von Klaus Meier
Pfingsten 2016: Im kleinen Ort Welzow in der Lausitz demonstrierten mehrere hundert Menschen gegen den weiteren Abbau von Braunkohle in der Region. Die protestierenden Einheimischen sorgen sich, dass ihre Dörfer und ihr Lebensumfeld in naher Zukunft den gefräßigen Braunkohlebaggern zum Opfer fallen. Damit sind sie unter den in der Region Ansässigen aber eine kleine Minderheit. Denn die Lausitz ist über den Kohleabbau tief gespalten.
Vom Straßenrand aus werden die Demonstranten von finster dreinblickenden Bewohnern Welzows beobachtet, im Ort leben sehr viele Beschäftigte des Braunkohletagebaus. Auf die Frage von Reportern des rbb-Regionalfernsehens, was sie von der Demonstration halten, sagt ein Mann mit rauer Stimme: «Kohle ist für uns unsere Basis. Sonst kann man die Lausitz zumachen.» Eine ältere Frau setzt in aggressivem Tonfall hinzu: «Dann geht das Licht aus. Und was dann?» Der Verein «Pro Lausitzer Braunkohle» hatte die Stimmung vor den Pfingstprotesten aufgeheizt, indem er überall Plakate mit der hetzerischen Überschrift «Gewalt stoppen» aufhing.
Der große Crash nach dem Ende der DDR
Um die Lage in der Lausitz zu verstehen, muss man einen Blick auf die jüngere Geschichte werfen. Zu DDR-Zeiten war die Braunkohle der wichtigste Energieträger des rohstoffarmen Landes. 1988 wurden 310 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert. Damit wurden 70% der Primärenergie und 83% des Stroms erzeugt. In der Lausitz waren 1988 fast 100000 Menschen in den Braunkohletagebauen und der Energiegewinnung tätig. All das änderte sich nach der Übernahme der DDR durch die kapitalistische BRD.
Von 1989 bis 1994 wurde die Braunkohleförderung im Lausitzer Revier drastisch auf 41% der Fördermenge von 1989 heruntergefahren. Im gleichen Zeitraum fiel die Zahl der Erwerbstätigen bei der neu gebildeten Lausitzer Braunkohle AG von 79000 auf nur noch 20300. Auch danach wurden noch Arbeitsplätze abgebaut, heute gibt es nur noch rund 8000.
Die Folgen für die Menschen waren katastrophal. So sank die Einwohnerzahl von Hoyerswerda von einstmals 75000 auf heute nur noch 33000. Obwohl die Umstrukturierung mit enormer Wucht durchgeführt wurde, gab es nur wenig Widerstand – nicht zuletzt deshalb, weil viele ehemals im Braunkohlebergbau Beschäftigte in den «Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung» (ABS) aufgefangen wurden. Sie richteten Betriebsgelände her, entsorgten Müllkippen oder sanierten die städtische Infrastruktur.
Danach wurden die Braunkohletagebaue und die laufenden Kraftwerke in der Lausitz privatisiert und an den Vattenfall-Konzern übergeben. Doch angesichts sinkender Strompreise und des schlechten Images der Braunkohle rechnete sich das Lausitzer Engagement des schwedischen Staatskonzerns immer weniger.
EPH: Briefkastenfirma mit Braunkohle
Im Oktober 2016 hat der private tschechische Konzern EPH die Anlagen und Tagebaue in der Lausitz übernommen, mit Zustimmung der rot-roten Brandenburger Landesregierung, die glaubt, auf diese Weise Arbeitsplätze sichern zu können. Damit hat sie die Braunkohle jedoch einer dubiosen Krake übereignet und das nächste Desaster in der Lausitz ist vorprogrammiert.
Hinter EPH stehen nach Recherchen von Greenpeace nämlich drei Briefkastenfirmen, die auf Zypern registriert sind. Im Vordergrund von EPH steht der tschechische Geschäftsmann Daniel Kretinsky. Die Fäden im Hintergrund zieht der Oligarch Petr Kellner, der sich in den Wirren nach dem Ende der Planwirtschaft zahlreiche tschechische Unternehmen aneignen konnte und so zum Multimilliardär geworden ist.
Was will so einer mit der Braunkohle in der Lausitz? Zunächst muss man wissen, dass EPH die Anlagen und Tagebaue von Vattenfall de facto geschenkt bekommen hat. Obendrauf gab es noch Rückstellungen von 1,7 Milliarden Euro, die eigentlich für die Renaturierung der von der Braunkohle verwüsteten Landschaften einzusetzen sind. Ob dies wirklich passiert, ist angesichts des Appetits von EPH und seiner Hintermänner zu bezweifeln.
Rückstellungen veruntreut?
Das Kalkül von EPH ist jedenfalls klar. Das Unternehmen setzt darauf, dass es nach der Abschaltung des letzten AKW im Jahr 2022 bei steigenden Strompreisen noch einmal eine Renaissance für die Braunkohle geben wird. Sollte das so nicht eintreten, hätte EPH trotzdem seinen Schnitt gemacht. Und dafür hat vor allem die brandenburgische Landesregierung gesorgt.
Sie hätte bei der Übergabe der Braunkohletagebaue und Kraftwerke von Vattenfall an EPH nämlich die Option gehabt, nach §56 des Bundesbergbaugesetzes Sicherheitsleistungen zu definieren. Die hätten den EPH-Konzern dazu verpflichtet, im Falle einer Insolvenz die von Vattenfall beiseite gelegten Rückstellungen ausschließlich zur Beseitigung von Bergbauschäden einzusetzen.
Die Landesregierung hat aber keine Sicherheitsleistungen, sondern nur bilanzielle Rückstellungen verlangt. Bilanzielle Rückstellungen sind aber unternehmenseigene Werte, die im Insolvenzfall nicht erhalten bleiben. Sicherheitsleistungen sind dagegen eingefrorene Barmittel und Bürgschaften, die bei einer Insolvenz erhalten bleiben.
Bereits jetzt werden die notwendigen Renaturierungsmaßnahmen nach dem Ende des Braunkohleabbaus auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Das wackelige Konstrukt, das die brandenburgische Landesregierung mit EPH abgeschlossen hat, wird dazu führen, dass die Allgemeinheit am Ende auf den Kosten sitzen bleibt.
Das Fernsehmagazin Frontal 21 hat den brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) gefragt, warum die Landesregierung von EPH keine Sicherheitsleistungen verlange. Die lapidare Antwort: «EPH erfüllt alle gesetzlichen Anforderungen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.» So redet einer, der bereits weiß, dass er vermutlich an der zukünftigen Veruntreuung von Milliarden Euro mitgewirkt hat.
Klimaschutz und gleichzeitig Arbeitsplätze sichern: geht das?
Die brandenburgische Landesregierung verzichtet in bornierter Weise auf jeden Plan B für eine Lausitz ohne Braunkohle. Der Klimawandel wird von diesen Provinzpolitikern als Nebensache betrachtet. Viele Beschäftige der Lausitzer Tagebaue und Kraftwerke ahnen deshalb schon, dass sie am Ende auf der Strecke bleiben werden. Gegenüber dem Landesrundfunk rbb äußerte sich ein junger EPH-Beschäftigter in aufschlussreicher Weise: «Eine konkrete Idee, was passieren soll, fällt mir auch nicht ein. Man bräuchte Industriearbeitsplätze, die auch gut bezahlt sind. Aber wo die herkommen sollen, weiß ich auch nicht. Dummerweise aber die Politiker, die sich damit befassen, auch nicht. Es wird immer nur gesagt: Strukturwandel jetzt und sofort. Aber eine Idee ist halt nicht da.»
Fest steht: Die 8000 Lohnabhängigen, die heute im Braunkohleabbau und in den Kraftwerken der Lausitz arbeiten, sind nicht die wirklichen Gegner der Klimabewegung. Tatsächlich werden sie von der Landesregierung und EPH betrogen. Wenn der Braunkohletagebau in naher Zukunft eingestellt wird – und das ist angesichts der schrecklichen Bedrohungen durch den Klimawandel unvermeidbar –, drohen sie die Leidtragenden zu sein. Die linken Kräfte in der Klimabewegung sollten daher offensiv dafür eintreten, dass die Lohnabhängigen nach dem Ende der Braunkohle abgesichert und weiterbeschäftigt werden. Es ist ein großer strategischer Fehler, wenn das ignoriert wird.
Es gibt auf jeden Fall genug Arbeit. So müssen die mehrere 10000 Hektar großen Tagebaue, die heute einer Mondlandschaft gleichen, saniert werden. Geschieht das nicht, droht Gefahr. Das wieder aufsteigende Grundwasser nach dem Ende der Tagebaue trägt Schwefelsäure und lösliche Eisenverbindungen an die Oberfläche, was zu versauerten, biologisch toten Gewässern führen würde. Dies kann nur durch die aufwendige Zufuhr von Fließgewässern, die in die Tagebaue umzuleiten sind, verhindert werden. Weiterhin müssen die Steilwandungen der Tagebaue abgeflacht und gesichert werden. Sonst würde das aufsteigende Grundwasser gefährliche Fließrutschungen auslösen. Hier ist für die nächsten Jahre reichlich Arbeit.
Weiterhin könnte in der von der Braunkohle gebeutelten, strukturschwachen Lausitz die Grundlage für einen sanften Tourismus gelegt werden. Dafür könnte bspw. in der Lausitz und in Cottbus ein durchgängiges Radwegenetz aufgebaut werden. Es gibt zahlreiche weitere Arbeiten, die von den Beschäftigten, die heute noch im Braunkohlebereich tätig sind, in Zukunft bei voller Sicherung ihrer Bezüge geleistet werden könnten. Man muss es nur wollen.
Aber sollte der Staat selber Arbeitsplätze schaffen? Die Antwort ist ein klares Ja. In der Zeit des strukturellen Umbruchs am Ende der DDR war dies auch möglich. 1994 waren rund 2 Millionen Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beschäftigt. Mit dem Umbau hin zu einer nichtfossilen Gesellschaft werden wir erneut große Strukturveränderungen erleben. Und es ist daher wichtig, die Lohnabhängigen nicht im Regen stehen zu lassen, sondern sie auf dem Weg mitzunehmen. Das bedeutet Weiterbeschäftigung.
Die wenigen Lohnabhängigen in der Lausitz, die nach dem Ende der Braunkohle abgesichert werden müssen, sind im Vergleich zu den Millionen zu Beginn der 90er Jahre ein Klacks. Und Geld für eine Weiterbeschäftigung ist genug da. So gab es allein im ersten Halbjahr 2016 laut Statistischem Bundesamt einen Überschuss im Bundeshaushalt in Höhe von 18,5 Milliarden Euro. Der deutsche Staat hat damit im dritten Jahr in Folge mehr eingenommen als ausgegeben.
Und allein durch eine Erbschaftsteuer, die nicht die Reichen im Lande bevorzugt, könnten weitere Milliarden eingenommen werden. Es ist also genug Geld da, um den Klimaschutz durchzusetzen, bei gleichzeitiger Absicherung der Lohnabhängigen, die heute noch in der Kohle arbeiten.
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