von Rolf Euler
In den erfreulichen Urlaub mit Enkel stößt die Nachricht: Bei einer Online-Befragung geben fast 20% der befragten Eltern an, wenn sie sich noch einmal entscheiden könnten, würden sie keine Kinder haben wollen. Fast 100% beteuern, sie würden ihre Kinder dennoch lieben. Sie machen vor allem die Einschränkung ihrer persönlichen Entfaltung dafür verantwortlich, meinen zum Teil auch, sie würden in ihrem beruflichen Aufstieg gehemmt. Und: mehr Eltern mit Einkommen unter 1500 Euro denken so als solche mit höherem Einkommen.
Überraschend ist das eigentlich nicht. Zumal – zwei Generationen nach Erfindung des «Wunschkinds» – nur rund 60% der befragten Eltern ihr Kind als solches bezeichnen. Die Familienplanung, die immer noch im wesentlichen eine Vater-Mutter-Kind-Angelegenheit ist, ist sicher komplizierter geworden. Kindsein findet im Zentrum des täglichen Lebens wenig statt. Die Mehrheit der Lebensformen hat sich im Vergleich zu vor 20 Jahren radikal geändert. Waren damals noch die «Vater-Mutter-Kind-Familien» in der Mehrheit, bilden heute kinderlose Ehepaare und Alleinstehende die meisten Haushalte. Auf Eltern kommt auch ein Dschungel an Bürokratie zu: Kinder- und Elterngeld, Betreuung, Berufsauszeiten, Kita- und Kindergartensuche. Dazu kommt ein Dschungel an Bürokratie auf die Eltern zu: Kinder- und Elterngeld, Betreuung, Berufsauszeiten, Kita- und Kindergartensuche. Alleinerziehung ist nach wie vor eines der größten Armutsrisiken in Deutschland. Nicht zu vergessen die tägliche organisatorische Anstrengung, Kinder und Beruf zu sortieren. Da ist es fast ein Wunder, dass «nur» rund 20% keine Kinder mehr bekommen wollen.
Auf der anderen Seite stehen die immer neuen Erfahrungen mit dem Aufwachsen von Kindern, ihre Lern- und Begeisterungsfähigkeit, die Veränderung des sozialen Lebens durch sie. Die Freude beim ersten Mal: laufen, sprechen, ohne Windel, ohne Schnuller, allein mit Freunden, allein Radfahren, Lesenkönnen – die vielen «Kennen-wir-Erwachsenen-doch»-Geschichten immer neu aufgelegt. Und vieles mehr, was nicht «an den Rand» passt, gibt es nur mit Kindern.
Die Ergebnisse der Umfrage (soweit sie bei mehr als 1200 Befragungen repräsentativ ist) sollen nun nicht zu einer moralisch-individuellen Bewertung und Empfehlung «Kinder oder nicht» verleiten. Was wichtig ist, sind gesellschaftliche Schlussfolgerungen in Richtung Vereinbarkeit von Kindern und Berufsleben der Erwachsenen, vor allem der Mütter. Gleichberechtigung in Erziehung und Beruf gibt es nach wie vor nicht. Richtig wäre: 30 Stunden Arbeit für Männer und Frauen; statt Geld für häusliche Kleinbetreuung, öffentliches Geld für gute Gemeinschaftseinrichtungen. Übrigens auch für «Alte» – sie werden in der Regel von Töchtern betreut, deren Kinder vielleicht gerade «aus dem Haus» sind. Verteilung von Arbeitszeit über Lebenszeitkonten mit «Care-Zeit»-Wahl. Vermeidung von langen Arbeitswegen durch Home Office. Andere Lebens- und Arbeitsmodelle vor allem für Väter, deren Anteil an Familienarbeit deutlich kleiner ist als der der Mütter. Das wären meine Forderungen für die Kinder.
«Es gibt kein problematisches Kind, es gibt nur problematische Eltern», sagte A.S.Neill. Ergänzung: Es gibt vor allem eine problematische Gesellschaft. Aber unsere Kinder und Kindeskinder sind diejenigen, die das ändern können, wenn wir es nicht (mehr) tun.
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