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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2016
In einem Referendum wurde das Friedensabkommen mit der FARC abgelehnt
von Ainara Lertxundi*

Am 2.Oktober stimmte die kolumbianische Bevölkerung mit einer knappen Mehrheit von 50,2% gegen das Friedensabkommen, das in einem vierjährigen Prozess zwischen der Regierung und den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) ausgehandelt worden war. Die Wahlbeteiligung lag bei historisch niedrigen 37,4%. Das Abkommen sieht einen Waffenstillstand sowie u.a. eine Landreform und eine Bekämpfung des Drogenhandels vor. Die FARC will sich trotzdem am den Waffenstillstand halten.

 

Die Ablehnung des Friedensabkommens hat für alle sichtbar gemacht, was man bereits ahnen konnte, aber nicht offen aussprechen wollte: Die Unterstützung, die der Prozess des Dialogs von der Weltöffentlichkeit genossen hat, entspricht nicht dem, was in Kolumbien wirklich geschehen ist. Die Friedenspädagogik ist gescheitert, trotz des Werbemarathons, den die Verhandlungsführer der Regierung zwischen dem Ende der Verhandlungen am 24.August und der Volksabstimmung am 2.Oktober hingelegt haben. Die Friedenspädagogik hat nicht ausgereicht, dem Zyklus der Gewalt, der im Lauf von fünf Jahrzehnten 220000 Tote gekostet hat – laut dem «Nationalen Zentrum der historischen Erinnerung» zu über 80% Zivilpersonen – ein Ende zu setzen.

Das Referendum, das von Präsident Juan Manuel Santos von Anfang an verteidigt wurde, hat alle Kompromisse, die im Schlussabkommen erreicht waren, in Frage gestellt und lässt die FARC komplett im Dunkeln. Es sei daran erinnert, dass die FARC strikt gegen ein Referendum als Mechanismus der Zustimmung zum Schlussabkommen war, stattdessen hatte sie die Bildung einer verfassunggebenden Nationalversammlung vorgeschlagen. In einem internen Dokument bezeichnete sie das Referendum als eine «fremde und exotische Initiative im Verhältnis zu den angestrebten Zielen». Weiter heißt es dort: «Wir [die FARC] lehnen es nicht nur ab, weil die Formel nicht abgesprochen ist, sondern weil es die unpassendste und ungünstigste aller Initiativen ist.»

Am 23.Juni 2016 jedoch, als das Abkommen noch vor der offiziellen Beendigung des Konflikts im Beisein von Präsident Santos und UN-Generalsekretär Ban Ki-moon der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, verkündeten die Verhandlungsdelegationen beider Seiten, sie seien überein gekommen, dem Verfassungsgericht einen Weg zur Billigung des Abkommens vorzulegen, den es beurteilen sollte – nämlich den Weg des Referendums.

In einem Artikel vom 8.September in El Tiempo stellte der Journalist John Carlin die Frage: «Plebiszit… oder ‹Plebizid›?» Er merkte an, eine «solche Möglichkeit, dem Krieg ein Ende zu bereiten, gibt es nicht alle Tage … Wird man zur Zukunft ‹Ja› und zur Vergangenheit ‹Nein› sagen? Die Welt wird es beobachten.»

Bei einem in Cartagena von der großen Wochenzeitschrift Semana aus Bogotá am Tag der Unterzeichnung des Abkommens organisierten Runden Tisch stellte John Carlin den Diskussionsteilnehmern die Frage, «ob sie so sicher sind, dass das ‹Ja› sich durchsetzen wird». Alejandro Santos, Chefredakteur dieser Zeitschrift, antwortete ihm, er habe Vertrauen in «den gesunden Menschenverstand und die Weisheit eines Volkes», «das so viel erlitten hat». Er warnte davor, ein Sieg des «Nein» werde in einem «wackligen» politischen und ökonomischen Moment «ein Sprung ins Nichts» sein.

 

Gespaltenes Land
Solche Stellungnahmen bekannter kolumbianischer Journalisten und die Medienberichterstattung über das Abkommen, insbesondere in der Endphase des Prozesses, haben eindeutig nicht gereicht, das Abkommen und überhaupt den Friedensprozess in der Bevölkerung zu verankern und ihr seine Bedeutung zu vermitteln. Eine Quelle, die der Verhandlungsdelegation der Guerillla nahesteht, ließ durchsickern, «eines der großen Probleme» während des Dialogs sei das mangelnde Interesse für den konkreten Text des Abkommens und seine Vermittlung an den «einfachen Bürger» gewesen, d.h. an diejenigen, die den Konflikt nicht am eigenen Leib erlebt haben und in den Mitgliedern der FARC nur «Terroristen» mit Verbindungen zum Drogenhandel sehen. Ihnen wurden die Vorteile, die der Frieden und die Abwesenheit des Konflikts auch für sie bedeuten, nur unzureichend klargemacht.

Das Ergebnis des Referendums zeigt, dass viele Menschen im Schlussabkommen nur die Gesichter von Präsident Santos und FARC-Führer Timochenko gesehen haben, beide sollten abgestraft werden, und das hat dazu geführt, dass über 62% der Wahlberechtigten sich der Stimme enthalten und knapp über 50% dagegen gestimmt haben.

Darüber hinaus hat das Ergebnis die beiden Seelen Kolumbiens zum Vorschein gebracht, die im Land koexistieren. Das mehrheitliche «Ja» zum Frieden in den am meisten vom bewaffneten Konflikt betroffenen Regionen kontrastiert mit dem «Nein» in den städtischen Zonen, in denen der Krieg nicht mit gleicher Intensität wahrgenommen wurde.

Verglichen mit den vier Jahre dauernden Verhandlungen waren die letzten Etappen sehr kurz. Die zehnte nationale Konferenz der FARC fand vom 17. bis 23.September statt. Die protokollarische Akte wurde am 26.September unterzeichnet. In dieser Zeit haben die Verfechter des «Nein», an deren Spitze sich Ex-Präsident Álvaro Uribe und der ehemalige Chefankläger Alejandro Ordóñez befanden, keine Zeit verloren.

Trotz der ausdrücklichen Unterstützung des Friedensprozesses durch den Papst haben die Hierarchie der katholischen Kirche Kolumbiens und die ultrakonservativen evangelikalen Kirchen ihr bedeutendes und entscheidendes Gewicht gegen das Friedensabkommen in die Waagschale geworfen. Dabei wurden Ängste geschürt, die «traditionelle Familie» werde unterwandert, Kolumbien werde sich in «eine homosexuelle Diktatur» verwandeln und das Land «dem Kommunismus ausgeliefert». Anlass dafür bot ein Passus im Abkommen über die gleichberechtigte Stellung der Frau.

Elena Ambrosi, die zur Verhandlungsdelegation der Regierung gehörte, bestand darauf, dass «die Furcht uns nicht dazu verurteilt, weiterzumachen wie bisher». Paradoxerweise hat die Angst derer, die am wenigsten vom Krieg zu befürchten und am wenigsten unter ihm zu leiden haben, sich denen gegenüber durchgesetzt, die mehrheitlich den Friedensprozess unterstützt haben.

 

* Quelle: www.vientosur.info/spip.php?article11752.

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