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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2017

Das Ende der Autogesellschaft, wie wir sie kannten
von Lars Henriksson*

Der Straßenverkehr macht einen zunehmenden Anteil an den Treibhausgasemissionen aus. Die Internationale Energieagentur, eine Kooperationsplattform von 16 Industrienationen, die bei der OECD angesiedelt ist und eine Art Pendant zur OPEC darstellt, kommt in einer Studie von 2009 zur Einschätzung, dass der Energieverbrauch durch Verkehr bis 2030 um 50% und bis 2050 um 80% steigen wird. Vor diesem Hintergrund preist die Autoindustrie den Umstieg auf das Elektroauto als Wende zum «fossilfreien» Transportmittel. Nichts wäre falscher als diese Behauptung.

Zunächst sei betont: Elektrizität ist keine Energiequelle. Sie ist ein Energieträger, die Energie selbst muss woanders produziert werden. Zwei Drittel der Elektrizität auf der Welt werden heute durch Verbrennung von fossilen Brennstoffen hergestellt. Allein diese Menge durch erneuerbare Energien zu ersetzen, stellt uns vor enorme Herausforderungen. Wir haben dafür nicht endlos Zeit. Denn eines muss klar sein: Der Klimawandel ist keine «Bedrohung». Die globale Erderwärmung ist voll im Gang und verursacht, direkt oder indirekt, erhebliche Schäden – von Syrien bis Madagaskar. Wenn wir es nicht schaffen, innerhalb von ein bis zwei Jahrzehnten vollständig auf fossile Brennstoffe zu verzichten, wird der Klimawandel irreversibel sein.

Unter diesen Umständen darf erneuerbare Energie nicht länger zusätzlich für so etwas Unnützes wie Privatautos eingesetzt werden (da sie ja schon für den sonstigen Stromverbrauch gebraucht wird).

Wie heuchlerisch die angeblich «grüne» Verkehrsstrategie ist, zeigt sich schon daran, dass der Anteil an Fahrzeugen, die bislang energieeffizient und elektrisch betrieben wurden (Züge, Straßenbahnen, O-Busse) weltweit zurückgeht.

 

Eine Elektroauto ist in den meisten Fällen nur ein Auto, dessen fossiler Antrieb etwas effizienter genutzt wird – ein Stück für das Schaufenster also, um die Autoindustrie «grünzuwaschen» und uns alle in dem gefährlichen Traum zu wiegen, dass diese Industrie sich endlich der Umweltprobleme annimmt, die durch den Straßenverkehr geschaffen werden. Aber eine Win-win-Lösung für die Autoindustrie und das Klima gleichermaßen gibt es nicht. Die Haupt­alternative zu den Strategien der Autoindustrie lautet: weniger Autoverkehr. Die effizienteste und direkteste Art, die CO2-Emissionen im Bereich Verkehr zu senken, besteht in jedem Kilometer, der nicht gefahren wird.

Statt dem Trugbild einer nachhaltigen Autogesellschaft nachzujagen, muss das Transportsystem heute an drei Stellen umgestellt werden:

– von privat auf öffentlich;

– von der Straße auf die Schiene;

– durch drastische Senkung des Verkehrsaufkommens.

Letzteres erreichen wir nicht, indem wir Menschen verbieten sich fortzubewegen, sondern indem wir die Zahl der Kilometer, die sie gezwungen sind, alltäglich mit dem Privat-Pkw zurückzulegen, herabsetzen, indem wir Wohnen und Arbeiten wieder näher zusammenbringen und unsere Städte anders planen.

In noch weit höherem Maße gilt das für den Gütertransport, denn Just-in­time-Produktion und die ständige Jagd nach billigen Arbeitskräften haben das Verkehrsaufkommen in diesem Bereich weltweit dramatisch gesteigert.

 

Zweitens stoßen Autos CO2-Emissionen nicht nur durch das Auspuffrohr aus, also nicht nur, wenn sie gefahren werden. Ein erheblicher Teil der CO2-Emissionen, die ein Auto auf seine gesamte Lebensdauer gesehen verursacht, fällt an, bevor es auf die Straße kommt. Studien haben ergeben, dass die Treibhausgasemissionen eines Elektroautos nur um 20–24% unter denen eines Benziners, und um 10–14% unter denen eines Dieselfahrzeugs liegen.

Im Jahr 2007 veröffentlichte Volkswagen eine Studie, die besagte, dass ein Viertel der Emissionen, die ein Golf4 während seiner Lebensdauer produziert, anfällt, bevor er als Auto genutzt wird. (Ob die dafür nötigen Messungen auf Basis der «kreativen Emissionssenkungs»-Software stattfanden, ist nicht bekannt…).

Im allgemeinen erzeugt die Herstellung von Elektroautos sogar mehr Treibhausgase als die von Autos mit Verbrennungsmotoren. Hinzu kommen die Emissionen durch den Straßenbau und alles, was mit der für den Autoverkehr nötigen Infrastruktur zusammenhängt. Ganz zu schweigen von anderen negativen Begleiterscheinungen des Straßenverkehrs wie dem Flächenverbrauch, der Zerstörung der Städte, den über eine Million Verkehrstoten und jährlich mehr als 10 Millionen durch Verkehrsunfälle Verletzten. Jahr für Jahr ist das ein Stahl-Tsunami.

 

Für ein Transportsystem auf der Basis eines Privat-Pkw gibt es keine Zukunft. Das bedeutet nicht, dass alle Autos abgeschafft werden müssen. In einem insgesamt nachhaltigen Transportsystem gibt es einen Platz für das Auto, aber nicht als dessen Hauptträger. Bestenfalls ist es ein «Lückenbüßer» in einem System, das in der Hauptsache auf anderen, nachhaltigen Transportmitteln aufbaut. Der Umfang der Transporte, besonders der Straßentransporte, muss reduziert werden auf ein Maß, das langfristig umweltverträglich ist. Und das bedeutet das Ende der Autoindustrie, wie wir sie kannten.

 

* Lars Henriksson arbeitet seit den 70er Jahren am Fließband bei Volvo in Göteborg und ist Mitglied von Socialistiska Partiet, der schwedischen Sektion der IV. Internationale.

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1 Kommentar
  • 05.04.2017 um 13:30 Uhr, Tom sagt:

    Genau richtig – ein wirklicher Wandel zum positiven wird sich nur dann vollziehen lassen, wenn die Gesellschaft wieder dezentraler und regionaler wird, so dass es nicht mehr Standard ist, dass ein Lebensmittel was ich auf dem Tisch habe vorher durch halb Europa (oder schlimmer noch, durch die halbe Welt) transportiert worden ist. Verbote und gesetzlichiche Einschränkungen können einen solchen Wandel nicht herstellen, das muss in den Köpfen der Menschen passieren, die Menschen müssen es selber wollen. Sonst wird das nichts.


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