von Klaus Meier
Noch vor nicht allzu langer Zeit haben die deutschen Autokonzerne über Elektroautos nur gespottet. Das hat sich geändert. Woher rührt diese plötzliche Umkehr?
Die deutschen Autokonzerne haben sich lange massiv gegen jeden Schritt zur Elektromobilität gesperrt. Das wundert nicht, denn ihre eigentliche Kompetenz und Stärke liegen in der Beherrschung des Verbrennungsmotors. Eine laute, stinkende und mit Schwingungen behaftete Technologie. Fällt sie weg, dann müssen die Platzhirsche der Autoindustrie um ihre Existenz fürchten.
Nun sind die Autokonzerne in schweres Fahrwasser geraten. Ausgerechnet die Ökologie, die sie immer verachtet haben, fordert ihnen zunehmend Tribut ab. So wurde mit dem Klimaabkommen von Paris klar, dass die Treibhausgasemissionen bis 2050 nicht nur um 80%, sondern sogar um 95% sinken müssen. Das bedeutet, dass auch der Verkehrssektor nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Er verursacht heute rund 20% der deutschen Treibhausgasemissionen und ist verantwortlich für die Verschwendung von 28% der in Deutschland eingesetzten Energiemenge. Der Druck auf die Autoindustrie wird immer größer.
Sparen E-Autos im Vergleich zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor wirklich CO2 ein? Oder werden durch die Umstellung auf Elektromobilität neue Löcher gerissen?
Im Verkehrswesen hat es seit 1990 so gut wie keinen Rückgang des CO2-Ausstoßes gegeben. Jüngere Zahlen weisen sogar auf eine Zunahme hin. Es ist offensichtlich: Mit Verbrennungsmotoren können die notwendigen Klimaschutzziele unmöglich erreicht werden. Sie haben nur einen Wirkungsgrad von etwa 20%. Das bedeutet, dass 80% der zugeführten Energie in Wärme und nicht in Bewegung umgewandelt wird. Elektroautos stehen beim Verbrauch wesentlich besser da. Sie haben einen Wirkungsgrad von 65–70%.
Sollte man dann nicht alle Autos auf Elektroantriebe umrüsten? Dabei gibt einen weiteren Gesichtspunkt zu berücksichtigen, nämlich die verfügbare Energie aus Wind und Sonne. In der Vergangenheit konnte noch bedenkenlos auf die scheinbar unbegrenzten und konzentrierten Lagerstätten von Kohle, Öl und Gas zugegriffen werden. In einer nachfossilen Gesellschaft müssen die zerstreut vorkommenden, erneuerbaren Energien kleinteilig eingesammelt werden. Im Ergebnis werden wir in Deutschland nur noch etwa 50% der heute verbrauchten Energiemenge zur Verfügung haben, selbst wenn wir eine geringe Menge Ökostrom importieren.
Dann muss man genau abwägen, ob man sich weiter einen wahnwitzigen, energieverplempernden Individualverkehr leisten will. Auch wenn er sparsamer mit Elektromotoren betrieben werden könnte. So verbrauchen die heutigen deutschen 43 Millionen Pkw, die mit Verbrennungsmotor betrieben werden, 400 TWh Energie. Würde man sie alle auf Elektroantriebe umrüsten, würde man nur noch 153 TWh benötigen. Man hätte so eine Reduktion des Energieverbrauchs um 62% erzielt. Aber auch die 153 TWh sind immer noch sehr viel, denn sie stehen für 81% des heute erzeugten Ökostroms.
Würde man nur Energiegesichtspunkte zugrunde legen, wäre vielleicht ein Weiterbestand von 20% der heutigen Pkw als E-Autos akzeptabel. Sie würden dann 16% des heute zur Verfügung stehenden erneuerbaren Stroms fressen.
Wieviel Rohstoffe verbrauchen Elektroautos? Ist eine Welt voller E-Autos von der Ressourcenseite aus überhaupt möglich?
Das Merkmal von Elektromobilen sind der große Batterieblock und der elektrische Antrieb. Dafür sind wichtige Rohstoffe notwendig: Lithium und Kobalt für die Batterien, Neodym und Dysprosium für die Hochleistungsmagnete in den Antrieben, Kupfer in den Antriebswicklungen und viele andere Materialien.
Das Problem sind die Mengen. Ein Tesla Model S braucht für seinen Akkublock 10 Kilogramm Lithium. Schon bei 10 Millionen Fahrzeugen sind dann 100000 Tonnen Lithium notwendig. Das wären 277% der globalen Lithiumproduktion von 2014. Es werden aber weltweit 78 Millionen Fahrzeuge pro Jahr produziert. Wollte man die über eine Milliarde Pkw auf unserem Planeten mit Lithiumakkus bestücken, bräuchte man dafür 10 Millionen Tonnen dieses Stoffes. Aber die globalen Lithiumreserven betragen laut Wuppertal-Institut nur 13 Millionen Tonnen.
Ähnliche Rechnungen lassen sich für andere Werkstoffe aufstellen. So würden 10 Millionen Elektroautos 43% der heutigen Nickel- und 35% der heutigen Kobalt-Weltjahresförderung verbrauchen. Selbst beim Allerweltsmetall Kupfer könnte es eng werden. Geologen unterscheiden zwischen Reserven und Ressourcen. Das Fraunhofer Institut (ISI) hat 2010 untersucht, wie lange die heutigen Kupferreserven noch reichen. Das sind die bekannten Mengen, die mit heutiger Technologie und zu heutigen Preisen gefördert werden können. ISI kommt zum Schluss, dass der wachsende Verbrauch dazu führen wird, dass ab Mitte der 2030er Jahre die heutigen Weltkupferreserven verbraucht sein werden. Selbst ein verbessertes Kupferrecycling würde diesen Zeitpunkt nur um fünf bis sechs Jahre hinauszögern.
Danach könnte man zwar noch auf die sog. Kupferressourcen zurückgreifen. Dazu zählen z.B. geschätzte 700 Millionen Tonnen, die in den Manganknollen auf dem Boden der Tiefsee verstreut liegen. Die Ausbeutung dieser Kupferressourcen wäre jedoch nur mit einem erheblich höheren technischen Aufwand, deutlich gestiegenen Kosten und nur mit viel größeren Umweltschäden möglich. Die E-Autos werden zwar nicht der wichtigste Treiber des wachsenden Kupferverbrauchs sein, aber sie werden ohne Zweifel von den kommenden Verknappungen betroffen sein.
Als Schlussfolgerung bleibt, dass die Elektromobilität sich durchaus nutzen läßt, aber nur für eine begrenzte Autozahl – etwa für Taxen, Handwerkerfahrzeuge oder Car-Sharing-Autos, die man sich für besondere Zwecke ausleihen könnte. Aber selbst dies erfordert ein wirkliches Werkstoffrecycling.
Was ist mit dem Lkw- und Lieferverkehr? Davon wird bei der heutigen Diskussion um Elektromobilität bisher nicht geredet.
Obwohl der Lkw-Verkehr in der EU nur 5% aller Fahrzeuge ausmacht, beträgt sein Anteil an den verkehrsbedingten CO2-Emissionen 30% – mit steigender Tendenz. Es ist heute nicht vorstellbar, dass die Lkw, Überlandbusse, landwirtschaftlichen Fahrzeuge oder Baumaschinen in einer nachfossilen Welt alle mit Akkus und Elektromotoren fahren. Dafür ist das Gewicht der Batterien zu hoch und ihre Reichweite zu gering.
Es gibt aber mehrere CO2-freie Alternativtechnologien, die für große Fahrzeuge sinnvoll sind. Dazu gehören Brennstoffzellen, die getankten Wasserstoff in Strom umwandeln. Eine weitere Möglichkeit ist die Nutzung von Ökostrom, der mittels Elektrolyse aus Wasser zunächst Wasserstoff gewinnt. In einem weiteren Prozessschritt wird daraus dann Methan oder flüssiger Treibstoff gewonnen. Die Antriebe dafür sind heute verfügbar.
Nachteilig ist aber der niedrige Wirkungsgrad im Vergleich zu reinen Elektromotoren. Deswegen ist ein großflächiger Einsatz dieser Technologien im Individualverkehr ausgeschlossen. Für die Verwendung in Lkw, Überlandbussen oder landwirtschaftlichen Maschinen könnte sie jedoch sinnvoll sein. Dazu müsste der Lkw-Verkehr zuvor drastisch reduziert werden. Der Transportbedarf würde stark sinken, wenn man die Lebensdauer und die Reparaturfähigkeit aller Güter deutlich erhöhen würde. Zusammen mit einer Regionalisierung der Wirtschaft könnte man so künftig einen Großteil des Lkw-Verkehrs überflüssig machen. Für den verbleibenden Rest könnte ausreichend CO2-freier Treibstoff bereitgestellt werden.
Bedeutet die Hinwendung der Autoindustrie zur Elektromobilität Abbau von Arbeitsplätzen? Wie kann man bei einer Dekarbonisierung verhindern, dass die Beschäftigten der Fahrzeugunternehmen arbeitslos werden?
In Deutschland arbeiten heute 880000 Menschen in der Autoindustrie, davon 250000 direkt in der Motorenproduktion. Sie sind von einer möglichen Umstellung auf Elektroantriebe unmittelbar betroffen. Elektromotoren sind wesentlich einfacher zu fertigen und haben deutlich weniger Komponenten als Verbrennungsmotoren. In Wahrheit ist es heute noch nicht die Produktion von E-Fahrzeugen, die bei VW wirklich Arbeitsplätze kostet, das ist eher die Folge von Dieselgate und Digitalisierung. Die Umstellung auf Elektromobilität wird aber gerne als Vorwand für den Abbau von Arbeitsplätzen genutzt.
Trotzdem müssen Klimaaktivisten die Arbeitsplatzfrage sehr ernst nehmen und eigene Konzepte für eine Konversion der Autoindustrie entwickeln. Es gibt auch gute Argumente, dass im Verkehrsbereich künftig viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Wenn man eine Alternative zum Individualverkehr aufbauen will, müssen die öffentlichen Verkehrsmittel massiv ausgebaut werden. Eine überschlägige Rechnung zeigt, dass dies etwa um den Faktor 6 geschehen muss. Damit ist ein entsprechend hoher Personalbedarf für Betrieb und Service erforderlich. Auch bei der Entwicklung, Herstellung und Wartung der neuen Fahrzeuge entstehen Arbeitsplätze. Dabei wäre es sinnvoll, die Autoindustrie selbst mit der Entwicklung der neuen Busse, Bahnen und Straßenbahnen zu betrauen, denn sie besitzt die technische Kompetenz dafür.
Ein anderer wichtiger Bereich, in dem künftig Arbeitsplätze im Fahrzeugsektor geschaffen werden müssen, ist das fachgerechte Recycling von Altfahrzeugen. Dies ist notwendig, weil angesichts künftiger Ressourcenknappheit eine wirkliche Kreislaufwirtschaft entwickelt werden muss. Es gibt zwar schon seit 2003 eine Rücknahmepflicht für Altautos. Aber Staat und Autokonzerne haben diese Aufgabe an dubiose Schrottunternehmen delegiert. Die machen das mit Hammer und Brechstange. Ein fachgerechtes Recycling und eine umfassende Wiederverwertung bleiben dabei auf der Strecke.
Damit dies geordnet ablaufen kann und Rückmeldungen in die Fahrzeugkonstruktion im Sinne einer Zerlegbarkeit und Wiederverwendung möglich sind, müssen die Autounternehmen die Verantwortung für die Demontage der Altfahrzeuge selbst übernehmen. Nur das garantiert einen Regelkreis und einen Lernprozess in der Fahrzeugentwicklung. Ein sauberes Recycling wird viele neue Arbeitsplätze schaffen.
Trotz dieser genannten zusätzlichen Aufgaben wird eine Dekarbonisierung im Automobilbereich zukünftig weniger Arbeitskräfte erfordern. Dann muss die vorhandene Arbeit auf alle Hände umverteilt werden. Letztlich muss parallel zum Übergang in eine nachfossile Welt die 20-Stunden-Woche eingeführt werden.
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