Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Nur Online PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 08/2016

Presseinformation des DKP-Parteivorstandes, 1. Juli 2016

dokumentiert

Robert Steigerwald (24. März 1925 – 30. Juni 2016) wurde in Frankfurt am Main

geboren und wuchs in einer kommunistischen Arbeiterfamilie auf. Nach dem Abitur wurde

er zur faschistischen Wehrmacht eingezogen und zum Piloten ausgebildet. Nach kurzem

Kriegseinsatz ging er freiwillig in US-amerikanische Gefangenschaft, aus der im Mai 1945

floh und nach Frankfurt zurückkehrte.

Ein sozialdemokratischer Onkel erklärte ihm, was der Unterschied zwischen

Sozialdemokraten und Kommunisten sei: Beide hätten dasselbe Ziel, die

Sozialdemokraten wollten es auf demokratischem, die Kommunisten auf diktatorischem

Weg erreichen. Steigerwald trat in die SPD ein, gründete deren Jugendverband „Die

Falken“ mit und wurde in den Vorstand der „Falken“ für die Westzonen berufen. Ihm stand

eine Parteikarriere in der SPD offen.

Er begann, sich mit marxistischer Theorie zu befassen, „ich habe die Theorie

aufgesaugt“, sagte er 2015 im Gespräch mit der DKP-Zeitung „Unsere Zeit“. Steigerwald

geriet in Widerspruch zur Politik der SPD. 1947 suchte er das Gespräch mit Kurt

Schumacher und fragte ihn, auf welcher Seite die SPD stehen würde, wenn es – wie

damals zu befürchten war – zum Krieg zwischen Westmächten und Sowjetunion kommen

würde. Schumacher antwortete: Auf der Seite des Labour-regierten Englands. Steigerwald

verließt die SPD und trat 1948 in die KPD ein. Der Hessische Rundfunk, bei dem

Steigerwald als Jugendredakteur tätig war, entließ ihn daraufhin.

Steigerwald hatte bereits während seiner Arbeit beim Radio Geschichte und Philosophie

studiert. Die Jahre 1949 und 1950 verbrachte er an der Parteihochschule „Karl Marx“ der

SED in Kleinmachnow, anschließend lehrte er dort ein halbes Jahr lang Philosophie.

1951 kehrte er in die Bundesrepublik zurück und beteiligte sich am Widerstand gegen

die Remilitarisierung und Bildung der Bundeswehr. Weil er die von der Adenauer-

Regierung verbotene Volksbefragung über die Wiederbewaffnung mit organisierte, wurde

er 1953 zum ersten Mal verhaftet. 1956 verurteilte ihn der Bundesgerichtshof zu

dreieinhalb Jahren Haft als „Rädelsführer“ in einer „staatsgefährdenden Organisation“.

Insgesamt saß Steigerwald wegen seiner politischen Tätigkeit als Kommunist fünf Jahre

in Straf- und Untersuchungshaft. In der Haft ließ er sich zum Schriftsetzer ausbilden

und nutzte die Zeit zum weiteren Studium des Marxismus-Leninismus.

1951 hatte die Bundesregierung den Antrag gestellt die KPD zu verbieten. Es dauerte

bis 1956, bis das Bundesverfassungsgericht das Verbotsurteil fällte, das die Grundlage für

die erneute Verfolgung der Kommunisten werden sollte. Steigerwald war der letzte noch

Lebende, der an diesem Prozess beteiligt war: Er arbeitete in der Arbeitsgruppe des

Parteivorstandes der KPD mit, die die juristische Verteidigung koordinierte und gegen

Begründung des Verbots argumentierte.

Dass seine Partei nun verboten war hielt Steigerwald nicht davon ab, nach der

Haftentlassung die Arbeit wieder aufzunehmen. Er leitete die Abteilung Theorie und

Marxistische Bildung beim Vorstand der illegalen Partei. 1963 beteiligte er sich daran, die

legale Zeitschrift „Marxistische Blätter“ zu gründen. Später wurde er ihr Chefredakteur

und blieb bis zu seinem Tod Mitherausgeber.

Für die wissenschaftliche Arbeit fand er in der DDR, frei von der Verfolgung der

Adenauer-Behörden, die besseren Bedingungen vor – 1968 wurde er in der DDR bei

Manfred Buhr mit der Arbeit „Herbert Marcuses dritter Weg“ promoviert (1978

Promotion B zum Dr. sc.). In dieser Schrift kritisiert er die Theorie des zur „Frankfurter

Schule“ gehörenden Philosophen Herbert Marcuse, der damals großen Einfluss in der

Studentenbewegung hatte. Die Schrift hatte insofern praktisch-politische Bedeutung, als

die auch dazu diente, das Verhältnis der Marxisten zu der Ideologie der „antiautoritären“

Studentenbewegung zu bestimmen. In den 70er und 80er Jahren trat Steigerwald an

vielen Universitäten auf – oft auf Einladung des MSB Spartakus –, er diskutierte und stritt

mit „antiautoritären“ Studierenden, vertrat marxistische Positionen und suchte gleichzeitig

Gemeinsamkeiten zwischen Kommunisten und Studentenbewegung.

Steigerwald setzt sich umfassend mit Marcuses Dialektikverständnis auseinander –

insbesondere anhand Marcuses Schriften über Georg Friedrich Wilhelm Hegel, so dass

die Schrift über den unmittelbaren Gegenstand hinaus ein Beitrag zur marxistischen

Philosophie und zur Auseinandersetzung mit und Einordnung der Frankfurter Schule ist.

Steigerwald forschte auf dem Gebiet der marxistischen Philosophie, gleichzeitig

arbeitete er dafür, den Marxismus zu verbreiten und besonders für Jugendliche aus der

Arbeiterklasse verständlich zu machen. In den späten 1960er Jahren wurde er

Vorsitzender des Zusammenschlusses der marxistischen Arbeiterbildungsvereine (MAB).

Er war lange Vorsitzender, zuletzt Ehrenvorsitzender der Marx-Engels-Stiftung. Seine

Einführung in die marxistische Philosophie, die unter verschiedenen Titeln, in

mehreren Auflagen und Übersetzungen erschien, bietet einen anschaulichen Zugang zu

Fragen der marxistischen Dialektik, Erkenntnistheorie und Geschichtsphilosophie.

1968, als sich das Klima in der Bundesrepublik veränderte, nutzten die Kommunisten

die Möglichkeit, um trotz KPD-Verbot wieder eine legale kommunistische Partei zu bilden.

Sie konstituierten sich neu als DKP. Steigerwald war daran beteiligt, von Anfang der 70er

Jahre bis 1990 war er Mitglied des Parteivorstandes der DKP. Neben der philosophischen

Forschung und der Verbreitung des Marxismus war die Arbeit an der Programmatik der

kommunistischen Partei ein Feld, auf dem Steigerwald jahrzehntelang tätig war. Vor allem

arbeitete er den Gedanken aus, dass die Kommunisten dafür eintreten, alle

gesellschaftlichen Kräfte zusammenzuschließen, deren Interessen im Widerspruch zu den

größten Banken und Konzernen stehen – den Gedanken der Strategie des

antimonopolistischen Bündnisses.

Die sogenannte Wende, das Ende der europäischen sozialistischen Staaten, sah

Steigerwald als einen Rückschlag. Für den marxistischen Philosophen änderten sie nichts

daran, dass die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft zu ihrer Auflösung durch

den Sozialismus drängen. In der Diktion der FAZ (12.2.1990) wurde er deshalb zu „eine[m]

dieser alten Schlachtrösser“, die - „in ihrem verstockten Sinne ehrlich – gesagt [haben],

was in der DDR vorgeht: ein konterrevolutionärer Prozess“. Die Niederlage von 1989

brachte ihn nicht dazu, den Marxismus aufzugeben – aber dazu, die Grundfragen der

marxistischen Philosophie erneut zu stellen. In seiner Arbeit „Abschied vom

Materialismus“ verarbeitet er Erkenntnisse der modernen Physik und

Neurowissenschaften, um den Marxismus auf die Höhe der Zeit zu bringen und

dogmatische Verengungen zu überwinden. Solange es seine Gesundheit erlaubte, nahm

er an der Arbeit der DKP teil, hielt Vorträge und forschte.

Ausgewählte Bibliographie

Materialistische Philosophie. Eine Einführung für junge Leute, verschiedene Auflagen.

Herbert Marcuses dritter Weg, Köln: Pahl-Rugenstein Verlag, 1969.

(mit Willi Gerns): Probleme der Strategie des antimonopolistischen Kampfes, Frankfurt

a.M.: Verlag Marxistische Blätter, 1973.

Marxismuskritik heute. Probleme - Widersprüche - Widerlegungen, Frankfurt a.M.: Verlag

Marxistische Blätter, 1986.

Sind wir Sklaven der Natur? Die Inanspruchnahme der Biologie durch den

Konservatismus, Düsseldorf: Edition Marxistische Blätter, 1988.

Abschied vom Materialismus? Zur Antikritik heutiger Materialismuskritik, 2. überarb. Aufl.,

Schkeuditz: GNN, 1999.

Das Haus im Sandweg. Eine sozialistische Familienchronik, Essen: Neue Impulse Verlag,

2008.

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