von Jan Schiffer
Die Struktur der AfD-Wählerschaft und vor allem die Gründe, AfD zu wählen, sind schon längere Zeit zentrales Thema im (radikal) linken Diskurs. Also werfen wir mal einen Blick auf die demoskopischen Erkenntnisse, erstmal in bezug auf Mecklenburg-Vorpommern.
Wie bei allen Wahlen konnte die AfD aus nahezu allen Lagern Stimmen abziehen. Die mit Abstand größte Gruppe waren laut Infratest Dimap wie immer die vormaligen Nichtwähler. Danach kommt mit einigem Abstand die CDU, dicht gefolgt von NPD, LINKEN und SPD. Lediglich von den Grünen gab es keine größere Wanderung zur AfD.
Zwar erzielt die AfD in proletarischen Milieus (Arbeitende und Arbeitslose) etwas höhere Ergebnisse, aber insgesamt konnte sie in allen Klassen punkten. Das Abschneiden der AfD im proletarischen Milieu ist auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Darum halte ich es für völlig verfehlt, die AfD ökonomistisch zu erklären, wie es getan wird, wenn sie als Protestpartei der enttäuschten sozial Schwachen dargestellt wird.
Ähnlich sieht es mit der Altersstruktur aus, auch hier ist die AfD-Wählerschaft in Mecklenburg-Vorpommern auf alle Altersgruppen recht gleichmäßig verteilt, nur bei Menschen unter 24 Jahren und über 70 Jahren konnte die AfD nicht so recht Fuß fassen.
Der einzige Punkt, der heraussticht, ist die Verteilung auf die Geschlechter: Während 25% der Männer laut Infratest AfD wählten, erreicht sie bei Frauen nur magere 16%. Dieses Geschlechterungleichgewicht ist das einzige auffällige Merkmal, das sich kontinuierlich bei allen Wahlen zeigt.
Zur sexuellen Orientierung gibt es kaum Quellen. Die einzige mir bekannte Befragung hierzu ist eine vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Berlin-Brandenburg durchgeführte Befragung vor den Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18.September. Laut dieser Umfrage hätte die AfD unter Homosexuellen, Bisexuellen und Transgendern (LGBT) nur 7% bekommen, halb soviel wie in der Gesamtbevölkerung (14%).
Angst vor Veränderung
Und wie sieht es politisch bei der AfD-Wählerschaft aus? Hier ist ein Blick auf die – auch sonst sehr lesenswerte – bundesweite Leipziger Mitte-Studie*, die Chauvinismus und Rechtsextremismus in der bundesrepublikanischen Gesellschaft regelmäßig untersucht, mehr als aufschlussreich:
Ob bei Rassismus, Sexismus, Heterosexismus oder autoritären Einstellungen: Die AfD führt durchgehend deutlich. Auch bei den zusammenfassenden Statistiken zu Chauvinismus und Rechtsextremismus führt die AfD souverän – laut den Leipziger Soziologen haben erschreckende 52,2% der AfD-Anhänger rechtsextremes Gedankengut. Zusammenfassend folgert die Studie: «…die potenziellen Wählerinnen und Wähler der AfD [sind] besonders islamfeindlich, homophob, antiziganistisch und feindlich gegenüber Geflüchteten eingestellt».
Angesichts dieser Ergebnisse halte ich es nicht nur für unzutreffend, sondern auch für gefährlich, wenn – wie das gerade im linken Diskurs meistens geschieht – mehr oder weniger verständnisvoll davon geredet wird, wie die «enttäuschten Protestwähler» der AfD «zurückgewonnen» werden können. Die AfD wird nicht als reiner Ausdruck von Unzufriedenheit gewählt, sie wird gewählt, da sie die chauvinistischen und zu großen Teilen rechtsextremen Ansichten ihrer Basis artikuliert. Die AfD ist Ausdruck der Angst konservativer, weißer, heterosexueller Männer vor Veränderung der hiesigen Kultur, vor allem durch die starke Einwanderung, aber auch z.B. durch den von der AfD als «Genderwahn» bezeichneten Feminismus, insbesondere den Queerfeminismus.
Deshalb habe ich auch die Vermutung, dass die Versuche, die AfD über eine Demaskierung ihrer neoliberalen Programmatik zu schwächen, zum Scheitern verurteilt sind, da die AfD aus gesellschaftspolitischen Gründen gewählt wird, nicht aus sozialpolitischen.
Dies würde auch erklären, warum die Grünen kaum an die AfD verlieren, während die Linkspartei hohe Verluste zu verbuchen hat: Die Grünen legen in ihrer Außendarstellung ein starkes Gewicht auf ihr gesellschaftspolitisches Programm. Wähler der Grünen entscheiden sich für diese Partei also gerade wegen ihrer relativ fortschrittlichen Gesellschaftspolitik – und würden nie zur AfD wechseln, deren Programm das exakte Gegenteil ist und den Schwerpunkt auf eine erzreaktionäre Gesellschaftspolitik legt.
Die LINKE hingegen legt in ihrer Außendarstellung einen eindeutigen, schon beinahe ökonomistischen Schwerpunkt auf die Sozialpolitik. Eine Person, die die LINKE wählt, wählt diese also mit hoher Wahrscheinlichkeit, weil sie eine humanere Sozialpolitik will und nicht, weil sie eine feministische Politik, den Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus usw., die gleichgeschlechtliche Ehe oder eine konsequente Umsetzung des Grundrechts auf Asyl will. Wenn eine Person mit linken Positionen zur Sozialpolitik nun also Fragen der Gesellschaftspolitik in den Mittelpunkt stellt, bei denen sie unter Umständen reaktionäre Positionen vertritt, ist ein Wechsel von der LINKEN zur AfD ohne Probleme erklärbar.
* Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Hrsg. O.Decker u.a. Leipzig: Psyschosozial, 2016.
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