dokumentiert
Zum Beitrag hat uns eine Reihe von Leserbriefen erreicht, die wir nachstehend leicht gekürzt wiedergeben.
Was kommt nach Assad?
Am Beginn des Kampfes um Demokratie in Syrien war die Losung «Assad muss weg» möglicherweise zielführend und verständlich.
Aber was ist heute?
Mit dem Titel des Beitrags und dem Untertitel steigt ihr voll in das Kriegsgeschrei der USA ein. Es scheint, als ob Russland Urheber des Krieges in Syrien wäre.
Die USA und ihre Verbündeten haben die Forderung «Assad muss weg» okkupiert und versuchen, sie in ihrem Interesse durchzusetzen – ohne Rücksicht auf Verluste.
Heute, wo die Kräfte des Fortschritts in Syrien marginalisiert sind stellt sich doch die Frage: was kommt nach Assad. Diejenigen Kampftruppen, die sich nicht mal von den radikalsten islamistischen Kämpfern distanzieren, lassen nicht erwarten, dass sie fortschrittliche, säkulare, demokratische Regierungsformen bringen. Die wichtigste Frage ist doch, wo sind die demokratischen Kräfte, und wie sind sie aufgestellt. Ich sehe sie nicht.
Es ist vielmehr zu befürchten, dass sich die von Kristin Helbig genannten Clans und andere wirtschaftlich Mächtige durchsetzen. Oder dass das Land zerfällt wie Libyen und Irak. Manchmal hilft ja schon die einfache Frage: «Wem nützt es?», wenn die westlichen Medien das Trommelfeuer gegen Assad und Putin richten. Da wird schnell vergessen, dass es die USA waren, die den Waffenstillstand mit der Bombardierung der Regierungstruppen gebrochen haben.
Ohne Beendigung der Waffenlieferungen, ohne sofortigen Waffenstillstand und dann möglichen Gesprächen unter Einbeziehung aller Beteilgten, wird es keine Lösung in Syrien geben.
Sonja Schmid
Einseitig
Der Artikel von Kristin Helberg ist bemerkenswert: er fällt besonders durch die Einseitigkeit der Autorin bei der Betrachtung von Ursachen und Wirkung der Verhältnisse in Syrien auf, und: er wird ohne jeden kritischen Kommentar am Inhalt abgedruckt.
Für die fürchterlichen Zustände des vom Bürger-(Stellvertreter-)Krieges geschundenen Landes und seiner Menschen seien hauptsächlich die syrische Regierung und Russland verantwortlich und gipfeln in der Aussage «Russland und die USA wären deshalb gut beraten, Syriens islamistische (!) Rebellen zu Verbündeten im Kampf gegen den IS zu machen und deren Hauptfeind Assad so unter Druck zu setzen, dass dieser den Weg für eine Verhandlungslösung freimacht.»
Hier wird völlig unter den Tisch gekehrt, dass die syrische Regierung auf Druck Russlands Verhandlungen unter Einbeziehung der Rebellen (außer IS) zugestimmt hat, die aber von Teilen der islamistischen Rebellen abgelehnt wurden. Auffällig ist auch, dass die letzte befristete Waffenruhe durch einen Luftangriff auf syrische Regierungseinheiten um Aleppo torpediert wurde und das betreffende Gebiet danach wieder von Islamisten unter Kontrolle gebracht werden konnte. Die kurz darauf folgende Vernichtung des Hilfskonvois für die Eingeschlossenen im Osten von Aleppo (es ist immer noch umstritten, wer die Verantwortung dafür trägt) führte zur Wiederaufnahme der Bombardements, was ganz klar inhuman und dumm ist – was aber ist in diesem Krieg human und klug?
In der Januar-Ausgabe 2016 von «Avanti – Zeitung des RSB» («Der Krieg in Syrien und der Terror von Paris») werden die Ursachen und die Verantwortlichkeiten des Krieges in Syrien differenzierter dargestellt, als sie im Artikel von Kristin Helberg zu finden sind. Die Autorin blendet auch aus, dass es große Teile der syrischen Gesellschaft gibt, die hinter der Regierung Assad stehen. Sie reduziert diese loyalen Kräfte auf Geheimdienst und Verwaltung. Anscheinend hat Kristin Helberg vergessen, dass sie bis 2008 ein anderes Bild von den Verhältnissen in Syrien schilderte, als sie noch positive Entwicklungen in dem Land vorfand.
Was die humanitäre Sorge des Westens betrifft, so ist diese teilweise geheuchelt. Dass auch von Regierungstruppen kontrollierte Gebiete beschossen werden, auch dort Menschen sterben und lebenswichtige Infrastrukturen zerstört werden, darüber findet man in besagtem Artikel kein Wort.
Einem UN-Bericht zufolge, wird «die Hauptverantwortung für die katastrophale Lage in Syrien dem Sanktionsregime der USA und der Europäischen Union angelastet». Der Bericht wurde schon im Mai erstellt, aber erst am Sonntag von der Zeitschrift The Intercept veröffentlicht, nachdem ihr eine Kopie des Berichts zugespielt worden war. Er beschuldigt Washington und Brüssel, dass sie seit 2011 «eines der kompliziertesten und weitreichenden Sanktionsregimes verhängt haben, das es je gegeben hat» (wsws, 5.10.16 und The Intercept, 28.9.16).
Die SoZ weist darauf hin, dass der Artikel von K.Helberg bei Qantara.de zuerst erschienen wäre. Interessant ist daran, dass an Qantara.de die Deutsche Welle, das Goethe-Institut, die Bundeszentrale für politische Bildung beteiligt sind und vom Institut für Auslandsbeziehungen des Auswärtigen Amtes gefördert wird. Kristin Helberg unterstützt die Initiative «Adopt a Revolution», die bereits 2013 vom Berliner Bündnis gegen Krieg und Militarisierung kritisiert wurde, weil diese Initiative sehr früh ein bewaffnetes Engagement des Westens für die sogenannte FSA (Indymedia.de, 21.2.13) und zum Sturz des syrischen Präsidenten gefordert hat. Es gibt zahlreiche Kritiken an den einseitigen Darstellungen und Äußerungen von Kristin Helberg, u.a. auch von der Informationsstelle Militarisierung e.V. (Tübingen). Als Literatur zu diesem komplexen Thema empfehle ich auch Wolfgang Gehrcke/Christiane Reymann: «Syrien. Wie man einen säkularen Staat zerstört und eine Gesellschaft islamisiert».
Kristin Helberg hat einige Jahre in Syrien gelebt und gearbeitet und wird hier als Expertin zitiert. Dadurch weiß sie sicher sehr viel über das Land und die Menschen dort, allerdings gibt es auch politisch Aktive aus Syrien, die zu einer ganz anderen Bewertung als K.Helberg kommen. Syrien versinkt wie vorher der Irak und Libyen in Chaos und Zerstörung – nicht weil es massenhafte Volkserhebungen gegen die jeweiligen Regierungen gab, sondern weil das imperialistische Lager, voran die USA und Teile der EU mit ihrer Einflussnahme den Flächenbrand angefacht haben. Geopolitische Interessen führten in Syrien zu einem Konflikt zwischen dem US-geführten Lager und der Russischen Föderation. Die anfängliche soziale Protestbewegung gegen die Regierung und die in diesem Zusammenhang getöteten Demonstranten konnten thematisch schnell besetzt und instrumentalisiert werden, hier haben wir eine parallele Entwicklung wie bei dem ukrainischen Maidan. Der Weg zum Frieden in Syrien ist nur mit der syrischen Regierung möglich, im Sinne der Überschrift des SoZ-Artikels: mit Assad als dem gewählten Präsidenten.
Georg Heidel
Ein Sturz Assads bringt auch keinen Frieden
Frau Helberg hat in dem von der SoZ aus »Qantara», der Online-Zeitschrift der Deutschen Welle, übernommen Artikel eine Vielzahl wichtiger Fakten zusammengetragen. Ihren Schlussfolgerungen vermag ich dennoch nicht zu folgen.
– Sie spricht (hier wie die imperialistsche Propaganda) durchgehend von «Assad», der entmachtet werden müsse. Kein Regime dieser Welt besteht aber nur aus oder stützt sich nur auf eine Person. Bashar al-Assad ist mehr noch als sein Vater Hafiz, der immerhin lange Jahre Luftwaffengeneral und schließlich Oberbefehlshaber de syrischen Armee war, Repräsentant wenn nicht gar nur Aushängeschild eines weitverbreiteten Netzwerks der syrischen Gesellschaft, nicht zuletzt eines führenden traditionellen Clans, nämlich der Assad(s) aus der alawitischen Minderheit, die ihrerseits nach der Unabhängigkeit Syriens infolge der Zerschlagung des (sunnitischen) Omanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg eine zentrale Rolle in der syrischen Armee einzunehmen begann. Über ihre Herrschaft und die mit ihr verbundenen sozioökonomischen Maßnahmen konnte sie in Gestalt der kleinbürgerlich-nationalistischen Baath-Partei verschiedenste soziale Schichten und Gemeinschaften an sich binden, die unter dem osmanischen Sultanat zwar geschützten aber nicht gleichberechtigten nichtsunnitischen Minderheiten – außer den Alawiten selbst eben Christen, Drusen und Schiiten. Darüber hinaus gelang es ihr aber auch wesentliche modernistische Teile der sunnitischen Handelsbourgeoisie zu kooptieren. Wie die blutige Revolte von Hama Anfang der 80er Jahre gezeigt hatte, war ihr das in Hinblick auf die traditionalistischen Sektoren der sunnitischen (Klein-)Bourgeoisie nicht gelungen. Diese sah vor allem in der Muslimbruderschaft ihre soziopolitische Repräsentantin. Die Muslimbruderschaft ist heute eine zentrale Kraft in der syrischen (Exil-)Oppostion. Ein Sturz von Bashar al-Assad wird somit von einem nicht unerheblichen Teil der syrischen Bevölkerung mit großer Wahrscheinlichkeit als Bedrohung ihrer sozialen und politischen Gruppeninteressen betrachtet. Davon kann man ausgehen, auch wenn man von den Ergebnissen der letzten «Wahlen» in Syrien nicht besonders viel hält.
– In der Tat ist das Regime wie die Autorin richtig sagt vom Ausland abhängig. Welches Regime in der imperialistischen Peripherie wäre aber nicht vom Ausland – genauer von einigen ausländischen Staaten und Kräften – abhängig, nachdem sich die militärisch und wirtschaftlich stärksten Kräfte im Ausland – die NATO-Staaten unter Führung der USA, die Ölmonarchien der arabischen Halbinsel sowie Israel und sogar Länder wie Australien, das sich im September an der Bombardierung syrischer Soldaten beteiligt hat – spätestens seit Beginn des bewaffneten Aufstands gegen das Regime vor fünfeinhalb Jahren entschieden hatten, ihren alten Plan zum «regime change» zu verwirklichen – durch einen tiefgreifenden Wirtschaftsboykott und die politische und materielle Unterstützung für die bewaffnete Opposition (darunter Waffenlieferung, Ausbildungshilfe etc.)? Dass die Kräfte, die das Assad-Regime heute militärisch unterstützen, das nicht aus Liebe zu ihm tun, liegt auf der Hand. Russland hat ein generelles Interesse daran, sich der Einkreisung durch die USA und ihren Anhang zu erwehren und seine einzige Auslandsmilitärbasis, nämlich die einzige Marinebasis im Mittelmeerhafen Tartous, zu verteidigen. Der Iran und mit ihm die libanesische Hezbollah unterstützen das syrische Regime nicht, weil es ihm etwa religiös nahestünde. In der Tat können die alawitischen theologischen Vorstellungen von den im Iran herrschenden Zwölfer-Schiiten nur als absolute Ketzerei angesehen werden. Was sie verbindet, ist die Feindschaft, mit der sie seitens ihre Gegner von den USA über Israel bis hin zu den traditionell schiitenfeindlichen Wahhabiten und Muslimbrüdern konfrontiert sind. Ob also das Regime so schwach wäre, wenn nicht nur es selbst, sondern auch die «Rebellen» keine Hilfe (Waffen, Geld und nicht zuletzt Kämpfer) von außen erhielten, dürfte nur schwer zu ermitteln sein.
– Frau Helbergs Nebenbemerkungen über die Kriegsverbrechen sind relativ irrelevant. Es herrscht Krieg, sogar z.T. ein Bürgerkrieg, und da sind Kriegsverbrechen von allen Seiten überall Gang und Gäbe.
– Frau Helberg behauptet, dass Assads Abgang Voraussetzung für ein Ende des Krieges sei. Das träfe vielleicht zu, wenn es außer ihren frommen Wünschen irgendeinen Hinweis darauf gäbe, dass sich die Feinde des Regimes danach auf einer Basis vereinigen könnten, die eine Regierungsbildung für ganz Syrien ermöglichen würde. Man bedenke aber, dass diese Leute es seit fünf Jahren nicht geschafft haben, ein Mindestmaß an politischer und militärischer Einheit herzustellen – es sei denn eine militärtaktische unter der Führung takfiristischer (d.h. jener Muslime, die Muslime anderer Richtung als «Ungläubige» oder gar «Abtrünnige» und somit gegebenenfalls hinzurichtende bezeichnen) Jihadisten à la Jabhat an-Nusra, Ahrar ash-Sham oder IS etc. etc. Was macht Frau Helberg so hoffnungsfroh, dass sie uns erzählen will, dass nur, weil sicher die Mehrheit der Syrer weiter rauchen und musikhören wollen, die Jihadisten, die ja ganz offen erklären, dass der Wille der Menschen völlig uninteressant sei, wenn er dem (natürlich von ihnen interpretierten) Willen Gottes widerspreche, ihre blutig erkämpfte Machtposition zur Disposition stellen lassen würden?
– Zum Abschluss: es ist möglich, dass das syrische Regime nicht in der Lage sein wird, den Krieg – und damit bis aus weiteres den Frieden – für sich zu entscheiden. Dass sein Sturz durch «die» bewaffnete Opposition aber Frieden und ein Mindestmaß an Stabilität ermöglichen würde, scheint mir ausgeschlossen. Die unbewaffnete Opposition hat ohnehin nichts zu melden.
Anton Holberg
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