von Rolf Euler
Vor kurzem fanden Reporter heraus, dass sich das Surfverhalten von mehreren Millionen Deutschen im Internet erwerben ließ, wenn man sich als «Data-Mining-Firma» ausgab. Dabei ging es nicht nur um anonymisierte Daten, wie sie jede Internetseite massenhaft produziert, sondern eben um personalisierbare Daten, die auf konkrete Nutzer zurückzuführen sind.
Browsererweiterungen übermitteln im Hintergrund alle besuchten Seiten an Server, wo diese Daten gesammelt und zu Nutzerprofilen gebündelt werden. Die Daten werden zum Beispiel an die Werbeindustrie verkauft, die damit Anzeigen gezielter schalten will. Dass man aus den Daten keine Rückschlüsse auf Individuen ziehen könne, hatten die Recherchen der Journalisten entkräftet.
Insbesondere das Zusammenführen von Internetaktivitäten mit der verwendeten IP-Adresse, den Besonderheiten jedes Browsers und weiteren Daten etwa aus E-Mail-Adresse, Smartphone-Verwendung und Standortregistrierung führen in vielen Fällen nicht nur zu einem «Nutzerprofil», sondern auch zu einem «Bewegungsprofil».
Das alles steht dem früheren Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Volkszählung eindeutig entgegen. Datensparsamkeit, informationelles Selbstbestimmungsrecht, Korrektur- und Löschungserfordernis – all das kann es faktisch nicht mehr geben, weil inzwischen niemand mehr die Art und Menge der von ihr und ihm erhobenen Daten kennen kann. Die Serien von nur noch über Internet abzuwickelnden Prozessen – Bank, Telefon, Fernsehen, Käufe, Datenspeicherung in der Cloud – zeigen, wie viele spezielle Kenntnisse jemand aufweisen müsste, der da noch durchblicken könnte. Ganz abgesehen davon, dass viele Erweiterungen und Apps diese Daten gerade heimlich, extra ohne Kenntnis des Nutzers, an die großen Servergesellschaften wie Google oder Facebook senden.
Die Bundeskanzlerin hat dazu auf dem Nationalen IT-Gipfel Wegweisendes gesagt: Sie warnt vor «lähmendem Datenschutz». Und erst recht Datensparsamkeit könne nicht die Richtschnur sein für neue Produkte, die die IT-Industrie auf den Markt bringt. Statt Datensparsamkeit zählt dann die «Datensouveränität». Genau die ist aber abhanden gekommen, wenn man darunter die Souveränität der Internetnutzer versteht, über ihre Daten zu verfügen. Das meint die Regierung denn auch nicht: Souveränität meint in ihrer Version, dass der Staat über alle Daten verfügen können soll. Bürgerdaten auf einer zentralen Plattform, Vorantreiben der elektronischen Gesundheitskarte, Automautsysteme, Ausweitung der BND-Kompetenzen, Einschränkung der Möglichkeiten der Datenschutzbehörden – all das steht auf der Agenda. Das BND-Gesetz soll nun erlauben, was vorher an rechtswidrig erfassten Daten eigentlich gelöscht hätte werden müssen. Der Entwurf zum neuen Datenschutzgesetz weicht die bisherigen Bestimmungen auf.
Der Versuch von mehreren Prominenten, mit der «Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union» hier ein Regelwerk zur demokratischen Gestaltung der digitalen Welt anzustoßen, kommt womöglich nicht nur technisch, sondern vor allem gesellschaftlich viel zu spät und ist zu allgemein, um der Entwicklung deutlich entgegentreten zu können.
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