von Fabrizio Burattini*
Am 2.Oktober fanden in Brasilien Kommunalwahlen statt. Es ging darum, die Bürgermeister und Stadträte aller wichtigen Metropolen und von über 5000 weiteren Kommunen des größten Landes Lateinamerikas zu bestimmen. Es waren aber auch die ersten Wahlen nach dem institutionellen Putsch, der zum Sturz der Präsidentin Dilma Roussef von der PT (Arbeiterpartei) und ihrer Ersetzung durch den ehemaligen Vizepräsidenten Michel Temer von der rechten PMDB geführt hatte.
In der Abstimmung schlug sich die wachsende Politikverdrossenheit der Bevölkerung nieder, die durch die Skandale und Palastintrigen der letzten Monate noch verstärkt wurde. Die Nichtbeteiligung an den Wahlen und die Zahl der ungültig abgegebenen Stimmen hat in Brasilien in den letzten Jahrzehnten ein beispielloses Ausmaß erreicht – in einem Land, das traditionell von einer sehr hohen Wahlbeteiligung geprägt ist.
Doch diesmal haben die brasilianischen Wähler die beiden Parteien abgestraft, die am direktesten mit Dilmas Amtsenthebung zu tun hatten, die PT und die PMDB.
Die PT
Vor allem die PT erlitt eine bittere Niederlage. Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2012 hatte sie noch über 17 Millionen Stimmen erzielt, jetzt weniger als 7 Millionen. 60% der bislang von ihr verwalteten Städte musste sie abgeben, ein Rückgang von 644 auf 250 Kommunen. Und über 100 Gemeinden gingen ihr verloren, weil der als PT-Kandidat gewählte Bürgermeister nach der Wahl die Partei wechselte.
Vor allem hat die PT die Megametropole São Paulo verloren. Dort erhielt sie nur knapp 17% der über 6 Millionen abgegebenen Stimmen, sie fielen zu 53% dem Kandidaten der rechten PSDB zu. Der scheidende PT-Bürgermeister, Fernando Haddad, zahlte den Preis für seine neoliberale und autoritäre Politik, für die Räumung besetzter Häuser, die Verschärfung der Wohnungskrise sowie für den Versuch, die Fahrpreise für öffentliche Verkehrsmittel zu erhöhen – was 2014 von einer massiven Protestbewegung verhindert werden konnte.
Die Niederlage der PT wird noch größer, wenn man sich das Wahlverhalten im proletarischen Gürtel der Megametropole anschaut: 2012 hatte die PT alle wichtigen Zentren der Region São Paulo erobert (Santo André, São Bernardo, Diadema, Mauá, Guarulhos und Osasco); jetzt hat sie alle verloren, landesweit regiert sie keine Stadt mehr mit über einer halben Million Einwohner (was für Brasilien noch keine große Stadt ist). Beispielhaft ist die Niederlage in São Bernardo do Campo. Dort hatte der frühere Präsident Lula seine ersten gewerkschaftlichen und politischen Erfahrungen gemacht.
In zahlreichen Städten sackte die PT auf Resultate um die 5% ab. Unter den großen Städten gelang es ihr nur in ihrer traditionellen Hochburg Recife im Nordosten des Landes, in die Stichwahl zu kommen, sie findet am 30.Oktober statt.
Die PMDB
Aber auch die historische Partei der brasilianischen Bourgeoisie, die PMDB, hat bedeutende Städte verloren. So geht Rio de Janeiro ohne den scheidenden Bürgermeister in die Stichwahl. Stattdessen kommt es zu einer Konfrontation zwischen Marcelo Freixo, dem Kandidaten der PSOL (Partei des Sozialismus und der Freiheit), der 18,3% der Stimmen erhielt, und einem evangelikalen Prediger der mächtigen und reaktionären «Universalen Kirche» (einer Kirche der Pfingstbewegung), der von der rechtsgerichteten PRB aufgestellt wurde und der im ersten Wahlgang 27,8% der Stimmen erzielte. Der Kandidat der PSOL kommt in die Stichwahl, obwohl er von den Fernsehstationen weidlich ignoriert wurde.
Die PMDB, die Partei des amtierenden Staatspräsidenten Temer und Zielscheibe der Massenbewegung «Fora Temer» (Temer raus!), eroberte nur eine der Hauptstädte der 26 brasilianischen Bundesstaaten, die kleine Stadt Boa Vista, Hauptstadt des im äußersten Norden gelegenen kleinen Bundesstaats Roraima.
Polarisierung
Bei dieser Wahl konnten sich unter den zahlreichen angetretenen Parteien zwei besonders profilieren:
– die PSOL, die einen großen Teil der Stimmen einheimste, die die PT nach links verloren hat. Sie kam in zwei Städten in die Stichwahl: in der 15-Millionen-Metropole Rio und in Belém, der Hauptstadt des Bundesstaats Pará an der Mündung des Amazonas. In Rio präsentierte die PT keinen eigenen Bürgermeisterkandidaten, sondern unterstützte die Kandidatin der exmaoistischen PCdoB, Jandira Feghali, die für die Stichwahl zur Wahl des PSOL-Kandidaten aufruft. Die PSOL mit ihren über 2 Millionen Stimmen wird allmählich, angesichts der Krise der PT, als eine linke Alternative wahrgenommen.
– Auch die rechtsgerichtete PSDB stach bei dieser Wahl hervor. Sie konnte São Paulo bereits im ersten Wahlgang erobern. Ihr Sieg in den Vorstädten der Metropole hatte Plebiszitcharakter, wobei sie mit dem Millionär und Besitzer eines TV-Kanals João Doria Jr. einen «neuen Mann» präsentierte, der sich als «kein Politiker, sondern Verwalter» vorstellte. Sein Programm besteht in der «Entstaatlichung der Stadt, der Verschlankung der Maschine, die zu schwer ist und nicht funktioniert».
Der Einbruch bei den Wahlen wird gewiss eine Diskussion in der PT eröffnen. Einige führende Mitglieder erklären bereits, dass «eine Einheitsfront der Linken, um die Politik der herrschenden Klassen zu besiegen», aufgebaut werden muss. Dabei vergessen sie, dass die Partei bis gestern in einer Front mit der Finanz-, Industrie- und Agrobusiness-Bourgeoisie stand.
Immerhin hat die Führung der PT in ihrer Resolution über das Wahlergebnis dazu aufgerufen, in den Städten, in denen sie nicht in die Stichwahl gekommen ist, im zweiten Wahlgang die Kandidaten der Linksparteien PSOL, PCdoB, PDT und Rede Brasil Atual zu wählen.
Quelle: https://anticapitalista.org/2016/10/07/brasile-unimportante-elezione.
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