von Manuel Garí
Der Zyklus der spanischen Wahlen, der im Gefolge der Bewegung 15M den Aufschwung einer neuen antineoliberalen, politischen Kraft mit Massenbasis ermöglichte, ist an ein Ende gelangt. Offen sind nur noch die Wahlen zum galizischen und baskischen Regionalparlament.
Im Vergleich zu den Parlamentswahlen im Dezember, die wegen einem Kräftepatt nun wiederholt werden mussten, ist die Wahlbeteiligung von damals 73,2% auf 69,8% gesunken. Die konservative Volkspartei (PP) erreichte 33,3% (7,9 Millionen) und 137 Sitze; das ist eine Zunahme von rd. 700000 Stimmen und 14 Sitzen – vor allem auf Kosten der Ciudadanos (der sie fast 377000 Stimmen abnahm) und der sozialdemokratischen PSOE (über 100000 Stimmen). Allerdings erreichte die PP damit immer noch nicht die absolute Mehrheit. Trotz der Korruptionsfälle und der Sparpolitik behauptet sich in der spanischen Gesellschaft ein starker rechter Sektor, der der PP die Treue hält.
Bedeutet das einen gesellschaftlichen Rechtsruck? Ich glaube nicht. Es bestätigt sich hier nur ein Teil der Gesellschaft, der seine Ungewissheiten und Ängste in einen konservativen Code umsetzt und kaum demokratisches Bewusstsein aufweist. Der Grund dafür ist, dass es uns nicht gelungen ist, einen Bruch mit dem Regime von 1978 einzuleiten, und es keine nachhaltige soziale Mobilisierung gegen die Kürzungspolitik in den Bereichen Gesundheit, Bildung usw. gegeben hat. Die soziale Bewegung war die große Abwesende. Ihre bewusstesten Teile haben sich Illusionen gemacht über die Möglichkeiten, mittels Wahlen die Blockadesituation zu lösen. Leider ist eine neue Regierung der PP in Form einer mehr oder weniger verdeckten großen Koalition «nach spanischer Art» möglich.
Die PSOE erreichte 85 Abgeordnete, fünf weniger als im Dezember, und 22,8% der Stimmen. Ihr Maximalziel bei dieser Wahl – nicht von Unidos Podemos überholt zu werden, weder an Stimmen noch an Sitzen – hat sie für den Augenblick erreicht. Aber die interne Krise der Partei, die seit Mitte der 70er Jahre ein Rückgrat der spanischen Politik ist, ist tief: Weder hat sie ein Projekt, noch ist es ihr gelungen, ihre Wählerbasis mit Zulauf aus den jungen städtischen Sektoren zu erneuern. Es ist ihr allerdings gelungen, im Wahlkampf die alten sozialen Verbindungen zu aktivieren, die sie mit breiten Schichten der Lohnabhängigen unterhält. Die PSOE wird sich intern zerlegen, wenn ihre Führung der PP erlaubt zu regieren. Alle Kräfte der Finanzwelt und auch die alte Garde der Partei unterstützen in diesen Zeiten des Brexit Bestrebungen, die Regierungsfähigkeit abzusichern, um neue Haushaltskürzungen, die Abwicklung der erheblichen Schulden und die Senkung des Primärdefizits auf das von der EU geforderte Niveau durchsetzen zu können. Die PSOE durchläuft keinen Prozess der Pasokisierung, aber sie ist in Existenznöten.
Was Unidos Podemos betrifft, so lagen alle Meinungsumfragen daneben, sie sagten voraus, das Wahlbündnis werde auf dem zweiten Platz hinter der PP, aber vor der PSOE landen. Das hat sie aber nur im Baskenland und in Katalonien erreicht. Die Verbindung von Izquierda Unida (IU – Vereinigte Linke) und Podemos zum Bündnis Unidos Podemos hatte nicht den erwarteten Effekt. Das Bündnis war und ist eine strategische Notwendigkeit für den Aufbau einer Volkseinheit, doch bei seinem ersten Wahlauftritt hat es nicht mehr Parlamentssitze erreicht, als die beiden Parteien davor getrennt hatten (nämlich 71), sein Stimmenanteil ist allerdings von 24,3% im Dezember 2015 auf jetzt 21,6% zurückgegangen (in absoluten Zahlen: von 6,1 auf 5,05 Mio. Stimmen). Möglicherweise hat ihr die Stimmenenthaltung am meisten geschadet.
Das ist ein exzellentes Resultat, wenn man bedenkt, dass zum erstenmal in der Geschichte des Landes seit 1977 eine antineoliberale Kraft mehr als ein Fünftel der Stimmen erhalten hat und bei den Wählern unter 30 Jahren stärkste Partei ist. Es ist aber auch ein enttäuschendes Resultat, denn es wurde die falsche Erwartung geweckt, die PSOE übertreffen zu können. In den Köpfen vieler Leute wurde aus einer korrekten Parole («Wir wollen die PP aus der Regierung jagen»; «Wir streben nach der Regierung») eine fast sichere Prognose.
In Podemos, in der IU und auch bei den Anticapitalistas ist nun Nachdenken angezeigt. Hier sei nur angedeutet, in welche Richtung die Debatte gehen sollte:
- Ohne größere Massenmobilisierungen sind die Wahlerfolge kurzlebig.
- Es gibt keine linearen Fortschritte; die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen zwingen uns zum Zickzacklauf.
- Der Diskurs von Podemos, zur Illustration des Politikwechsels Begriffe wie «Vaterland» zu bemühen oder sich als «Sozialdemokratie» zu bezeichnen, hat nicht dazu getaugt, das Massenbewusstsein aus dem derzeitigen Zustand der Resignation herauszuführen und eine neue Bereitschaft zum Wandel zu wecken.
- Der abstrakte Verweis auf eine Links-Rechts-Polarisierung und die Behandlung der PSOE, als sei sie eine Kraft der Veränderung, hatte ebenfalls keinen positiven Effekt für den Aufbau einer neuen Volksmacht.
- In der IU und in Podemos braucht es eine Debatte über das geeignete Programm für einen Wechsel und über neue Formen der politischen Massenorganisation, die in der Lage sind, den Enthusiasmus der Aktiven aufzugreifen, die sich auch nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse auf den Plätzen versammelten und riefen: «Ja, wir können». Letzteres und nichts anderes ist das politische Kapital von Unidos Podemos. Entweder die Vorstellungen für eine Erneuerung des Landes werden konkreter oder sie zerbröseln angesichts der Schwierigkeiten.
- Die gesamte Führung von Unidos Podemos, aber vor allem ihre beiden Hauptsprecher, Alberto Garzón und Pablo Iglesias, trägt eine enorme Verantwortung: Sie muss einen neuen Gründungskongress durchführen, aber diesmal muss er eine Einheit zum Ausdruck bringen, die in die Zukunft weist.
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