von Chris Brooks
VW USA gilt unter den ausländischen Automobilfirmen als das Unternehmen mit den brutalsten Arbeitsbedingungen. Seit Jahren kämpft die Gewerkschaft der Automobilarbeiter (UAW) deshalb für ihre Anerkennung im Betrieb.
Anfang Januar informierte die für die VW-Arbeiter in Chattanooga, Tennessee, zuständige Gewerkschaftssektion der United Auto Workers, Local 42, auf ihrem monatlichen Treffen die VW-Beschäftigten über ihr Streikrecht und die Möglichkeit von Streikgeldzahlungen.
Das Treffen kam zustande, weil ein VW-Arbeiter einen entsprechenden Antrag stellte. Er war frustriert, dass VW permanent die Verhandlungen mit der Teilgewerkschaft der Facharbeiter verweigert.
Vor mehr als einem Jahr hatte die Gewerkschaft UAW die Wahl zur Vertretung einer Teilbelegschaft von 162 hochqualifizierten Beschäftigten im Werk gewonnen – das war das erste Mal, dass die Gewerkschaft sich bei einem nichtamerikanischen Autobauer im Süden der USA durchsetzen konnte. Dieser kleine Erfolg wurde erreicht, nachdem sie vor drei Jahren den – erfolglosen – Versuch gestartet hatte, mit einem Organizingprojekt die gesamte Belegschaft von etwa 1500 Beschäftigten in Produktion und Fertigung zu organisieren. In dieser Kampagne standen die Gewerkschaft und das Unternehmen Seite an Seite und tönten von einem Plan zur Kooperation zwischen Management und Gewerkschaft, das sich am deutschen Betriebsrätemodell orientieren sollte.
Als die Gewerkschaft die Wahl verlor, gründete die UAW Local 42, ein Gremium, das nur für Mitglieder zuständig ist, und verdoppelte seine kooperative Rhetorik – während VW feindlicher wurde. Letzten April entschied das Labor Board (eine landesweite Behörde, die u.a. über Gewerkschaftswahlen und Einstellungspraktiken wacht), Volkswagen verletze Bundesrecht, wenn das Unternehmen sich weigere, mit der Teilgewerkschaft zu verhandeln. Volkswagen ging daher vor den D.C. Circuit Court.
Das Streiktreffen Anafang Januar war deshalb Ausdruck wachsender Spannungen zwischen der Gewerkschaft und Volkswagen, obwohl VW so viel dafür tut, um den Anschein eines mitarbeiterfreundlichen Unternehmens zu kultivieren.
Die Gewerkschaft wird umgangen
Mehrere Quellen bestätigen, dass das VW-Werk in Chattanooga die Produktionsziele für den neuen SUV für den nordamerikanischen Markt, den Volkswagen Atlas, nicht erfüllt. Im Werk werden erheblich niedrigere Zahlen produziert, weil Teile fehlen, wegen unzureichender Schulung und schlechtem Management. Das Management reagierte darauf, indem es die Produktionsgeschwindigkeit heraufsetzte, wodurch der Druck auf die Beschäftigten, die bereits mit den fehlenden Teilen und dem unzureichenden Training in der Zusammensetzung der Autoteile zu kämpfen hatten, noch mehr zunahm.
Dieser zusätzliche Druck war das i-Tüpfelchen in der brutalen VW-Methode der Lean Production. Viele Beschäftigte berichten, dass dieses System sie an ihre körperlichen Grenzen bringt. Die Frustration der Kollegen über diese Probleme, die feindlichen Manager und die Weigerung des Unternehmens zu verhandeln kommen nun zusammen und wecken bei vielen Kollegen das Interesse an kollektiven Aktionen.
VW ist einer der Konzerne, die die Globale Rahmenvereinbarung mit IndustriAll und dem Weltbetriebsrat von VW freiwillig unterzeichnet haben.* Laut Vereinbarung verspricht VW, in jedem Land die Prinzipien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu achten – etwa das Recht sich zu organisieren. Im letzten Mai verabschiedete IndustriAll eine Resolution, wonach die Föderation in Aktion treten und die Globale Rahmenvereinbarung zwischen IndustriAll und VW widerrufen würde, sollte VW nicht mit den Verhandlungen mit der Teilbelegschaft beginnen.
Schikane statt Kooperation
2014 wurde im Werk Chattanooga eine sogenannte «Community Organization Engagement»-Richtlinie abgeschlossen, nach der jeder Gruppe von Beschäftigten, die einen bestimmten Organisierungsgrad vorweisen kann, reguläre Treffen mit dem Management und Vertretern des Weltbetriebrats zustehen. Diese Kriterien erfüllt Local 42, und bis vor kurzem erfüllte diese auch eine von Unternehmen finanzierte, gewerkschaftsfeindliche Gruppe.
Aber in dieser zahnlosen Richtlinie steht nichts über Kollektivverhandlungen. Nachdem sie monatelang bei solchen Treffen gesessen hatte, kam Myra Montgomery zu dem Schluss, dass die Deutschen nicht daran interessiert sind, Druck auf VW auszuüben, damit das Unternehmen die Gewerkschaft anerkennt. Myra arbeitete sechs Jahre lang bei VW. Sie war führend bei der Organizingkampagne und wurde dann erste Schriftführerin von Local 42. Bei einem Treffen mit Frank Patta, dem Generalsekretär des Weltbetriebrats, sagte Montgomery den deutschen Arbeitervertretern, die Sache wäre schon längst erledigt, wenn sie es mit ihrer Unterstützung ernst meinen würden. «Ich weiß nicht, für welche Seite die Herzen der Menschen schlagen. Ich kann nur nach dem gehen, was Menschen tun. Und es hat sich seit Jahren nichts getan», sagte sie.
Die Deutschen waren über diesen Vorwurf sehr empört. «Meine Großmutter sagte mir immer, dass ein getroffener Hund aufheult. Und wenn das einen Nerv getroffen hat, sagt mir das etwas. Sie sind einfach nur da um abzulenken.» Nach diesem Treffen, glaubt Montgomery, haben die VW-Manager begonnen, sie als unerwünschten Störenfried zu betrachten. «Zwei Wochen lang wurde ich täglich ins Büro des Vorgesetzten gerufen. Ich wurde untersucht, mit Fragen gelöchert und wurde zur Zielscheibe.» Eines Tages funktionierte ihre Karte für den Eingang zum Werk nicht mehr. «Ich wurde für zweieinhalb Wochen suspendiert, bevor sie mir überhaupt sagten weswegen», erzählt sie weiter.
VW habe sie mit dem Vorwurf entlassen, sie habe Informationen verfälscht. Sie war für die Endkontrolle am Ende eines Fließbands zuständig, um das fertige Produkt zu begutachten, bevor es zum Händler geschickt wird. «Wenn du einen Fehler findest, gibt es kein Standardverfahren für die Beschreibung. Wenn ein Sitzgurt ausgefranst ist, kann ich das Wort ‹ausgeleiert› oder ‹lockerer Gurt› nehmen. Mir wurde vom Manager gesagt, ich würde die falschen Wörter benutzen, also ging ich zurück ins System und änderte sie. Das war laut ihnen die ‹Verfälschung der Informationen›. Dabei macht das jeder. Es ändert nichts, nur die Beschreibung.»
Rassistischer Supervisor
Ein anderer, besorgniserregender Fall ist der von James Robinson, der seit fast fünf Jahren bei VW arbeitet. Er war einer von einer Handvoll schwarzer Arbeiter an der Produktionslinie BA4 und regelmäßig Diskriminierungen durch den weißen Supervisor Chris Thomas ausgesetzt. Er sagt, VW würde diesen rassistischen Supervisor beschützen. Er und seine schwarzen Kollegen seien immer die ersten gewesen, die dran waren, wenn Extraarbeit anfiel; sie wurden immer an die härtesten Arbeitsplätze gerufen und willkürlichen Disziplinarmaßmahmen ausgesetzt.
«Er versuchte, jeden Tag so unerträglich wie möglich zu gestalten», berichtet Robinson, der deshalb mehrfach in die Personalabteilung ging, um sich mit seinen Kollegen darüber zu beschweren. «Sie sagten immer nur, sie würden sich darum kümmern. Wir fragten, ob wir versetzt werden könnten, und sie sagten nur, sie würden es prüfen.»
Eines Tages im Januar 2016 vergaß Robinson seinen VW-Helm, der am Fließband vorgeschrieben ist. Darüber regte sich Thomas sehr auf. Robinson berichtet: «Ich wurde beleidigt, aber als in der nächsten Woche ein weißer Kollege seinen Helm vergaß, wurde kein Wort darüber verloren. Ich machte ein Foto davon und brachte es in die Abteilung der Human Resources.» Robinson wurde beschuldigt, unerlaubt Fotos im Werk gemacht zu haben und auf der Stelle entlassen. «Ich fragte: ‹Warum?›, und sie sagten, ich hätte die Firmenrichtlinien verletzt. Ich sagte ihnen, der einzige Grund, warum ich das Foto geschossen hatte sei, um ihnen einen Beweis zu liefern, dass sie dabei versagt hatten, sich um den Supervisor zu kümmern, der durch sein diskriminierendes Verhalten die Firmenphilosophie verletzte.»
Die UAW brachte den Fall vor Gericht und erhob mehrere Beschwerden gegen das Unternehmen, weil es das Recht sich zu organisieren unterhöhlte, indem es die Regeln über das Fotografieren und die Arbeitskleidung zu weit auslegte und dazu benutzte, Robinson los zu werden.
Einen Tag, bevor das Verfahren im September begann, einigten sich Robinson und VW. Robinson sollte seine die Beschwerden fallen lassen, im Gegenzug wollte die Geschäftsleitung ihn in einen anderen Bereich versetzen und den vollen Lohn zurückzahlen – über 19000 Dollar. Aber laut Robinson arbeitet der rassistische Supervisor immer noch bei VW. «Statt irgendwas gegen die Manager zu tun, versetzen sie sie einfach woandershin. Jetzt arbeitet ein Freund von mir unter ihm.» Ein Vertrauensmann von VW, Scott Wilson, bestätigte, dass das Werk die Regeln über die Arbeitskleidung und das Fotografieren immer noch nicht geändert hat.
Time to strike
Robinson und Montgomery brachten ihre Kündigungen vor den Gutachterausschuss von VW, der aus drei Arbeitern und zwei Angestellten besteht. Beide versuchten, ihre Rechte auszuüben, aber ihnen wurde verweigert, sich bei der Anhörung von der Gewerkschaft vertreten zu lassen.Montgomery sieht darin einen Ausdruck gewerkschaftsfeindlichen Verhaltens von VW. «Sie sprechen mit zwei Zungen», klagt sie. «In Deutschland machen sie es auf die eine Art, und dann kommen sie hierher und tun etwas komplett anderes.»
Montgomery arbeitet nicht mehr bei VW. Aber sie hält das Interesse der Arbeiter am Streik für ein hoffnungsvolles Zeichen. «Sie müssen streiken. Wenn sie das Werk zum Erliegen bringen, werden sich die Dinge ändern.»
* IndustriAll ist eine weltweite Gewerkschaftsföderation, in der drei internationale Gewerkschaftsverbände zusammengeschlossen sind: der Internationale Metallgewerkschaftsbund, Die Internationale Bergbau-, Chemie- und Energiegwerkschaft, und die Internatinoale Textil-, Bekleidung- und Ledergewerkschaft. Im Weltbetriebsrat von VW sitzen Betriebsräte aus VW-Standorten der ganzen Welt.
Der Artikel von Chris Brooks erschien auf http://labornotes.org/2017/01/chattanooga-auto-workers-host-strike-meeting. Chris Brooks untersucht in einer jüngst erschienenen Studie die Gründe für das Scheitern des Organizingprojekts der UAW und beschreibt darin, wie eine Lobby aus Unternehmen und Politik gegen die Gewerkschaft mobil machte. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/wusa.12249/full.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.