Gespräch mit Anna Müller*
Im April dieses Jahres wurde das bundesweite Bündnis Aufstehen gegen Rassismus gegründet. In dessen bundesweitem Koordinierungskreis sind u.a. Attac, die Grünen, Jusos, Naturfreunde, DIE LINKE, VVN-BdA, Interventionistische Linke, DGB-Jugend, der Zentralrat der Muslime, einzelne Gewerkschaftsgliederungen und Untergliederungen der SPD aktiv. Beim Gründungstreffen in Frankfurt am Main wurde u.a. beschlossen, Stammtischkämpfer auszubilden. Sie sollen Menschen befähigen, auf Stammtischparolen schlagkräftige Antworten zu geben.
Die SoZ wollte wissen, was inzwischen in dieser Sache unternommen wurde. Wir wurden an die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen (VVN-BdA) verwiesen, die die Trägerschaft für diese Initiative übernommen hat. Anna Müller gab uns Auskunft, wie wir uns die Ausbildung zum Stammtischkämpfer vorzustellen haben und wie man mitmachen kann.
Welches Konzept verfolgt euer Ansatz «Stammtischkämpfer»?
Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, wie die «rote Linie» in der Gesellschaft immer weiter verschwimmt. Unter dem Deckmantel von Meinungsfreiheit und «Das wird man ja noch sagen dürfen» sind rechte und rassistische Parolen, aber auch homo- und transphobe Äußerungen immer salonfähiger geworden. Sprüche und Aussagen, die man vorher nur von Nazis, extrem Rechten und NPD-Symphatisanten hörte, hört man jetzt auch von dem jahrelangen Kollegen, der netten Nachbarin oder dem Bruder. Wir wollen damit nicht sagen, dass rassistische Einstellungen damals nicht auch in der Gesellschaft weit verbreitet waren. Es gab aber eine Hemmschwelle, sie zu äußern, eine «rote Linie», die eigentlich nicht überschritten wurde. Diese «rote Linie» wollen wir wieder ziehen.
Deswegen wollen wir Menschen mit unserer Kampagne ermutigen, den Mund aufzumachen, etwas zu sagen oder sich zu positionieren, wenn sie solche rechten oder rassistischen Äußerungen hören.
Wer wird angesprochen?
Wir wollen alle Leute ansprechen, die Lust haben was zu machen.
Wer organisiert die Stammtischseminare?
Das sind ganz unterschiedliche Leute. In einigen Städten haben sich Aktivengruppen unseres Bündnisses gegründet, die Seminare organisieren, oder es sind Unterstützer unseres Bündnissses. Andernorts schreiben uns bereits bestehende Bündnisse an, weil sie die Kampagne toll finden. Gerade die Gewerkschaften zeigen großes Interesse und organisieren sowohl Seminare als auch Teamerausbildungen. Wir bekommen aber auch Anfragen von Jugendparlamenten und Schulen – in diesem Jahr waren wir mit unserem Seminar sogar schon auf einem kleinen Festival. Das Interesse ist total groß.
Wir versuchen, für alle Menschen, die ein Seminar veranstalten wollen Teamer zu organisieren, die wir vorher ausgebildet haben. Das klappt auch schon ziemlich gut, wir haben in ganz Deutschland Teamer, die die Seminare abhalten. Bislang haben über 500 Menschen an solchen Schulungen teilgenommen.
Worüber wird gesprochen?
Uns ist der Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmern sehr wichtig. Viele kommen zu den Seminaren, weil sie negative Erfahrungen gemacht haben: ein rassistischer Kommentar auf einer Geburtstagsfeier, im Familienkreis oder von den Vorgesetzten und sie wussten nicht, wie sie reagieren sollen, und haben dann nichts gesagt.
Wir sprechen solche Situationen durch, finden heraus, was der Grund war, warum Menschen nichts gesagt haben, und diskutieren mögliche Vorgehensweisen. Gerade in einer Gruppe kommen viele gute Tipps zusammen, wie man sich verhalten kann und welche Möglichkeiten man hat. Das hat einen sehr positiven Effekt auf die Gruppe. Die Menschen merken, dass es nicht an ihnen lag, dass sie gehemmt waren, sondern dass es ehrlicherweise jedem schon mal so ging. Und sie bekommen viele gute Tipps mit auf den Weg. Dann schauen wir uns ein paar gängige Parolen an und sprechen über Strategien, wie man dagegen argumentieren oder sich positionieren kann, natürlich auch über Gegenargumente. Und dann haben wir ein paar Übungen dabei, wo die Teilnehmer das gerade Besprochene anwenden und ausprobieren können. Es ist also kein Sechs-Stunden-Frontalvortrag.
Wie stellt ihr sicher, dass die Leute nicht nur einmal reinschauen, sondern dabeibleiben? Welche Aktivitäten folgen auf den Stammtisch?
Wir werben am Ende immer dafür, sich entweder in unser Bündnis oder in die Gruppen vor Ort einzubringen und dort aktiv zu werden. Das klappt auch recht gut. Wenn wir eine Gruppe haben, wo sich die Teilnehmenden schon vorher kannten und zusammen organisiert sind – also ein Parteiortsverein, Gewerkschafter aus einem Betrieb oder ein Sportverein –, dann versuchen wir am Ende, mit ihnen eine Verabredung zu treffen. Das kann alles mögliche sein: Flyer verteilen, Naziaufkleber wegmachen, ein Spielplatzfest organisieren. Mit Sicherheit werden nicht alle dabei bleiben, aber ein paar Leute können wir immer gewinnen.
Erreicht ihr mit eurem Angebot auch Leute in den Betrieben?
Bisher habe ich noch keine Kenntnis von einer rein betrieblichen Schulung erhalten. Allerdings stoßen wir mit unserem Programm auf großes Interesse und bekommen von Ver.di, der IG Metall und, ganz neu, auch der NGG die Möglichkeit, unser Programm Vertrauensleuten, Betriebsräten und Gewerkschaftssekretären vorzustellen. Bei vielen von ihnen stößt es auf positive Resonanz, sodass ich mir gut vorstellen kann, dass wir demnächst damit auch in Betriebe kommen.
Wo gibt es schon solche Initiativen? Wie laufen sie?
Mittlerweile gibt es von unserem Bündnis 15 regionale Gruppen. Das geht von Bayreuth bis nach Schleswig-Holstein. An vielen Stellen sind wir eng mit bereits bestehenden lokalen Bündnissen vernetzt und arbeiten mit diesen zusammen. Auch haben wir mittlerweile ein breites Netzwerk an Teamerinnen und Teamern für unsere Seminare, sodass wir sie grundsätzlich überall in Deutschland anbieten können.
Wie kommt man an euch ran?
Wir haben eine Homepage, www.aufstehen-gegen-rassismus.de, und sind auch auf Facebook vertreten. Wenn ihr wissen wollt, was bei euch in der Region los ist, dann schaut am besten mal in unserem Netzwerk vorbei (www.aufstehen-netzwerk.de und www.vvn-bda.de), dort findet ihr eine Deutschlandkarte, auf der wir unsere Veranstaltungen eintragen. Dort seht ihr, wo das nächste Bündnistreffen ist und wo wir ein Stammtischkämpferseminar veranstalten.
* Anna Müller ist seit sieben Jahren politisch im Bereich Antifaschismus, Kampf gegen Rechts und gegen Rassismus aktiv. Sie ist fast von Anfang an bei den Stammtischkämpfern mit dabei und jetzt für den Aufbau eines bundesweiten Netzwerks und einer bundesweiten Koordination verantwortlich.
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