Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2017
Unbeugsam im Widerstand gegen den US-Imperialismus
von Dave Kellaway

Bilder von Fidel füllten über Jahrzehnte die Wochenschauen: abgerissen und besiegt nach der blutigen Attacke auf die Moncadakaserne; im feinen Anzug als freier Mann beim Gang aus dem Gefängnis ins Exil; bei einem Interview mit einem US-Journalisten 1958 in einem Versteck in den Bergen; beim triumphalen Einmarsch mit Che, Cienfuegos und den anderen jungen bärtigen Kriegern in Havanna; vor Hunderttausenden die Konfiszierung des US-Kapitals und den sozialistischen Charakter der Revolution verkündend; an vorderster Front in der Schweinebucht mit großer schwarzumrandeter Brille beim Sieg über die CIA-Invasion; auf der überfüllten Plaza de la Revolución den Tod des Che in Bolivien verkündend; bei der Umarmung mit Breshnew in Moskau; in der Begegnung mit Menschen in den Betrieben und auf den Zuckerrohrfeldern; bei der Überreichung einer Maschinenpistole an Allende Monate vor dem Putsch in Chile; beim Empfang der Soldaten aus Angola nach ihrem siegreichen Einsatz auf der Seite der angolanischen Befreiungsfront gegen das Südafrika der Apartheid; bei der Begrüßung von Ortega, dem Anführer der nicaraguanischen Revolution 1979; bei der bitteren Ankündigung der schwierigen Sonderperiode nach dem Fall der Berliner Mauer 1989; Chávez und die anderen Reformer Lateinamerikas im neuen Jahrhundert willkommen heißend… und dann der Rückzug in einen nicht ganz vollständigen Ruhestand, ein alter Mann im Trainingsanzug mit einem weiß werdenden Bart, eine von radikalen Führern oder Persönlichkeiten wie dem Fußballer Diego Maradona immer noch gefragte Persönlichkeit.

 

Nun ist er nicht mehr da, aber er hat all jene US-Präsidenten überlebt, die der CIA befahlen, Hunderte Mordanschläge, interne bewaffnete Rebellionen und eine Invasionsarmee gegen Kuba zu organisieren. Viele Male wurde nach 1989 sein Ableben und der nahe bevorstehende Zusammenbruch des kubanischen Staates verkündet. Anders als Russland und Osteuropa hat dieser sich nicht in einen Gangsterkapitalismus verwandelt und auch dessen katastrophale Auswirkungen auf den Lebensstandard und die Lebenserwartung nicht durchgemacht.

Ein Vergleich, wie Haiti und Kuba auf den jüngsten Hurrikane reagiert haben, zeigt bildlich, dass die Errungenschaften der Revolution von 1959 noch lebendig sind. In Kuba ist niemand gestorben, ganze Städte wurden reibungslos evakuiert. Fidels Bruder Raúl, Kampfgefährte der ersten Stunde, steht noch an der Spitze der Regierung und orientiert auf einen Führungswechsel bis 2018. Obamas Wende zu positiveren Beziehungen mit Kuba ist ein Gewinn für das kubanische Volk, sie führte zur Lockerung der Restriktionen und könnte das Wirtschaftswachstum fördern. Bei einem Besuch in Kuba im September sah ich Kreuzfahrttouristen durch Havannas Altstadt flanieren. Seit dem Sommer gibt es Direktflüge aus den USA nach Kuba.

 

Wie auch immer wir urteilen, Fidels Leben ist bemerkenswert. Geboren in einer Mittelschichtfamilie, radikalisierte er sich als demokratischer Nationalist und wurde von José Martí, dem großen antikolonialen Kämpfer des 19. Jahrhunderts, inspiriert. Der erste Versuch eines bewaffneten Sturms auf die Moncadakaserne in Santiago 1953 endete mit dem Tod vieler Gefährten, und er hatte Glück, dass er nicht exekutiert wurde.

Niederlagen haben manchmal eine radikalisierende Wirkung, seine berühmte Rede während des Prozesses [«Die Geschichte wird mich freisprechen»] spielte dabei eine Rolle. Im mexikanischen Exil verschwendete er keine Zeit und sammelte eine zweite bewaffnete Gruppe. 1958 machte diese sich in dem kleinen Schiff Granma zu einem erneuten Versuch auf. Abermals wurden in den ersten Tagen die meisten Kämpfer getötet, doch etwa ein Dutzend überlebte und schaffte es bis in die Sierra Maestra – ein freundlich gesinnter Bauer spielte eine entscheidende Rolle. Dort angekommen, bauten sie ein Hauptquartier auf, das von Batistas Armee nie entdeckt wurde, und nach und nach errichteten Che, Cienfuegos, Fidels Bruder Raúl und er selbst eine Anzahl kleiner Fronten, die es erfolgreich mit der Armee aufnehmen konnten.

Bedeutender war die Entwicklung politischer Unterstützung und Verbindungen zum Untergrund in den großen Städten. Fidel und die anderen Anführer waren sich wahrscheinlich bereits bewusst, dass die Richtung des Kampfes sie in einen Konflikt mit den USA führen würde, aber eine ganze Zeit lang präsentierten sie sich als demokratische Kämpfer gegen eine brutale Diktatur. Dies trug dazu bei, dass die USA kaum etwas unternahmen, um das Batista-Regime zu stützen. Die Periode, die zwischen dem Einzug in Havanna und seiner Rede etwa ein Jahr später liegt, in der Fidel die Revolution als sozialistisch definierte, ist geradezu ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie eine demokratisch-antiimperialistische Revolution sich zu einer Revolution entwickelt, die den Kapitalismus stürzt. Jeder Schritt nach vorn konnte als Antwort auf Sabotage oder auf dringende Grundbedürfnisse der Bevölkerung verstanden werden.

 

In den ersten Jahren der Revolution war Havanna ein Zuhause für alle Radikalen und Revolutionäre. Diese Revolution war von einer Gruppe geführt worden, die außerhalb der «offiziellen» stalinistischen «kommunistischen Weltbewegung» stand. Deren kubanische Filiale, die Sozialistische Volkspartei (PSP), unterstützte am Ende die Revolution, war aber der Castro-Führung untergeordnet. Die weltweite Auswirkung der Revolution war in Lateinamerika besonders stark. Bewaffnete Gruppen lancierten Erhebungen in zumeist ländlichen Gebieten und erhielten die aktive, aber diskrete Unterstützung der kubanischen Regierung. Leider verstanden diese tapferen Revolutionäre nicht die spezifischen Bedingungen des kubanischen Sieges – er war niemals nur ein ländlicher Aufstand – und so endete alles mit Niederlagen. Che verließ sogar Kuba, um einen Guerillaaufstand in Bolivien zu organisieren, der ebenfalls in einer Niederlage endete. Fidel unterstützte Che bei dieser Operation politisch und materiell.

Tatsächlich half Kuba in einer zweiten Welle bewaffneter Erhebungen in den späten 70er Jahren in Zentralamerika mit Ressourcen und Kämpfern. Doch das Scheitern dieser Kämpfe im übrigen Lateinamerika und demzufolge die Isolation der kubanischen Revolution bedeutete, dass Fidel gezwungen war, Zuflucht im sowjetischen Lager zu suchen. Dies hatte negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Wirtschaft und der demokratischen Organisation. Die Landwirtschaft bspw. wurde überkollektiviert, ihre Produktivität ist noch immer mangelhaft, Kuba importiert bis heute 70% seiner Nahrung. Auch wurde alles verstaatlicht, bis hinunter zum Restaurant und Friseurladen. Heute werden regulierte kleine Geschäfte und Eigenbetriebe zunehmend zugelassen.

Eines ist jedoch klar, Fidel führte eine wirkliche antikapitalistische Revolution, die den bürgerlichen Staat zerstörte. Er war kein Nasser, er errichtete nicht lediglich eine Art staatskapitalistisches Regime.

 

Wenn Fidel auch niemals einem stalinistischen Gulag vorstand, so gab es doch Repression von Dissidenten und Gegnern. Zu Beginn der Revolution wurden die Folterknechte des Batista-Regimes verurteilt und exekutiert – in der Praxis war damit teilweise Che betraut. Gelegentlich gab es auch später noch Exekutionen – berüchtigt wurde die von Ochoa und anderen Militärführern, die des Drogenhandels angeklagt wurden. Auch Homosexuelle wurden Opfer von Repression und in Arbeitslager geschickt. Inzwischen wurden nahezu alle Dissidenten freigelassen, wenngleich es noch regelmäßig Schikanen gegen Oppositionelle und Künstler gibt.

Lokale Demokratie und eine Beteiligung der Bevölkerung durch die Komitees zur Verteidigung der Revolution hat es in einem gewissen Umfang stets gegeben – in einer Weise, die wir aus den stalinistischen Ländern nicht kennen. Heute findet die Debatte – vor allem über die «Modernisierung» der Ökonomie – in einer Reihe beschränkter Foren statt. Die Beschränkungen bestehen darin, dass man keine politische Strömung oder Partei außerhalb der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) bilden und keine wirklich unabhängige Publikation lancieren kann; der Gebrauch des Internet wird kontrolliert.

 

Zu den dauerhaften Hinterlassenschaften ­Fidels gehört die Tatsache, dass im Unterschied zu vergleichbaren anderen Ländern das Bildungs- und Gesundheitssystem von hoher Qualität ist. Die Ernährung könnte entschieden besser sein, doch es muss niemand hungern oder an Unterrnährung sterben. Kubanische Ärzte leisten weltweit aktive Hilfe. Die Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen, einige Sektoren wie der Tourismus und die Biotechnologie florieren. Die Verheerungen der Narkoindustrie wie in Mexiko oder Kolumbien gibt es in Kuba nicht. Kubas Prestige in der Welt ist bemerkenswert für ein armes Land von 10 Millionen Einwohnern.

Angesichts der Tatsache, dass Kuba ein kleines nichtkapitalistisches Land in einem Meer des zügellosen Kapitalismus ist und sein nächster Nachbar, die dominierende imperialistische Macht, seit den 60er Jahren eine Wirtschaftsblockade gegen das Land verhängt hat, kann es nicht überraschen, dass Fidel ein gemischtes Erbe hinterlässt. Die Blockade trug gewiss zur niedrigen Produktivität und den geringen Löhnen bei. Auch die Finanzierung des nötigen Militärapparats, um der US-Aggression standzuhalten, zieht Ressourcen ab, die andernfalls die Lage verbessern könnten.

Die Öffnung der Wirtschaft mit einer dollarbasierten Währung neben einem Peso, der 25mal weniger wert ist, bedeutet, dass die soziale Ungleichheit unvermeidlich zunimmt. Die Beschäftigten im Tourismussektor, die Dollars verdienen können, und diejenigen, die Überweisungen von Verwandten aus den USA erhalten, können ziemlich gut leben. Die 75% die noch für den Staat arbeiten, verdienen im Monat etwa so viel, wie man durch die Vermietung von Zimmern an Touristen in einigen Tagen verdienen kann. Und die Menschen, vor allem die junge Generation, wollen auch mehr Freiheiten, etwa ein offenes Internet.

 

Fidel und seine Generation treten von der Bühne ab. Es ist jetzt die Aufgabe der Kubaner, die sich heute diese neuen Probleme stellen, sie im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu lösen. Fidel stand insgesamt auf unserer Seite und schwankte nie in seinem Widerstand gegen den US-Imperialismus. Sein Beispiel inspirierte Widerstand an vielen Orten.

Venceremos, adios compañero.

 

* Der Beitrag erschien ursprünglich auf der Webseite von Socialist Resistance, der britischen Sektion der IV. Internationale (http://socialistresistance.org/fidel-dies/9306).

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