz von Glyphosat verbieten oder einschränken wollen, wohl wissend, dass sie sich damit Klagen der Industrie einhandeln können. Deutschland, Frankreich und Italien haben Juncker dem Vernehmen nach gedrängt, die Wiederzulassung zu genehmigen, bei der Abstimmung im Beschwerdeausschuss wollen sie sich jedoch enthalten und damit die Verantwortung für eine unpopuläre Entscheidung der Kommission aufbürden.
Glyphosat wird jetzt von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) unter die Lupe genommen, die engere Verfahren als die EFSA anwendet. Die ECHA-Überprüfung kann einen Beschluss zur Folge haben, den gewerblichen Einsatz von Glyphosat ungeachtet des Ausgangs der derzeitigen Auseinandersetzung zu verbieten oder die Grundlage für eine erneute Zulassung zu schaffen.
In einem Schreiben an Juncker und den für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständigen EU-Kommissar Vytenis Andriukaitis schloss sich die Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und Genussmittelarbeiter-Gewerkschaften (IUL) der Forderung von 30 Umwelt-, Gesundheits-, medizinischen und Verbraucherorganisationen an, die Zulassung von Glyphosat nicht über den 30.Juni, an dem die gegenwärtige Zulassung abläuft, hinaus zu verlängern. Die IUL wird darauf hinwirken sicherzustellen, dass der fortgesetzte Einsatz von Glyphosat weder von dem Beschwerdeausschuss noch aufgrund einer ECHA-Überprüfung genehmigt wird. Und wir werden uns weiterhin für die Verringerung und Beseitigung von giftigen Chemikalien in der Lebensmittelherstellung einsetzen, die an vorderster Front landwirtschaftliche Arbeitskräfte einer umfassenderen Kontaminierung aussetzen, die eine Bedrohung für die Umwelt und die menschliche Gesundheit darstellt.
* Quelle: www.iuf.org/w/?q=de/node/5026; Stand: 14.Juni 2106.
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