Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2017

Für die Solidarität zwischen Marxist*innen und Anarchist*innen. Berlin: Die Buchmacherei, 2016
von Manuel Kellner

Anarchismus und Marxismus scheinen für unüberbrückbar gegensätzliche Ansätze zu stehen. Bei näherer Betrachtung ist das aber nicht so klar. Die beiden Autoren dieses Büchleins plädieren für eine differenzierte Sicht. Ihre Absicht ist die Zusammenführung beider Richtungen für den gemeinsamen Kampf – für die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, für den Sozialismus des 21.Jahrhunderts.

Dabei ist der «Marxismus», dem sich beide Autoren zurechnen, nicht die Ideologie des «offiziellen» «Kommunismus» (des Stalinismus oder Poststalinismus), sondern die Gegenposition «dissidenter» Strömungen, die sich gegen die bürokratische Pervertierung des ursprünglichen universal emanzipatorischen Projekts aufgelehnt hatten.

In der «Vorrede» zu ihrem Buch betonen die Autoren: «Wir hoffen, die Zukunft wird rot und schwarz sein: der Antikapitalismus, der Sozialismus oder Kommunismus des 21.Jahrhunderts wird aus diesen beiden Quellen der Radikalität schöpfen müssen. Wir wollen einige Samen eines libertären Marxismus streuen, in der Hoffnung, dass sie auf fruchtbaren Boden fallen, dass sie wachsen und gedeihen.»

In der Internationalen Arbeiterassoziation, die später die I.Internationale genannt wurde, waren die Anhänger von Marx und Engels und die Anarchisten um Michail Bakunin gemeinsam organisiert. Die Pariser Kommune von 1871 war eine einschneidende Erfahrung, die die Differenzen zwischen beiden Strömungen jedoch nicht kitten konnte.

Die Autoren des Büchleins gestatten sich, eine kleine Verwirrung zu stiften: Wer sagte eigentlich: «Übrigens war die Lage der kleinen Zahl überzeugter Sozialisten, die zur Commune gehörten, eine äußerst schwierige … Sie mussten der Regierung und der Armee von Versailles eine revolutionäre  Regierung und Armee gegenüberstellen»? Und wer sagte: «Die Pariser Commune war eine Revolution gegen den Staat selbst, diese übernatürliche Fehlgeburt der Gesellschaft…»?

Das erste, «zentralistische», Zitat ist von Michail Bakunin, das zweite «antistaatliche» von Karl Marx. In der Tat hatte die Erfahrung der Pariser Kommune von 1871 Marx und Engels dazu gebracht, ihre Auffassungen vom Staat zu revidieren. Sie sahen in der Kommune einen Staat, der im Keim die Abschaffung jeglicher Staatlichkeit, jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen in sich trug.

Die Autoren zeigen anhand der Geschichte der revolutionären Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts auf, wie anarchistische und marxistische Strömungen immer wieder im selben Sinne gewirkt haben. Ihre Argumentation ist in jeder Hinsicht antidoktrinär. Es geht ihnen nicht darum, die Lehre der eigenen Strömung gegen die der anderen zu behaupten.

Dabei lassen sie wichtige geschichtliche Erfahrungen Revue passieren und diskutieren zum Beispiel sehr selbstkritisch die Interpretationen der eigenen Überlieferung – so etwa ausführlich den Aufstand von Kronstadt und seiner Niederschlagung und dessen mehr als fragwürdige Rechtfertigung durch Trotzki.

Sie liefern auch eine Reihe von Porträts wichtiger Figuren der sozialistischen, anarchistischen und kommunistischen Bewegung und zeigen auf, in welchem Maße beide Denktraditionen sich überschneiden. Die zahlreichen Parallelen des Denkens wichtiger marxistischer und anarchistischer Theoretiker sowie vieler Grenzgänger zwischen beiden Ansätzen werden dabei sehr deutlich.

Die Bewegungen gegen die herrschenden Verhältnisse der kapitalistischen Klassengesellschaft hatten im 19. und 20.Jahrhundert immer wieder anarchistische und marxistische Kräfte als Vortrupp. Ohne die Differenzen zwischen beiden Strömungen zu negieren, plädieren beide Autoren dafür, sich auf die Gemeinsamkeiten zu besinnen und darauf aufbauend gemeinsam für die Emanzipation von Ausbeutung, Unterdrückung und Naturzerstörung zu streiten.

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