von Violetta Bock
Kreativ und beharrlich bis zum Schluss kämpften die 145 Beschäftigten des Usinger Werkes von Zumtobel für einen Sozialtarifvertrag – mehr als sieben Wochen lang.
Im April ließ der österreichische Leuchtenhersteller zum erstenmal verlauten, der Betrieb werde bis Ende August geschlossen. Die Beschäftigten reagierten mit Warnstreiks und Betriebsversammlungen. Eine Chance für den Erhalt der Arbeitsplätze schien sich damals noch abzuzeichnen, denn Zumtobel verhandelte daraufhin mit einem Investor über ein Fortführungskonzept. Eine tragfähige Finanzplanung wurde aufgestellt.
Doch dann teilte Zumtobel im August plötzlich mit, die Verhandlungen seien abgebrochen, die Schließung stehe an. Darüber waren die Beschäftigten höchst empört. Gaby Sandberg, Betriebsratsvorsitzende von Zumtobel, kommentierte in einer Mitteilung der IG Metall: «Nach dieser üblen Nummer, den Betrieb zu schließen, nachdem vorher der Eindruck erweckt worden war, es komme zu einer Fortführung, werden wir mit aller Kraft für gute Abfindungen kämpfen. Wir standen ja bis unmittelbar vor der Entscheidung noch im Dialog mit der Firma wegen der Details des Betriebsübergangs» (igmetall-frankfurt.de).
Was ist ein Sozialtarifvertrag?
Normalerweise ist es bei Betriebsänderungen oder -schließungen Sache des Betriebsrats, einen Sozialplan und Interessenausgleich abzuschließen. Ein Sozialplan soll die wirtschaftlichen Nachteile, die den Beschäftigten infolge von geplanten Betriebsänderungen entstehen, ausgleichen oder mildern. Dazu ist das Unternehmen gesetzlich verpflichtet, sofern es mindestens 21 Beschäftigte hat und mindestens vier Jahre lang besteht. Der Betriebsrat hat jedoch nur begrenzte Möglichkeiten, gerade bei einer drohenden Schließung, Druck aufzubauen; er ist durch das Betriebsverfassungsgesetz in seinen Mobilisierungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Anders ist es, wenn man die Gewerkschaft mit ins Boot holt – und sie sich ins Boot holen lässt – und einen Sozialtarifvertrag erkämpft. Auch ein Sozialtarifvertrag regelt das Ob und das Wie einer vom Unternehmen geplanten Betriebsänderung sowie den Ausgleich von Nachteilen, die damit für die Beschäftigten verbunden sind. Durch die gewerkschaftliche Rahmung als Tarifvertrag wird es nun aber auch möglich zu streiken. Mit einem Sozialtarifvertrag versucht die Belegschaft, aus einer defensiven Position in die Offensive zu kommen. Selten gelingt es, damit die Schließung zu verhindern, aber zumindest kann man sie möglichst teuer machen und möglichst viel für die Beschäftigten rausholen.
Das Instrument des Streiks um Sozialtarifverträge ist daher von Anfang an auch Gegenstand heftiger Kritik der Arbeitgeberverbände gewesen. Gesamtmetall-Präsident Kannegießer hat diese «Vermischung von Tarifautonomie und Betriebsverfassung» als eine «böse Sackgasse» und insgesamt «höchst fragwürdig» (Osnabrücker Zeitung vom 4.3.2006, boeckler.de) bezeichnet. Vor Gericht wurden entsprechende Klagen bislang jedoch zurückgewiesen.
Der Streik
Die Beschäftigten bei Zumtobel hatten zwar schon frühzeitig einen Sozialtarifvertrag ins Spiel gebracht, nach der definitiven Mitteilung der Geschäftsleitung konkretisierten sie ihre Forderungen jedoch auf Dauerbetriebsversammlungen und traten schließlich am 8.9. nach einer Urabstimmung in den unbefristeten Streik. Sie wollten mehr als nur 0,7 Bruttomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr. Sie wollten angemessene Abfindungen und eine Transfergesellschaft, die für den Übergang gut ausgestattet ist.
Zumtobel war kein leichter Gegner und weigerte sich lange, mehr zu zahlen und überhaupt über einen Sozialtarifvertrag zu verhandeln. Darauf folgte einer der längsten Streiks in Hessen – er dauerte sieben Wochen. In diesen Wochen bewiesen die Kolleginnen und Kollegen viel Durchhaltekraft und Kreativität. Neben der täglichen Wache vorm Tor stürmten sie gemeinsam die Frankfurter Börse unter dem Motto «Menschen vor Rendite» und führten einen Flashmob am Messestand Zumtobels bei der Fachmesse für Elektrotechnik und Licht durch. Sie reisten mit hundert Kolleginnen und Kollegen zum Firmensitz in Dornbirn, Österreich, und wiesen dort mit einem riesigen Totenkreuz aus Zumtobel T-Shirts auf ihre Situation hin.
Diesen Ausflug wollte Zumtobel nutzen, um zur gleichen Zeit in Usingen mit Lkw unter polizeilicher Begleitung Teile aus dem Werk zu schaffen. Die zurückgebliebenen Beschäftigten und Unterstützer aus anderen Metallbetriebe versuchten dies jedoch zu verhindern, bis die Polizei mit Räumung und Strafanzeige wegen Nötigung drohte. Letztendlich konnte ausgehandelt werden, dass nur Produkte und keine Maschinen abtransportiert wurden, die Blockade wurde geräumt.
Durch diese Aktionen erhielten die Kollegen überregionale Aufmerksamkeit. Der Polizeieinsatz wurde auf Initiative der Partei DIE LINKE im hessischen Landtag in einer aktuellen Stunde thematisiert. Und natürlich waren auch dort die Beschäftigten vertreten.
Auf der Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Anfang Oktober berichteten die Streikenden, wie wichtig in ihrem unbefristeten Streik die ganz praktische Solidarität war, die ihnen den Rücken stärkte. So konnten sie durchhalten und auch die Einigungsstelle aktiv begleiten. Sie diskutierten nicht nur gemeinsam den jeweils aktuellen Verhandlungsstand, sondern empfingen auch den Richter Gunnar Rath aus Hamburg mit einer Menschenkette und riefen während der Verhandlung vor dem Gerichtssaal zu einem Flashmob auf.
Das Ergebnis
Letzten Endes hat sich das ausgezahlt. Zwar konnte die Schließung nicht verhindert werden, aber zumindest wurde sie um vier bis fünf Monate hinausgezögert. Das Ergebnis wurde am 27.10.2016 mit 96,4% in einer Urabstimmung angenommen.
Die Abfindungen sind nun nach Altersstufe geregelt und bewegen sich zwischen 70 und 110% eines Bruttomonatsgehalts auf der Basis von 13,27 Monatsentgelten (einschließlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld) pro Beschäftigungsjahr. Für Mitglieder der IG Metall erhöht sich der Faktor sogar um 10%. Zudem haben Beschäftigte die Möglichkeit, ab dem 1.1.2017 in eine Transfergesellschaft mit einer Laufzeit von 12 Monaten überzugehen. Hier ist neben verschiedenen anderen Regelungen zu nennen, dass das Transferkurzarbeitergeld aufgestockt wurde, nicht verbrauchte Restmittel der Transfergesellschaft am Ende an die Beschäftigten ausgeschüttet werden und die Gesellschaft mit einem Qualifizierungsbudget von durchschnittlich 5000 Euro pro Person ausgestattet wird.
Michael Erhardt, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Frankfurt, kommentiert in einer Mitteilung der IG Metall daher abschließend: «Fast alle Beschäftigten bei Zumtobel sind in der IG Metall. Die Fantasie und die Tatkraft der IG Metallerinnen und IG Metaller und die großartige Solidarität haben diesen Arbeitskampf getragen und dieses Ergebnis ermöglicht.»
Die Erfahrungen, die in dieser Auseinandersetzung gemacht wurden, werden nicht nur den Streikenden in Erinnerung bleiben, sondern sollten weitergegeben werden. Durch die Rahmung und Unterstützung der IG Metall gelang es der Belegschaft, die Schließung gewerkschaftlich und gesellschaftlich zu thematisieren und mit erhobenem Haupt den Betrieb hinter sich lassen zu können.
Weitere Infos und eine Chronologie der Ereignisse finden sich auf dem Solidaritätsblog www.igm-zumtobel.de.
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