von Violetta Bock
Am 26.7.2016 erschütterte ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (1 AZR 160/14) das gewerkschaftliche Lager: Erstmals seit Jahrzehnten soll eine Gewerkschaft, in diesem Fall die Gewerkschaft der Fluglotsen, wieder Schadenersatz in Millionenhöhe für einen Streik zahlen.
Dabei ging es einerseits um Klagen der Fluggesellschaften, die Ansprüche in Höhe von 4 Mio. Euro stellten. Diese wurden jedoch, wie in den Vorinstanzen, abgelehnt, weil die Airlines als Außenstehende und nicht Tarifparteien nur mittelbar betroffen sind.
Anders verhielt es sich mit der Klage des Flughafenbetreibers und Tarifpartners Fraport.
Am 16.Februar 2012 hatte die Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) ihre Mitglieder zu einem befristeten Streik am Flughafen Frankfurt aufgerufen. Der Streik wurde durch eine gerichtliche Unterlassungsverfügung bereits am 29.Februar 2012 beendet. Ziel des Streiks war die Durchsetzung einer Schlichterempfehlung, die FRAPORT jedoch abgelehnt hatte. Die Schlichtungsempfehlung bestand aus über 50 Punkten. Davon wurden auch zwei übernommen, die der Friedenspflicht unterlagen. Die GdF habe gegen die Friedenspflicht verstoßen, weil sie diese Punkte mit einem Streik durchsetzen wollte. Damit sei, gemäß der Rühreitheorie (ein verdorbenes Ei verdirbt das ganze Omelett), der gesamte Arbeitskampf rechtswidrig, so das BAG. Die beiden Punkte betreffen die soziale Absicherung bei einem Arbeitsunfall und die gesundheitliche Entlastung langjährig Beschäftigter. Damit sei die Friedenspflicht verletzt worden, urteilte nun die Bundesarbeitsrichterin, im Gegensatz zu den Vorinstanzen.
Verfassungswidrig
Fraport fordert 5,2 Mio. Euro wegen angeblich entgangener Einnahmen. Wieviel es am Ende tatsächlich sein wird, entscheidet das Landesarbeitsgericht. Auch die Urteilsbegründung ist erst in etwa drei Monaten zu erwarten.
Das Urteil wird von vielen Seiten scharf kritisiert. Der Arbeitsrechtsanwalt Rolf Geffken etwa weist darauf hin: «Wenn wegen einzelner Nebenforderungen der Streik gegen die Friedenspflicht verstoßen soll, der Streik aber auch ohne diese Forderungen durchgeführt worden wäre, ist es mehr als unverständlich, wenn dennoch der gesamte Streik rechtswidrig sein und Schadensersatzansprüche der Unternehmer auslösen soll» (drgeffken.de). Er hält die Grundlage der BAG-Entscheidung – das seit den 50er Jahren von dem Alt-Nazi Hans Carl Nipperdey (dem ersten Präsidenten des BAG) entdeckte Prinzip des «Eingriffs in den eingerichteten Gewerbebetrieb» bei einem Streik – für verfassungswidrig. Ebenso das Urteil, das die 4000 Mitglieder starke Gewerkschaft in ihrer Existenz bedrohen könne. Umso gespannter warten die Beteiligten auf die Urteilsbegründung, weil die beiden Punkte zwischen den Tarifparteien nicht strittig waren und damit eindeutig keine Hauptforderungen.
Von Bedeutung ist auch, dass Fraport neun Tage gewartet hat, bevor sie den Klageweg beschritt, und damit die Schadensumme selbst in die Höhe getrieben. Ein Schadenersatz müsste deshalb erheblich geringer ausfallen. Das geht aus einem Interview mit Wolfgang Däubler in einem Sonderheft der GdF hervor (download unter gdf.de). Seine zentrale Aussage lautet: «Durch die ‹Rühreitheorie› wird die Ausübung des Grundrechts auf Streik mit einem unzumutbaren Risiko belastet. Das ist hier wie bei anderen Grundrechten nicht hinnehmbar und von der Verfassung nicht gewollt.»
Ein Wink ans BVG
Die GdF wird rechtliche Möglichkeiten prüfen, etwa ob sie Verfassungsbeschwerde einlegt oder vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht zieht. Bemerkenswert ist an dem Sonderheft auch, dass andere Berufsgewerkschaften (GdL, Vereinigung Cockpit, IGL, TGL, UFO) mit Zitaten zu Wort kommen und dadurch Geschlossenheit demonstriert wird.
In einem weiteren Artikel der GdF-Sonderausgabe weist Dirk Vogelsang auf die gesellschaftlichen Umstände hin, die zum Urteil beigetragen haben dürften: Dazu gehört die Dauerpropaganda der Arbeitgeber gegen die Berufs- und Spartengewerkschaften. Die Entscheidung des BAG sei aber auch als Signal an die Arbeitgeber zu werten, die in den bisherigen Instanzen immer wieder verloren hatten, um ihnen auch mal Recht zu geben. Und drittens sei die Entscheidung ein Signal an das Bundesverfassungsgericht (BVG), das demnächst über das Tarifeinheitsgesetz entscheiden muss. Wolfgang Däubler hingegen dämpft solche Spekulationen, wenngleich er schreibt: «Die Spartengewerkschaften haben das große – ich meine sogar: das historische – Verdienst, die Unterordnung unter Sparpolitik und Neoliberalismus nicht mitgemacht zu haben. Sie haben sich gewehrt, und das hat auch einige der übrigen wieder kampfesmutiger werden lassen.»
Gut wäre natürlich, wenn die Woge der Empörung über das Urteil auch von anderen Gewerkschaften weitergetragen würde. Die Gegenseite wird aus dem Urteil jedenfalls lernen und die Instrumente zur Gewerkschaftsbekämpfung perfektionieren. So finden sich auf der Webseite von aktion./.arbeitsunrecht einige Hintergründe über die von Fraport angeheuerte Anwaltskanzlei: «Auch hinter diesem Urteil steckt Thomas Ubber aus Frankfurt, der ‹Rainmaker› der internationalen Wirtschaftskanzlei Allen & Overy … Ubber ist der Experte für Streikverhinderung. Seine Dienste werden von beinahe sämtlichen großen Playern der Transportbranche wie DB, Lufthansa, Air Berlin, Fraport in Anspruch genommen. Ubber geht seit Jahren mit gerichtlichen Verfügungen vor allem gegen streikbereite Spartengewerkschaften wie GdL, GdF, Cockpit und UFO vor. Ubber zieht aber auch gegen Ver.di und die IG Metall zu Felde, wenn nötig. Durch das Konsortium, das er vertritt, dürfte Thomas Ubber Einfluss bis in höchste Regierungskreise haben» (arbeitsunrecht.de).
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