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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2017
Das DHM und die deutsche koloniale Vergangenheit
von Angela Klein

Im Jahr 2009, mitten in den Wirren der Finanzkrise, starteten einige entwicklungspolitische Gruppen und Einzelpersonen einen Kampagnenaufruf «125 Jahre Berliner Afrika-Konferenz – erinnern – aufarbeiten – wiedergutmachen», mit dem sie um Aufmerksamkeit für die koloniale Vergangenheit Deutschlands warben.

Der Aufruf erinnerte an den Winter 1884/85, als Reichskanzler Bismarck die Vertreter der damaligen Weltmächte zu einer Afrika- oder Kongo-Konferenz in Berlin empfing. Vor einer riesigen Afrikakarte feilschte die Herrenrunde da um Rohstoffe, die Kontrolle von Verkehrswegen, Handelsfreiheit für die imperialistischen Mächte… Der große Gewinner der Konferenz war Belgien, dessen König Leopold II. mit dem Kongo das rohstoffreichste Gebiet Afrikas und faktisch einen Privatstaat bekam. Bismarck hatte die Konferenz nach Berlin geholt, weil er wollte, dass Deutschland im Konzert der Großen mitmischte und für deutsche Kaufleute in Ostafrika und in Südwestafrika «Handelsfreiheit» gesichert würde, indem sog. «Schutzgebiete» geschaffen wurden.

Mit diesen Beschlüssen weitete sich die deutsche Siedlungstätigkeit, die Enteignung und faktische Versklavung der ansässigen Bevölkerung massiv aus. Zwischen 1885 und 1903 wurde ein Viertel des Landes der Herero und der Nama im heutigen Namibia von deutschen Siedlern enteignet. Geduldet von den Kolonialbehörden, vergewaltigten sie Frauen und Mädchen und erlegten der Bevölkerung Zwangsarbeit auf.

Die Ideologie von der «Herrenrasse», die ihre «Überlegenheit» dadurch zur Schau stellt, dass sie andere Völker gewaltsam unterjocht, konnte zwar auf einem linearen Fortschrittsglauben aus der Zeit der Aufklärung aufsetzen, wonach der historische Entwicklungsweg der Europäer der Königsweg zu Freiheit und Wohlstand sei. Doch eine Lizenz zum Vernichten auf der Basis einer angeblich «wissenschaftlich basierten» Rassenlehre ergab sich daraus erst mit dem Aufstieg des Imperialismus. Im Berliner Treptower Park wurden im Rahmen einer Kolonialausstellung «Eingeborenendörfer» mit Kolonisierten aus deutschen Überseegebieten ausgestellt. Eine «Reichskolo­nialuhr» zeigte auch die Ortszeiten der Kolonien an. Darüber stand der Spruch: «Kein Sonnenuntergang in unserem Reich.»

Von nichts Geringerem als von einer Rückkehr zu den Zeiten Karls V. (1500–1558), in dessen Reich «die Sonne nie unterging», weil es von den Philippinen über Lateinamerika bis Europa reichte, träumte der deutsche Kaiser.

Einheimische Aufstände wie die der Herero und Nama wurden niedergeschlagen. Dabei wurde nicht nur ein Blutbad angerichtet, es wurden auch schon die ersten Konzentrationslager gebaut, Menschenversuche gemacht, die Bevölkerung aus ihren angestammten Gebieten deportiert und schließlich ein Vernichtungsfeldzug gegen sie geführt. Die Nazis brauchten nichts zu erfinden, sie brauchten die historischen Erfahrungen nur zu systematisieren.

Beim einen Aufstand 1904 wurden 100000 Herero und Nama getötet. Wikipedia zitiert den befehlshabenden General von Trotha mit den Worten: «Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss.» Trotha wurde darin vom Kaiser sowie vom Chef des Generalstabs, Alfred von Schlieffen, der bereits 1905 mit den Vorbereitungen für den Ersten Weltkrieg begann, unterstützt: «Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen.» Der Vernichtungsfeldzug gegen die Herero, durch den ein Drittel des Volkes ausgelöscht wurde, war der erste Völkermord des 20.Jahrhunderts.

Am 9.Juli 2015 bezeichnete Bundestagspräsident Norbert Lammert das Massaker an den Herero und Nama erstmals als Völkermord; einen Tag später folgte das Auswärtige Amt. Eine Entschließung des Deutschen Bundestags gibt es dazu noch nicht. Auch will die Bundesregierung für die Folgen der Handlungen des Reichs, dessen Rechtsnachfolge sie nach dem Zweiten Weltkrieg angetreten hat, nicht aufkommen: individuelle Entschädigungszahlungen lehnt sie, wie schon in Griechenland, grundsätzlich ab. Vertreter der Volksgruppen der Herero und Nama haben in New York deshalb eine Sammelklage gegen Deutschland eingereicht. Die Kläger berufen sich auf die UN-Erklärung der Rechte für die indigenen Völker, die seit 2007 eine Beteiligung an wichtigen, sie betreffenden Entscheidungen durch selbst bestimmte Vertreter vorsieht. Die Bundesregierung will die Herero mit einer «Zukunftsstiftung» abspeisen, die «Erinnerungsprojekte» finanziert.

Dass in die Sache etwas Bewegung gekommen ist, hat sicher auch mit der eingangs genannten Kampagne «125 Jahre Berliner Afrika-Konferenz» zu tun. Im Rahmen dieser Kampagne nahmen fünf junge Historikerinnen* die Dauerausstellung über die Deutsche Geschichte im Deutschen Historischen Museum (DHM) genauer unter die Lupe und stellten fest, dass sich darin «kaum Hinweise auf Deutschlands Kolonialgeschichte finden». Sie erstellten deshalb einen alternativen eineinhalbstündigen Audioguide, der an Hand der Ausstellungsgegenstände über die Geschichte des Kaiserreichs stets Verbindungen zur deutschen Kolonialpolitik herstellt. Dieser Audioguide ist jedoch im Museum nicht erhältlich, nicht einmal einen Hinweis darauf finden die Besucher. Man muss ihn sich von der Webseite der Initiative herunterladen (www.kolonialismusimkasten.de).

Das DHM redet sich damit heraus, im Vergleich zu Großbritannien, Frankreich und auch Belgien sei das Deutsche Reich «weit davon entfernt» gewesen, eine wirkliche Kolonialmacht zu sein. Das ändert aber an der Tatsache des Völkermords nichts und wirft darüber hinaus ein Licht auf die imperialistischen Ursprünge eines ­wesentlichen Bestandteils der Naziideologie und dass die Nazibarbarei so «singulär», wie immer getan wird, nicht war.

Das Museum will immerhin diesen Bereich der Dauerausstellung überarbeiten. Zusätzlich hat es nun dem deutschen Kolonialismus eine eigene Sonderausstellung gewidmet, die bis zum 14.Mai zu sehen ist.

Doch auch diese sehen die Historikerinnen kritisch: Die Kolonialpolitik werde dort losgelöst von der Alltagskultur der Deutschen dargestellt. Doch die Kolonien seien nie «ein Randthema» gewesen.

 

*Die Historikerinnen sind Manuela Bauche, Dörte Lerp, Susann Lewerenz, Marie Muschalek, Kristin Weber.

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