von Manuel Kellner
Am 30.Juni 2016 ist Robert Steigerwald gestorben. Er war ein prominentes Mitglied der DKP, das erheblichen Einfluss auf die Programmatik dieser Partei hatte.
Er war auch bis ins hohe Alter ein Kämpfer für die sozialistische Revolution, ein Lehrer und Philosoph, bereit zu lernen bis in den Tod, und bereit zur Zusammenarbeit und zur solidarischen Diskussion mit anderen Linken, sogar mit den ehemals verfemten oppositionellen kommunistischen Richtungen.
Bevor ich Robert Steigerwald persönlich kennenlernte, kannte ich von seinen Schriften insbesondere sein Buch Abschied vom Materialismus? aus dem Jahr 1994. Diese Arbeit, bezeichnenderweise in zweiter Auflage erheblich überarbeitet, hatte mich beeindruckt. Er bewegt sich darin im Rahmen der «offiziellen» kommunistischen (poststalinistischen) Weltanschauung und konfrontiert deren Kernaussagen mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dafür hat er mit herausragenden Wissenschaftlern korrespondiert, und er hat beeindruckende Argumente für diese Kernaussagen angeführt. Ich war bei weitem nicht mit allem einverstanden – aber ich dachte mir: Wenn es sich überhaupt lohnt, mit jemandem aus dieser Denktradition in philosophischen Gedankenaustausch zu treten, dann mit dem.
Persönlich kennengelernt hatte ich Robert Steigerwald in Zusammenhang mit den Treffen der Freundinnen und Freunde der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL) in den Jahren 2003 und 2004. Am Rande eines dieser Treffen kam ich mit ihm näher ins Gespräch. Ich fragte ihn, ob er die Protokolle des III. und IV.Kongresses der Kommunistischen Internationale (1921 und 1922) gelesen hätte. Er verneinte das. Ich sagte ihm, dass dort die Übergangsforderungen diskutiert worden waren und in die Entschließungen Eingang gefunden hatten. Später, weil unter Stalin diese Tradition verschüttet worden war, sei das Thema «Übergangsforderungen» in der offiziellen kommunistischen Tradition dann als «trotzkistische Marotte» verworfen worden.
Zwei Wochen später rief mich Robert Steigerwald dann an. Er hatte die Kongressprotokolle inzwischen gelesen und meinte, wir müssten unbedingt eine gemeinsame Konferenz darüber machen. Die Idee des Leverkusener Dialogs oder der Leverkusener Konferenzen war damit geboren. Ich war sehr beeindruckt von Roberts Bereitschaft, sich von einem «trotzkistischen» jungen Hüpfer dazu bringen zu lassen, auf seine alten Tage Texte zu lesen, die er nicht kannte, und sich auf eine Diskussion auf gleicher Augenhöhe mit «trotzkistischen Abweichlern» einzulassen.
Vier solche Konferenzen haben danach tatsächlich stattgefunden. In UZ online der DKP wurde die vierte und letzte dieser Konferenzen wie folgt beworben:
«Der marxistische Historiker Prof. Dr. Hans-Joachim Krusch (1935–2004), damals Leiter des Marxistischen Arbeitskreises zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der Historischen Kommission der PDS bzw. bei der PDS, hatte vor vielen Jahren die Idee, sich an Genossen und Organisationen zu wenden, die sich als marxistisch, als kommunistisch definieren und sich – trotz der schweren Niederlage von 1989/90 – in ihrer antikapitalistischen Orientierung und Aktivität nicht beirren lassen … Man solle, schlug Hans Krusch vor, versuchen, sie an einen Tisch zu bekommen, ohne etwa ‹Unliebsame› auszugrenzen, und mit ihnen über gegenwärtige Aufgaben, auch über theoretische und politische Schlussfolgerungen aus unserer Niederlage zu diskutieren. Dabei sei zu vermeiden, die Schlachten von ehedem erneut schlagen zu wollen, sich die ‹Wurfgeschosse› von einst erneut an die Köpfe zu schleudern. Es gebe genug brennende aktuelle Aufgaben, denen wir uns nicht entziehen dürfen, indem wir uns in Schuldzuweisungen ergehen. Die Probleme und Widersprüche dürfe man deswegen aber nicht einfach unter den Teppich kehren. Dieser Vorschlag stieß auf große Zustimmung bei Kräften, die sich einst mit den Schimpfworten ‹Stalinisten›, ‹Trotzkisten›, ‹Brandlerianer› usw. belegten. Es kam es zum ersten Dialog, abgehalten in der DKP-Parteischule Karl Liebknecht in Leverkusen. Dort diskutierten die Vertreter dieser erwähnten kommunistischen Richtungen gleichberechtigt … Es ging dabei nie um einen bloß politisch-agitatorischen Meinungsaustausch.»
Wenn der Leverkusener Dialog nicht fortgesetzt worden ist, dann mögen dafür die inneren Entwicklungen der DKP mitverantwortlich sein. Ein Vorhaben, das nicht realisiert wurde, war eine Konferenz zum Thema «Spanischer Bürgerkrieg». Robert Steigerwald schien mir bereit zu sein, auch das zu wagen – aber letztlich hat er in seiner Partei wohl nicht genug Unterstützer dafür gefunden. Es wäre in der Tat eine große Herausforderung gewesen und ein Tabubruch – eine Konfrontation mit der Rolle der Sowjetunion und der spanischen KP, der grausamen Unterdrückung und Verfolgung der Trotzkisten und der POUM, der Verantwortung für die Niederlage gegen Franco hätte zuviel an identitären Gefühlen verstört.
Ich würde mir wünschen, dass Steigerwalds hinterlassene Schriften über die engeren Kreise der DKP hinaus gelesen werden – und dass, besonders in DKP-Kreisen, auch das von ihm zur Kenntnis genommen und reflektiert wird, was er mit Genossinnen und Genossen in der Tradition der sogenannten «rechten» kommunistischen Opposition sowie der Linken Opposition und der IV.Internationale gemeinsam gemacht und diskutiert und sogar gemeinsam geschrieben hat.
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