von Manuel Kellner
Das neue Buch von Thomas Goes ist der Aufmerksamkeit aller Gewerkschaftsaktiven, im weiteren Sinne aber auch der Diskussion in der Linken anzuempfehlen.
Die Krise der Gewerkschaften ist ein bedeutendes Problem auch für die politische Linke. Die Gewerkschaften des DGB sind mit 6 Millionen Mitgliedern die mit Abstand größte Organisation, die der Kapitalmacht gegenübersteht. Zu Beginn der 90er Jahre hatten sie aber annähernd doppelt so viele Mitglieder. Sie sind schon Jahrzehnte in der Defensive. Der Autor beschreibt in differenzierter Weise die Prozesse, die zu dieser Krise geführt haben, und wie sie sich auf die Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit auswirken.
An den Anfang seines Buches stellt Goes ein Zitat von Franz Steinkühler (der damals Zweiter Vorsitzender der IG Metall war) aus dem Jahr 1986:
«Zehn Jahre Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau und beschleunigte unternehmerische Rationalisierung haben soziale Ungerechtigkeiten, Chancenungleichheiten, zunehmende Armut … und die Missachtung der Lebensinteressen breiter Bevölkerungsschichten in der Bundesrepublik bewirkt. Dies alles geschieht, obwohl das Sozialstaatsgebot die staatlichen Organe zur Überwindung der Wirtschafts- und Beschäftigungskrise nach dem Maßstab von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit verpflichtet.»
Es leuchtet unmittelbar ein, dass diese Aussage geradezu gespenstisch aktuell geblieben ist. Wichtige Bastionen gewerkschaftlicher Solidarität und Kampfkraft sind inzwischen geschleift. Zur massenhaften Erwerbslosigkeit gesellt sich ein wachsender Anteil untertariflich bezahlter und prekärer Arbeitsverhältnisse. Verstärkte Fragmentierung, Individualisierung und Atomisierung der Beschäftigten verhindern zusammen mit wachsenden Existenzängsten – vor allem der Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes – in weiten Bereichen der Arbeitswelt das Zusammenfinden zum Widerstand und zum kollektiven Kampf für die gemeinsamen Interessen.
Thomas Goes zeigt, dass das sozialpartnerschaftliche Gewerkschaftsmodell an die «lange Welle» mit ökonomisch expansiver, aufsteigender Tendenz der 50er und 60er Jahre des 20.Jahrhunderts geknüpft war, die spätestens 1975 in eine lange lange Welle mit stagnativer und depressiver Tendenz umgeschlagen ist. Vollends mit dem Siegeszug des Neoliberalismus und der mit ihm einhergehenden, lanandauernden Kapitaloffensive hat sich gezeigt, dass dieses sozialpartnerschaftliche Modell den neuen Herausforderungen nicht gerecht werden kann.
Es gibt aber Prozesse der Erneuerung in Teilen der DGB-Gewerkschaften, praktische Ansätze für eine aktivierende Rolle von Gewerkschaftsverantwortlichen in den Betrieben, von verstärkter Teilhabe der Beschäftigten an der Entwicklung der Forderungen und an der Gestaltung ihrer Kämpfe. Thomas Goes schildert zahlreiche Beispiele dafür, ohne sie zu überhöhen. Er spricht in diesem Zusammenhang von «Hoffnungsfunken». An ihnen kann sich ein breiter getragener Aufbruch zur Erneuerung der Gewerkschaften entzünden.
Anknüpfend u.a. an Kim Moody, dem Mitbegründer des Gewerkschaftsnetzwerks Labor Notes, erklärt Thomas Goes die wichtigsten Inhalte einer neuen Orientierung, mit der «Gewerkschaften als Bewegung» aufgebaut werden sollen.
Entscheidend dafür ist, dass sich möglichst viele Beschäftigte in der Mobilisierung demokratisch organisieren, entscheidend ist die Konfliktorientierung und der Blick über den Tellerrad auf die Erwerbslosen, auf die Bevölkerungen der Stadteile, auf die sozialen Bewegungen, auch auf die Beschäftigten in anderen Ländern und Kontinenten, um möglichst breite Bündnisse aufzubauen und so an Kampfkraft zu gewinnen.
Im Mittelpunkt steht das viel zitierte «Organizing»-Konzept, mit dem auch in schwer organisierbaren Bereichen Erfolge und wieder wachsende Mitgliederzahlen erreicht werden, aber er schildert auch weitergehende Ansätze wie «Organisieren Kämpfen Gewinnen» (OKG).
Im letzten Teilkapitel seines Buches spricht Thomas Goes von «Wirtschaftsdemokratie» bzw. von der «Demokratisierung der Wirtschaft» als einem übergreifenden Reformprojekt. Ausgehend von einer «konsequenten gewerkschaftlichen Gegenmachtpolitik» regt er an, dafür wieder an verschütteten wirtschaftsdemokratischen Traditionen der DGB-Gewerkschaften anzuknüpfen. Er sagt aber auch, dass ein «Hinüberwachsen des Kapitalismus in eine demokratischere postkapitalistische Ordnung» nicht möglich ist. Eine wirklich demokratische Verwaltung der Wirtschaft wird es ohne Vergesellschaftung nicht geben.
Bis dahin geht es um die Erkämpfung möglichst weitgehender Kontrollrechte und demokratischer Teilhabe an den betrieblichen und überbetrieblichen Entscheidungen – mit der Perspektive einer übergreifenden sozialistisch-demokratischen Alternative im Kopf.
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