Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2016
Deutschland 2016, Regie: Fatih Akin
von Jan Schiffer

Tschick ist eine Verfilmung des gleichnamigen populären Jugendromans von Wolfgang Herrndorf, erschienen 2010 und mittlerweile Standardlektüre an Schulen und vielfach erfolgreich für das Theater adaptiert.

In Film und Buch geht es um die beiden vierzehnjährigen Jungen Maik und Andrej Tschichatschow mit dem Spitznamen Tschick. Maik, Sohn einer warmherzigen Alkoholikerin und eines cholerischen, gescheiterten Immobilienunternehmers, ist in seiner Schule der unauffällige, langweilige Junge, der nur zu Hause am Computer spielt und nie zu irgendetwas eingeladen wird – auch nicht zur Geburtstagsfeier seines Schwarms Tatjana.

Tschick ist einige Wochen vor dem Ende des Schuljahrs in die Klasse von Maik gekommen. Wie Maik ist auch er isoliert und hat kaum Kontakte zu seinen Mitschülerinnen und Mitschülern. Tschick ist innerhalb kurzer Zeit von der Hauptschule zum Gymnasium aufgestiegen und liefert dort in der Filmversion (die in diesem Punkt durchaus sinnvoll vom Buch abweicht) hervorragende Leistungen in den Klassenarbeiten. Dennoch hat er das klischeehafte Image eines «Asis».

Wir erfahren nichts über seine Familie, wohl deshalb, weil sie sich nicht um ihn kümmert. Er kommt ständig besoffen in die Schule, kotzt auf die Tische, hat keine Freunde und guckt immer reichlich desinteressiert. Es gibt im ganzen Film nur zwei Szenen, in denen er mit Mitschülern kommuniziert: Einmal flüstert er einem Schüler, der ihn beleidigt hat, eine unverständliche Drohung ins Ohr. Ein anderes Mal spricht er Maik am letzten Schultag auf dessen «geile Jacke» an. Neben Maik ist er der einzige, der nicht zu Tatjanas Party eingeladen wurde. So kommt es, dass Maik am ersten Ferientag allein zu Hause am Pool sitzt – seine Mutter ist in der Entzugsklinik, sein Vater auf als «Geschäftsreise» getarntem Urlaub mit seiner semigeheimen Freundin Mona. Doch dann schaut Tschick völlig unerwartet bei ihm vorbei und die beiden spielen ein wenig am Computer. Am nächsten Tag kommt Tschick plötzlich mit einem gestohlenen Lada vorgefahren und überredet Maik, mit ihm zur Party von Tatjana zu fahren und ihr Maiks aufwändig angefertigtes Geburtstagsgeschenk zu überreichen. Der anfangs zögerliche Maik lässt sich letztendlich dazu überreden.

Nachdem Tschick und Maik von der erstaunten Tatjana zurück sind, schlägt Tschick vor, einfach weiterzufahren. Ziel ist, im Film wie im Buch, die «Walachei», wo Tschick angeblich einen Opa hat. Ob es die Walachei wirklich gibt, debattieren Maik und Tschick im Buch sehr ausführlich, im Film spielt es kaum eine Rolle. Dies ist der Beginn einer abenteuerlichen Reise, auf der die beiden auf zahlreiche, sehr unterschiedliche Personen stoßen: Ob es die etwas verrückt wirkende Familie ist, die sie freundlich zum Mittagessen einlädt, oder Isa, die die beiden auf einer Müllhalde treffen und die Maik fast noch besser findet als seinen Schulschwarm Tatjana.

Insgesamt ist die Bestseller-Verfilmung mehr als gelungen: Der wichtigste Teil der Buchvorlage kommt im nur anderthalbstündigen Film vor, wobei natürlich die ein oder andere lustige Seitenstory aus dem Buch leider herausfallen musste. Die Charaktere aus dem Buch sind sehr glaubwürdig umgesetzt, die Schauspielerinnen und Schauspieler sind gut ausgewählt. Fatih Akin hat den idealen Ausgleich zwischen Treue zum Original und kreativer Neuentwicklung zahlreicher Szenen geschafft.

Das einzige, was vielleicht bemängelt werden könnte, sind die doch teilweise arg pathetisch mithilfe von Zeitlupe und anderen Effekten dargestellten Szenen aus Maiks Gedankenwelt, die Akin meiner Ansicht nach besser in Form eines inneren Monologs hätte einbauen sollen.

Auf jeden Fall lohnt es sich, für Tschick mal wieder ins Kino zu gehen. Der Film ist amüsant und niveauvoll zugleich – was leider in nicht allzu vielen Filmen der Fall ist.

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