von Max Manzey*
Im Koalitionsvertrag, den Rot-Rot-Grün (r2g) in Berlin geschlossen hat, hört sich vieles gut an. Doch an Mietsteigerung, Verdrängung und Spekulation wird er auch in den nächsten Jahren nichts ändern.
Wohnraum war eines der Topthemen im Berliner Wahlkampf. Kein Wunder, seit 2007 sind die Mieten für Altmieter durchschnittlich um 26%, die Angebotsmieten um sogar 50% gestiegen. Menschen mit geringem Einkommen können sich die Miete kaum noch leisten, müssen aus ihren alten Wohnungen ausziehen oder in anderen Lebensbereichen Abstriche machen. Die neue Stadtregierung will das ändern, der Koalitionsvertrag sieht «Bezahlbares Wohnen für alle» vor und wird sich daran messen lassen müssen, ob das Versprechen eingelöst wurde.
Die Vorhaben
Vieles von dem, was im Koalitionsvertrag zum Thema Wohnen und Stadtentwicklung steht, liest sich gut: mehr sozialer Wohnungsbau, eine sozialere Ausrichtung der kommunalen Wohnungsunternehmen, keine Privatisierungen mehr von öffentlichen Flächen und endlich eine Lösung für den Bestand der Sozialwohnungen. Das ist eine Niederlage für den rechten Flügel der SPD, der mit dem bisherigen Senator Andreas Geisel und seinem Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup (ELD) die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung fest im Griff hatte und diese nun an die zukünftige Senatorin Katrin Lompscher von der LINKEN abgeben muss. Auch die Berufung des wohl bekanntesten Gentrifizierungskritikers Andrej Holm zum Staatssekretär ist eine deutliche Ansage an die Berliner Baumafia und an die Immobilienspekulanten, endlich einen echten Kurswechsel einleiten zu wollen.
Doch wenn man sich drei der wichtigsten Themenkomplexe (auf die der Senat tatsächlich Einfluss hat) herausgreift, dann ist es eher ernüchternd. In den nächsten fünf Jahren soll es 55000 zusätzliche Wohnungen in öffentlicher Hand geben, davon allerdings nur 15000 neugebaute Sozialwohnungen. In der gleichen Zeit werden jedoch mindestens 20000 Sozialwohnungen verlorengehen, weil die Mietpreisbindungen im bestehenden sozialen Wohnungsbau auslaufen.
25000 Wohnungen sollen angekauft werden, davon kommen 15000 von der Berlinovo, einem landeseigenen Unternehmen, das die Erblast des Bankenskandals verwaltete. Es ist zwar gut, dass auch diese Wohnungen von den Neuregelungen bei den kommunalen Wohnungsunternehmen profitieren, es werden damit aber real nur 10000 bisher private Wohnungen in öffentliches Eigentum gebracht. So wird zwar gebaut und angekauft, aber zu wenig. Außerdem ist völlig unklar, ob Berlin in den nächsten fünf Jahren die entsprechenden Investitionssummen aufbringen kann – da es doch die klare Ansage gibt, die Schuldenbremse einhalten zu wollen.
Sozialmieten bleiben zu hoch
Wichtig ist der bisherige Bestand des sozialen Wohnungsbaus. Durch die schrittweise Senkung der staatlichen Zuschüsse ist die Sozialmiete heute häufig teurer als der Berliner Mietendurchschnitt. In den Häusern, die aufgrund der begrenzten Bindungszeit, wegen frühzeitiger Ablösung oder durch Beendigung der Anschlussförderung ihren Status als Sozialwohnung verlieren, kann die Miete auf einen Schlag auf die sog. Kostenmiete erhöht werden, die sich nach den ursprünglichen Baukosten richtet. Durch die spezielle Struktur der Fördersystematik von der Nachkriegszeit bis in die 80er Jahre war es früher für Investoren attraktiv, die Baukosten künstlich in die Höhe zu treiben, um die möglichen Steuerabschreibungen zu erhöhen. Deshalb kommt es mitunter zu extremen Mieterhöhungen auf über 10 Euro pro Quadratmeter, netto/kalt.
Konzepte zur Lösung des Problems liegen auf dem Tisch, wurden jedoch bisher von SPD, CDU und Senatsverwaltung nicht aufgegriffen. Nun sieht der Koalitionsvertrag vor, für diese Wohnungen eine einkommensabhängige soziale Richtsatzmiete, d.h. eine staatlich festgeschriebene Höchstmiete einzuführen. Das ist ein großer Erfolg von Initiativen wie Kotti&Co und dem Mietenvolksentscheid, die das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht haben. Wie genau diese Richtsatzmiete ausgestaltet wird, soll jedoch erst in Zukunft entschieden werden. Vieles spricht dafür, dass Verwaltung und SPD für eine zu hohe Untergrenze der gestaffelten Richtsatzmiete eintreten werden.
Eine wirklich nachhaltige Strategie, um den Sozialen Wohnungsbau zu erhalten, wäre die (Re-)Kommunalisierung größerer Bestände. Nach großem Druck von Kotti&Co wurde immerhin die Rekommunalisierung der Häuser am Kottbusser Tor in Aussicht gestellt – sowie am Falkenhagener Feld, dem Wahlkreis des SPD-Fraktionsvorsitzenden der Raed Saleh. Für beide gilt: Hier ist noch nichts gewonnen.
Eine echte Enttäuschung ist, dass die Grunderwerbsteuer nicht angetastet wird. Diese fällt beim Kauf von Grundstücken an, ist eine starke Waffe gegen Immobilienspekulation und generiert zusätzliche staatliche Einnahmen. Eine Erhöhung von bisher 6% auf 7,5% würde jährliche Mehreinnahmen von mindestens 200 Mio. Euro erzielen und sollte daher zum Standardrepertoire einer linken Stadtregierung gehören.
Zu kurz gesprungen
Es gibt viele sehr positive Punkte im Koalitionsvertrag. Um nur einige zu nennen: Die Senkung der jährlichen Mieterhöhung in den kommunalen Wohnungsunternehmen von 4% auf 2%, die Senkung der Modernisierungsumlage von 9% auf 6%, die Reform des «Einfrierungsgrundsatzes» (die jedoch nur wenige Wohnungen betrifft), eine bessere Liegenschaftspolitik und die Einrichtung von Wohnungsämtern in allen Bezirken. Bei Bauvorhaben von privaten Investoren soll in Zukunft sichergestellt werden, dass 30% der Wohnfläche sozial verträgliche Mieten aufweist. Zudem soll die vom Mietenvolksentscheid erstrittene Anstalt öffentlichen Rechts zur Kontrolle der kommunalen Wohnungsunternehmen eingerichtet und mit einigen Kompetenzen ausgestattet werden. Die Brutto/Warm-Miete (vorher war es netto/kalt) soll dahingehend subventioniert werden, dass sie maximal 30% des Einkommens ausmacht.
Das sind viele kleine Schritte in die richtige Richtung, die jedoch nicht dazu führen, dass es «bezahlbaren Wohnraum für alle» gibt. Im Gegenteil: Trotz der anstehenden Maßnahmen wird sich die Situation in Berlin in den nächsten Jahren verschlechtern. Die Schuld daran trägt weniger die Koalition, als vielmehr die Rahmenbedingungen, unter denen diese Regierung arbeiten wird.
Schlechte Rahmenbedingungen
Berlin wird voraussichtlich in den nächsten Jahren um jährlich 40000 Menschen wachsen, 2020 werden fast eine halbe Million Menschen mehr in Berlin leben als 2000 (von 3,3 auf 3,8 Millionen). Das Problem dabei ist nicht, dass es viele Menschen nach Berlin zieht, sondern dass sich der Wohnungsbau seit Mitte der 90er Jahre weitgehend vom Bevölkerungswachstum entkoppelt hat. Während von 1992 bis 2014 die Zahl der Haushalte um 328000 stieg, wurden nur 210000 zusätzliche Wohnungen gebaut.
Der Hauptgrund für diese Entwicklung findet sich in der Wohnungsmarktlogik: Die Modernisierung und «Aufwertung» bisher günstiger Altbaubestände ist für privates Kapital attraktiver als Neubau. Diese Entwicklung wird durch einen im Zuge der Krise entfachten Spekulationsboom angefeuert. So führt der Markt zu Verdrängung anstatt zur Versorgung mit ausreichend Wohnraum.
Der einzige Akteur, der hier tatsächlich etwas bewegen könnte, ist der Staat. Doch die letzten Jahrzehnte waren in dieser Hinsicht eine Katastrophe – von der absurden Fördersystematik des sozialen Wohnungsbaus der 60er bis 80er Jahre, über die staatlichen Gentrifizierungsprogramme der 90er Jahre und die Privatisierung kommunaler Wohnungsbestände bis hin zum Komplettversagen bei der Schaffung von ausreichend Wohnraum für Geflüchtete. Mit den Jahren hat sich der berühmte Berliner Immobilienfilz aus SPD, Immobilienlobby und landeseigenen Wohnungsunternehmen gebildet. Letztere sind heute kaum noch ein Garant für günstigen Wohnraum, sondern agieren wie normale Immobilienkonzerne. So hat eine Studie festgestellt, dass die kommunalen Wohnungsunternehmen in Sachen Zwangsräumungen ganz vorne mit dabei sind.
Unterm Strich hat sich das Segment der öffentlichen und regulierten Wohnungsversorgung seit 1993 um fast die Hälfte auf heute noch knapp 385000 Wohnungen reduziert. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Haushalte mit sehr geringem Einkommen jedoch um 50000 auf 490000 gestiegen.
Letztendlich gehört zu den Rahmenbedingungen auch, dass ein Großteil der Mietrechtsgesetzgebung Bundessache ist und das Land Berlin keinen Einfluss darauf hat. Die Schuldenbremse verhindert darüberhinaus in einem hochverschuldeten Land wie Berlin einen Großteil an staatlicher Interventionsfähigkeit.
Organisiert lieber die nächsten Proteste…
Die Rahmenbedingungen sind für jede Regierung denkbar schlecht. Die Maßnahmen im Koalitionsvertrag wirken wie ein Tropfen auf dem heißen Stein – erst recht für eine Regierung, die «bezahlbaren Wohnraum für alle» verspricht. Hinzu kommt, dass mit der SPD eine Partei in der Regierung sitzt, die selbst führender Akteur im Berliner Filz ist und nach Jahren in der Regierung mehr oder weniger die Partei der Stadtbürokratie darstellt. Für linke Reformen gibt es da wenig Spielraum, die Koalition ist also dazu verdammt, das Elend von 20 Jahren neoliberaler Stadtpolitik zu verwalten.
Und das ist ein Spiel mit dem Feuer. In der aktuellen Konstellation wird sich die berechtigte politische Wut gegen die Stadtregierung richten. Davon wird die AfD profitieren und als einzige wirklich wahrnehmbare Oppositionspartei die Schuld bei der linken Regierung und den Geflüchteten verorten. Umso wichtiger ist, dass es eine wahrnehmbare linke Opposition innerhalb und außerhalb der LINKEN gibt, die weiterhin Druck auf die Regierung macht und eine politische Alternative zur AfD darstellt. Der frisch gewählte Staatssekretär Andrej Holm brachte es kürzlich im Taz-Interview auf den Punkt: «Organisiert lieber die nächsten Proteste, als jetzt lange E-Mails zu schreiben, wie sehr ihr euch freut, dass ich für diesen Posten gewählt wurde.»
* Max Manzey ist Mitglied der LINKEN und war aktiv in Mietenvolksentscheid Berlin.
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