von Manfred Dietenberger
Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) hat am 17.1.2017 auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin einen Gesetzentwurf vorgelegt, der es Beschäftigten ermöglichen soll, zeitlich befristet in Teilzeit zu arbeiten, danach aber wieder zur vollen Arbeitszeit zurückkehren zu können. Voraussetzung dafür ist ein sechsmonatiges Bestehen des Arbeitsverhältnisses und die Antragstellung drei Monate vor Beginn der Umstellung. Dieses Recht soll in Betrieben ab 15 Beschäftigten gelten.
«Ich sehe den Anspruch auf befristete Teilzeit auch als Beitrag dafür, Männer zur Teilzeit zu ermutigen oder wenigstens zur Reduktion der Arbeitszeit», begründete Nahles ihre Gesetzesinitiative. Die Arbeitgeber hatten die Pläne heftig als Eingriff in ihre Rechte kritisiert. DGB-Chef Reiner Hoffmann hingegen lobte den Vorstoß und forderte die Bundesregierung auf, den Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit schnell umzusetzen.
Dieser Gesetzentwurf ist jedoch nur eine Teilantwort auf die Arbeitgeberforderung nach weiterer Flexibilisierung der Arbeit. Ende November 2016 legte Nahles ihr «Weißbuch Arbeit 4.0» vor. Die Flexibilisierung der Arbeit ist Schwerpunktthema dieses Weißbuchs. Darin schlägt Nahles vor, die «Sozialpartner» damit zu beauftragen, dass sie selber sich Modelle weiterer Flexibilisierung ausdenken und diese erproben. Dafür soll eine Experimentierungsphase von zwei Jahren eingeführt werden. In diesen zwei Jahren haben die Unternehmen, die berechtigt sind, an dem Experiment teilzunehmen, in Absprache mit den Gewerkschaften das Recht, sich über das bestehende Arbeitszeitgesetz hinwegzusetzen. Das Arbeitszeitgesetz wird in diesen Unternehmen für die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt. Damit erklärt die Ministerin die Bundesrepublik für die Dauer von zwei Jahren quasi zur arbeitszeitgesetzfreien Zone. Ein Auswahlprozess, welche Unternehmen am Experiment teilnehmen können, sei schon im Gange. Die Gewerkschaften haben erkennen lassen, dass sie sich auf diesen Prozess einlassen wollen.
Wie soll das ablaufen? Interessierte große und kleine Unternehmen werden nun, nach Absprache mit Betriebsräten und/oder Gewerkschaften, zusätzlich zu den im Betrieb schon bestehenden Arbeitszeitmodellen weitere «Alternativen» zum Acht-Stunden-Tag vereinbaren und testen können. Mögliche Handlungsfelder sind Pausen für die Kinderbetreuung, Homeoffice am Abend oder ein Arbeitsende jenseits der gesetzlichen Regelung. Es gibt eine Menge Unternehmen, die diese Möglichkeit für ihre Betriebe nutzen wollen.
Und nach dem Testlauf, was kommt dann? «Wenn die Tarifpartner sich einigen, kann man den Rahmen der bestehenden Gesetze öffnen. Aber nur unter zwei Bedingungen: «auf zwei Jahre befristet, wissenschaftlich begleitet, tarifvertraglich gesichert». Und «Wer tariflich gebunden ist, wird privilegiert» – das diene der Stärkung der Tarifautonomie.
Das beruhigt wenig. Das ist nur der Apfel, den Nahles, die Schlange, den Gewerkschaften hinhält, um sie zum Mitmachen einzuladen. Denn einer weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeit bedarf es wahrlich nicht – es gibt genügend Null-Stunden-Verträge für Arbeitslose, Minijobber, Leiharbeiter, prekär Beschäftigte, Werksverträgler und andere Scheinselbständige usw. Der heute schon in der betrieblichen Wirklichkeit fast nicht mehr auffindbare Acht-Stunden-Tag soll, geht es nach den Kapitalinteressen, vollends weg. Um die dafür nötig gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen, knüpft sie an dem berechtigten Anspruch der Beschäftigten an, ihre Arbeitszeit selbstbestimmt zu verteilen. «Ich bin der festen Überzeugung, dass die gesetzlichen Regelungen zu den Ruhezeiten und den Tageshöchstarbeitszeiten teilweise den Interessen der Beschäftigten entgegenstehen», so Nahles. Diskret verschweigt sie, dass die Entscheidung, wann gearbeitet wird und wann nicht, auch fürderhin allein der Boss bestimmt.
Aber lassen wir uns nichts vormachen, die Verfügungsgewalt über unsere Zeit wird uns nur vorgegaukelt. Die Taktung unserer Arbeit war und ist fremdbestimmt – sie lässt sich durch die weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten in Zukunft dann noch passgenauer an die Bedürfnisse der Betriebe und der Profitmaximierung anpassen. Ob das in Zukunft so weiter läuft, hängt davon ab, ob wir Regierung und Kapital weiter das Heft des Handelns überlassen. Der als «Industrialisierung 4.0» daherkommende Wandel der Arbeitswelt geht einher mit einer erheblichen Steigerung der Produktivität und damit des Profits, den die Unternehmer natürlich nicht mit den Beschäftigten (die ihn erarbeiten) und schon gar nicht mit der Gesellschaft zu teilen beabsichtigen.
Es geht also in Wirklichkeit nicht nur um Arbeits- und Lebenszeit, sondern um die Umverteilung des erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtums. Es geht um unser Geld und unsere Zeit – um die Frage, wann und wieviel wir arbeiten und wer darüber entscheidet.
1984, im Kampf um die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, hörte man die Losung: «Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen». Ja, es kam dann nach harten gewerkschaftlichen Kämpfen wirklich zu einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, mancher Arbeitsplatz konnte erhalten oder gar geschaffen werden. Die Kapitalisten haben damals eine Teilniederlage erlitten, aber sie haben nicht aufgegeben, sondern das Thema Arbeitszeiten auch danach nie aus dem Blick verloren. In den zurückliegenden mehr als drei Jahrzehnten haben sie mehr und mehr Terrain zurückgewonnen.
Doch das reicht ihnen nicht. Im Zusammenhang mit dem Thema Industrialisierung 4.0 will die Kapitalseite noch mehr und noch flexibleren Zugriff auf die Zeit der abhängig Beschäftigten. Dabei zwingt uns die Digitalisierung geradezu eine andere Perspektive auf: statt Heraufsetzung der täglichen gesetzlichen Höchstarbeitszeit deren massive Reduzierung. Statt Zeitkonten drastische Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit. Statt die Belegschaften weiter zu spalten muss der Produktionsfortschritt genutzt werden, um den Normalarbeitstag radikal auf vier Stunden zu kürzen, um den Zugang zu auskömmlich bezahlter Arbeit und einem gelungenen Leben wieder für alle zu öffnen.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.