von Larissa Peiffer-Rüssmann
Früher hieß es: «Für das Leben lernen wir.» Heute muss es heißen: «Wir lernen für PISA, TIMSS und VERA.» Denn es wird getestet auf Teufel komm raus.
2015 war ein Rekordtestjahr: Nach den VERA-Vergleichsarbeiten für die achten Schuljahre folgten die viel kritisierten VERA-Tests für die Drittklässler, dann der Bundesländervergleich in Naturwissenschaften, Deutsch, Mathematik und Englisch für Jugendliche von 15 und 16 Jahren. Der «Testklassiker» PISA für etwa 10000 Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen wurde von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt. Im Anschluss folgte noch die neue TIMSS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study) als internationale vergleichende Untersuchung.
Das jahrelange Wiegen und Vermessen hat uns viele Millionen Euro gekostet für wenig aussagekräftige Tests. Diese Gelder hätte man gewinnbringender anlegen können, z.B. in die Instandsetzung der vielen maroden Schulgebäude, in eine ansprechende Lernumgebung und eine angemessene Personalausstattung – denn auch die letzte PISA-Studie hat mal wieder gezeigt, dass der Bildungserfolg in Deutschland unverändert von der sozialen Herkunft abhängt und Chancengleichheit im Bildungssystem weiter ein frommer Wunsch bleibt. Die Leistungen im oberen Mittelfeld können nicht darüber hinwegtäuschen, dass 16% der Jugendlichen bei der Lesekompetenz schon an einfachen Texten scheitern und 17% nicht über die Grundkompetenzen in Mathematik verfügen.
Besonders ärgerlich ist die Täuschung der Öffentlichkeit, indem die Einordnung der Schichtzugehörigkeit der Elternhäuser verändert wurde, was einem seriösen Langzeitvergleich entgegensteht. Hinzu kommt, dass sich die soziale Zusammensetzung der Schülerstichprobe von Mal zu Mal verändert und sich seit 2006 darin weitaus weniger Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern befinden als bei früheren Untersuchungen. Das zeigt, dass die Studie in hohem Maße manipulativ ist, d.h. die Politik erhält die Ergebnisse, die sie braucht, um ihre Arbeit als erfolgreich darzustellen.
Die OECD steht für «wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung» und strebt ein Bildungssystem an, in dem die wirtschaftliche Verwertbarkeit im Vordergrund steht. Das kann nicht unser Ziel sein, es entspricht nicht unseren Vorstellungen von Bildung, die sich eben nicht mit Durchschnittswerten messen lässt. Außerdem lassen sich viele Fähigkeiten, die für eine Lerngemeinschaft wichtig sind, gar nicht testen, z.B. soziales Verhalten, Kreativität, individuelle Stärken.
Fazit: Wir brauchen keine PISA-Tests und all die anderen Vergleichtests, weil sie die tatsächliche Bildungssituation auch nicht annähernd wiedergeben und keine Verbesserungen in unserem Bildungssystem zur Folge haben. Auf einen testkompatiblen Unterricht können wir verzichten.
Erfolgreiches Lernen für alle ist nur in nicht selektiven Schulsystemen in einem offenen Unterricht zu verwirklichen, wo jeder Einzelne seinen eigenen Lernweg gehen kann mit der nötigen individuellen Hilfestellung, ohne Druck und abqualifizierende Tests in entmotivierenden Wettbewerbssituationen. Aber dazu müssen die entsprechenden personellen und materiellen Ressourcen bereitgestellt werden. Wir brauchen «eine Schule für alle» und ein qualitativ hochwertiges Ganztagsangebot. Nur so lässt sich die Bildung realisieren, die für eine gleichberechtigte Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben nötig ist. Nur informierte und kritische Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft werden den künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen sein.
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