von Johanna Scheringer-Wright*
Manchmal überschlagen sich Ereignisse. DNA-Spuren vom toten Neonazi Uwe Böhnhardt wurden auf einem Stofffetzen nahe des Fundorts des Skeletts gefunden, das der seit 2001 vermissten kleinen Peggy in Südthüringen zugeschrieben wird. In Chemnitz wurde ein mutmaßlicher syrischer Terrorist, der ein Sprengstoffattentat geplant haben soll und von syrischen Landsleuten an die Polizei übergeben wurde, in der Untersuchungshaftzelle erhängt aufgefunden. Ein sogenannter Reichsbürger hat im mittelfränkischen Georgensgmünd einen Polizisten erschossen. Innenminister tun so, als hätten sie das erste Mal von Reichsbürgern gehört, und wollen deren Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörden verschärfen. Für Thüringen wird angenommen, dass es mindestens 500 Menschen gibt, die sich den Reichsbürgern zuordnen.
Viele Menschen haben eine unangenehme Ahnung, hier würden wieder einmal Fakten und Zusammenhänge verschwiegen. Kommt das nur von der Erinnerung an das totale Versagen der Verfassungsschützer und der Polizei bei den Ermittlungen gegen den NSU? Kommt es daher, dass trotz intensiver Beteiligung der Polizei und der Geheimdienste Aufklärung immer wieder nicht klappt?
Im Gedächtnis haften bleiben die Tatorte und die Häufung der Vorfälle in den Regionen Thüringen, Sachsen und Bayern. In allen Fällen spielten und spielen die Verfassungsschutzämter eine undurchschaubare Rolle. Es stellt sich unweigerlich die Frage: Welche Netzwerke gibt es da im rechten Untergrund, unter den (blinden?) Augen der Behörden und gehätschelt von Beamten, die selber rechtsorientierten Weltbildern anhaften?
Erinnern wir uns. In Thüringen konnte sich unter den Augen der Polizei, weiterer Behörden und des Verfassungsschutzes in den 90er Jahren ein Thüringer Heimatschutz entwickeln, der neonazistisches Netzwerk war, politisch sehr aktiv und gewalttätig und in den NSU mündete, auf dessen Konto mindestens zehn Morde gehen. Es gibt die Aussage vom ehemaligen Anführer des thüringischen Heimatschutzes, wonach es eine zuverlässige Quelle im Landratsamt Jena gab, die den Neonazis alle relevanten Informationen über zivile Polizeistreifen mitteilten. Das sogenannte NSU-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe konnte somit immer wieder fliehen, es entwischte Polizeizugriffen und wurde zudem über V-Leute des Thüringer Verfassungsschutzes mit Geld und Waffen versorgt. Banküberfälle und vor allem eine beispielslose Blutspur zogen sich als Resultat durch die Republik.
Polizeibeamte in Baden-Württemberg aus dem unmittelbaren Umfeld der erschossenen Polizistin Michelle Kiesewetter, die aus Südthüringen stammte, waren Mitglieder des Ku-Klux-Klan. Polizeibeamte in Bayern und Sachsen-Anhalt werden Reichsbürgern zugeordnet. Auch ohne hier tiefer auf die im Laufe des Prozesses gegen Zschäpe plötzlich verstorbenen Zeugen einzugehen, ist es unwahrscheinlich, dass die zehn bekannten Morde, die durch Selbstenttarnung des NSU ans Licht kamen, die einzigen sind, die von den Beteiligten dieser Netzwerke begangen wurden.
Nun werden Sonderkommissionen gebildet um endlich die ungeklärten Kindermorde der letzten 25 Jahre in der genannten Region wieder aufzurollen. Immerhin ist inzwischen ja auch ein Verbindungsmann des Thüringer Verfassungsschutzes rechtskräftig verurteilt wegen Missbrauchs von Minderjährigen und Vermittlung von Minderjährigen in die Prostitution. Der Bund der Thüringer Kriminalbeamten sieht die Sonderkommission zu ungeklärten Kindertötungen in Thüringen kritisch. Nach jahrelangem Stellenabbau seien die Inspektionen am Rand ihrer Belastungsgrenze angekommen, heißt es in einer Stellungnahme der Gewerkschaft. Mit diesen Rahmenbedingungen sei es schwierig, anspruchsvolle kriminalistische Feinarbeit unter den Augen der Öffentlichkeit zu leisten.
Das ist eine interessante Aussage vor dem Hintergrund, dass einzelne dieser unaufgeklärten Morde bis ins Jahr 1990 zurückgehen. Ist der Ruf nach mehr Personal heute glaubwürdig? Ist er wirklich ein Hilferuf? Soll damit das rechtskonservative Credo nach mehr Überwachung und Polizeikontrolle unterstützt werden? Oder soll er gar dazu dienen, «Misserfolge» in der Fahndung schon mal vorab zu erklären?
Die Frage ist doch: Warum gab es nach dem Auffliegen der Verstrickung der Ämter für Verfassungsschutz in den NSU keine ernsthaften Konsequenzen? Es gab Untersuchungsausschüsse, aber gab es nur einen Prozess wegen Strafvereitelung im Amt? Und wie läuft heute die Aufklärungsarbeit der Geheimdienste, hat sich da wirklich etwas geändert? In Sachsen scheint alles drunter und drüber zu gehen. In Thüringen wurde nach dem NSU-Skandal von der neuen rot-rot-grünen Regierungskoalition das Amt für Verfassungsschutz in das Ministerium für Inneres und Kommunales eingegliedert. V-Leute sollen abgeschaltet sein.
Liest man jedoch den neuen Verfassungsschutzbericht der Jahre 2014 und 2015, dann muss man erschrocken feststellen: An der Überwachung und Darstellung der Beobachtungsergebnisse hat sich kaum was geändert. Im Gegenteil, trotz zunehmender Gewalttaten und Brandstiftungen, die alle der neofaschistischen und rechten Szene zuzuordnen sind, werden unter linksgeführter Regierung Teile der Partei DIE LINKE, die Rote Hilfe und viele antifaschistische Gruppen überwacht, die alle gegen Rechts aktiv sind und die Zivilgesellschaft stärken. Auch deshalb drängt sich der Verdacht auf, dass die Netzwerke, die Drahtzieher und deren Helfer aus der «Mitte der Gesellschaft» und damit auch aus der Beamtenschaft noch am Werke sind und weder aufgedeckt, noch abgeschaltet sind.
* Johanna Scheringer-Wright ist Mitglied des Thüringer Landtags für DIE LINKE.
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