Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2016

Stimmen zum 3.Oktober
dokumentiert

Zbigniew Kowalewski, Mitbegründer von Solidarnosc:
«Die Dynamik und der Schwung des montäglichen ‹schwarzen Protestes› überraschte alle – die Initiatoren und Organisatoren, die Teilnehmer selbst, die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die Kirche, die Opposition, alle. In diesem Land, in dem seit 25 Jahren an den wenigen Protesten, die es gibt, jeweils nur ein paar hundert Leute teilnehmen, selten mal tausend oder ein paar tausend Menschen, setzten im Dezember 2015 organisierte Proteste mit Zehntausenden Beteiligten ein, die vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) organisiert waren. Das ist ein großes Problem für die PiS, denn alle waren an die kleinen Grüppchen gewöhnt. Seit Jahren wird zum 8.März mobilisiert, es kommen maximal 3000 Personen in Warschau zusammen, und in den letzten Jahren wurden es immer weniger, in diesem Jahr waren es weniger als tausend.

Und jetzt, mit einem Mal, dieser große Sprung: 30000 in Warschau, 20000 in Wroc?aw und viele Tausende in anderen Städten. Zusätzlich sind viele Frauen – mehrere hunderttausend, vielleicht sogar einige Millionen – im ganzen Land, selbst in kleinen Städten schwarz gekleidet zur Arbeit, in die Schule usw. gegangen.

Es war klar, der nächste schwarze Protest würde noch stärker, er würde sich organisieren, sich radikalisieren und auch andere Gesetze unter die Lupe nehmen, auch den jetzigen Abtreibungsparagrafen. Also haben die Parlamentarier, die Regierungspartei, die Regierung und die Bischofskonferenz einen großen Schreck bekommen und haben diese Gesetzesinitiative gestoppt. Sie haben begriffen, dass sie einen großen Fehler gemacht haben. Hätten sie das nicht getan, bekämen sie noch viel größere Probleme als mit dem KOD, der ja eine polnische Bürgerbewegung gegen die Aushebelung der demokratischen Rechte durch die neue Regierung ist – ein größeres und ein viel gefährlicheres Problem. Das ist für eine schwere, spektakuläre Niederlage und ein großer Sieg für den ‹Schwarzen Protest›.»


Darek Zalega, Journalist und ­Autor:
«Sogar in kleinen Ortschaften wurde protestiert. Das war ein echter Schock. Sicherlich werden sie versuchen, die Menschen zu demobilisieren, um ihr Vorhaben auf andere Weise durchzusetzen. Aber wir wissen auch, dass das Umfeld der PiS wenig beweglich ist – also, wir werden sehen.»


Stanis?aw Obirek, Historiker und Theologe:
«Besonders war ich über die Teilnahme von Jugendlichen erfreut und ihre ungewöhnliche Kreativität, die in lautstarken Losungen und auf ihren Plakaten zum Ausdruck kam. Die PiS und die katholischen Kirche haben allen Grund sich zu fürchten. Heute haben die Frauen gezeigt, dass sie sich nicht mit den Füßen treten und manipulieren lassen. Ich würde mir wünschen, dass das KOD von diesen Frauen lernt, auf welche Weise und auf welche Probleme reagiert werden muss – auf weise Art reagieren, aber auch mit Leidenschaft. Das war der Beginn einer besseren Zukunft und ich war dabei! … Die PiS war erschrocken über die Massenproteste und hat die Grenzen ihrer Arroganz erkannt. Das Problem wird sein, wie sie Ordo Iuris zufriedenstellen will – diese Stiftung zur «Rechtskultur», die eine sehr intelligente, katholisch-fundamentalistische Institution ist, die dem Opus Dei nahe steht.»


Gosc Niedzielny, ein konservatives katholisches Portal:
«Das Scheitern des totalen Abtreibungsverbots ist für Anhänger der PiS unerträglich. Einen solchen Zirkus an Lügen, Zynismus und Geringschätzung gegenüber den eigenen Wählern, wie ihn die Politiker der PiS in den vergangenen zwei Tagen gezeigt haben, hat es im polnischen Parlament schon lange nicht mehr gegeben. In der 1.Lesung haben sie zugestimmt und die Initiative (Ordo Iuris) an die Ausschüsse verwiesen, wo man es auch noch hätte ändern können. Nach dem 3.Oktober wurde es vom Sejm einfach abgelehnt.»

Anmerkung der Redaktion: Der Chefredakteur dieser Wochenzeitung wurde 2007 in zweiter Instanz verurteilt, weil er Alicja Tysiac als verhinderte Mörderin bezeichnet und die Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), die ihr beistanden, mit KZ-Schergen verglichen hatte.

Alicja Tysiac ist eine von Geburt an sehbehinderte Polin, die nach zwei Schwangerschaften gewarnt wurde, bei einem dritten Kind könnte sie erblinden. Als sie zum dritten Mal schwanger wurde, hätte sie nach polnischem Gesetz die Schwangerschaft unterbrechen können. Die Frauenärzte weigerten sich jedoch, eine solche Bescheinigung auszustellen, und das Attest ihrer Hausärztin wurde vom Krankenhaus nicht anerkannt. Nach der Geburt des dritten Kindes wurde Tysiac fast blind und damit arbeitsunfähig. Tysiac klagte, da sie vor polnischen Gerichten aber kein Recht bekam, zog sie schließlich vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der ihrer Klage stattgab und den polnischen Staat zur Zahlung von 25000 Euro Schadenersatz verurteilte.

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