von Rolf Euler
Im Mai machten mehrere Lastwagenkolonnen auf der Fahrt nach Rotterdam von sich reden: Die Sternfahrt gehörte zur «European Truck Platooning Challenge», bei der Lastwagen vollautomatisch hintereinander herfahren. Der Versuch wurde – ebenso wie viele andere Tests zum automatisierten Fahren – als Zukunftsperspektive des Lastverkehrs auf Autobahnen hochgejubelt.
Weniger hochgejubelt werden die täglichen Staus und Vollsperrungen infolge von Lkw-Unfällen: Lastwagen auf Stauende aufgefahren – Tote und schwer Verletzte. Lastwagen in Kurve umgekippt – mehrstündige Vollsperrung. Tiertransport in die Leitplanke gerast – Schweine führen zu stundenlanger Verzögerung. Lastwagen tötet beim Abbiegen einen Radfahrer. Das sind ausgewählte Meldungen von diesem Sommer, die zeigen, dass die automatische Lkw-Fahrt noch eine Zukunftsvision ist.
Die Versuche und Tests mit automatisiertem Autofahren beruhen zunächst auf militärischen Forschungen und Geldern. Die ersten Vergleichstests in den USA wurden zum Teil von der DARPA, der militärischen Forschungsabteilung des Pentagon, finanziert. Mehrere Teams aus den USA, Deutschland und anderen Ländern ließen Pkw, unter anderem umgebaute VW-Passat, auf einer Teststrecke ohne Fahrer autonom fahren. Google, dessen enge Verbindungen zur US-Rüstungsindustrie nicht so offenkundig sind, hat seit längerem ein autonomes Auto im Versuchsbetrieb, ebenso Tesla. Die deutsche Automobilindustrie bemüht sich, in Hard- und Software nachzuziehen.
In Wuppertal und Karlsruhe wurden vor kurzem Teststrecken genehmigt, auf denen Probefahrten stattfinden sollen, bei denen zwar eine Person hinter dem Lenkrad seitzt, aber nur als Eingreifreserve. Auf der A9 in Bayern fanden bereits Fahrten im öffentlichen Raum statt.
Zwei Unfälle machten von sich reden, jeweils mit einem Google- und einem Tesla-Auto. Doch die technischen Voraussetzungen werden immer ausgereifter. Schon seit vielen Jahren werden mithilfe von digitalen Steuergeräten immer mehr sogenannte Assistenzsysteme in Pkw eingesetzt, jeder kennt ABS und ESP, die den Fahrer unterstützen, Abstandswarner mit automatisch auslösenden Bremsen, Spurhaltesysteme – inzwischen gibt es auch automatisches Einparken. Seit Google die Welt auf Google-Earth abbildet, die Städte mit Google-Streetview fotografierte, haben die Systeme ein immer vollständigeres Bild ihrer Umgebung einprogrammiert. Mithilfe von Infrarot-, Radar-, Ultraschall- und anderen Sensoren soll die Verkehrssituation für die Technik erkennbar werden und die Steuerung durch eine sinnvolle Programmierung erfolgen, die Gas, Lenkrad und Bremse dann autonom bedient. Der «Fahrer» darf währenddessen lesen…
Die Verkehrsrealität
Die bisher eingesetzten technischen Systeme werfen aber jenseits der Zukunftsvisionen die Frage auf, warum es noch immer so schwere Unfälle vor allem mit den Lkw gibt. Es wäre ja ein leichtes, die Automobilbauer zum Einbau des jeweils fortgeschrittensten Schutzsystem wie Abstandswarner und -bremsen oder Sensoren an den Seiten für die Erkennung von Fußgängern und Radfahrern zu verpflichten. Seit Jahren werden die Lkw immer schwerer, länger, schneller. Wegen der zunehmenden «Lagerhaltung auf der Straße», des zunehmenden Weittransports und der Ablösung der Bahn als Transportmedium ist ihre Zahl stieg stark gestiegen.
In modernen Lastkraftwagen sind einige dieser Systeme allerdings schon im Einsatz. Es hat sich nur herausgestellt, dass viele Fahrer, die die Lenkzeiten nicht einhalten können oder dürfen, die Lenkzeitkontrolle zentral ausschalten, damit der Fahrtenschreiber nicht funktioniert. Damit werden jedoch in einigen Fällen auch elektronische Steuerungen außer Kraft gesetzt, die Sicherheitsfunktionen haben. Damit werden solche Lkw aus Termindruck oder Müdigkeit der Fahrer zu rollenden Zeitbomben.
Kontroll- und Überwachungsfunktionen
Wie bei allen digitalen Geräten, die der Standorterfassung, Fahrzeugsteuerung und Kontaktaufnahme im Internet dienen, geht es nicht nur um technische Ziele, sondern auch um Überwachung und Kontrolle. Je mehr digitales Management im Auto steckt, desto mehr kann ausgelesen werden. Je mehr dieser Funktionen ans Internet gebunden werden, desto mehr kann – jenseits von direkten Manipulationen, die es schon gegeben hat – auf das Fahrverhalten und die persönlichen Profile der Fahrer zugegriffen werden. Dies möchten zum Beispiel Versicherungen nutzen, um unsicheren oder rasanten Fahrern höhere Prämien abzuverlangen. Polizei und Behörden werden gern darauf zugreifen, um nicht nur Unfälle zu erforschen, sondern Rückschlüsse auf Fahrverhalten, Wege und Ziele von Personengruppen zu ziehen. Die Lkw-Mautbrücken spielten mit der Videoerfassung der Fahrzeuge auf den Autobahnen eine Vorreiterrolle, auch wenn «hoch und heilig» versprochen wurde, dass Pkw-Kennzeichen unmittelbar gelöscht würden.
Die Telematik der geplanten Pkw-Maut hätte dem nur noch die offizielle Einführung nachgereicht – sie wurde allerdings vorerst vom Europäischen Gerichtshof gestoppt. Zu fordern wäre da eine fahrzeuginterne Lösung der Sicherheitsprobleme auf den Straßen, ohne allgemeine Überwachung.
Viel entscheidender ist aber, dass mit allen diesen technischen Mitteln eine Ausweitung des Individualverkehrs gefördert wird, ähnlich wie schon mit der Förderung des Elektroautos. Anstatt das öffentliche Verkehrssystem auszubauen, werden die hochfliegenden Pläne der Autoindustrie gefördert, die Umweltbelastung ausgeblendet und die Verkehrsprobleme nicht beseitigt.
In Lunapark21, Nr.35, ist zum gleichen Thema ein ausführlicher Artikel von Bernhard Knierim erschienen, der auf unwägbare Risiken und rechtliche Probleme des autonomen Autofahrens eingeht und den wir hier empfehlen.
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