Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2017

Dokumentation – Anklage einer Krankenschwester
von Jana Langer

Der Personalnotstand in den Krankenhäusern schreit zum Himmel. Das Personal geht bis ans Ende seiner Kräfte. In der Charité wurde deshalb vor zwei Jahren gestreikt – es hat sich nicht viel verbessert. Eine Krankenschwester hat jetzt die Reißleine gezogen und sich mit einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin gewandt.

Sehr geehrte Frau Merkel,

seit über 20 Jahren bin ich Krankenschwester an der Universitätsklinik in XXX. Absolvierte auch dort meine Ausbildung. Hochmotiviert war ich für diesen Beruf, machte Weiterbildungen und Zusatzqualifikationen, gab immer mein Bestes. Der Mensch stand stets im Mittelpunkt meines Handelns, die Genesung und Linderung von Schmerzen, Hilfe zur Selbsthilfe war immer mein Berufsmotto. Wahrung der Menschenwürde, trotz oftmals widriger Umstände, war für mich das oberste Gebot.

Die letzten Jahre war das ein Ding der Unmöglichkeit. Patienten sind zu Wirtschaftsfaktoren geworden, sind Fallzahlen und Kostenfaktoren. Menschen sind sie keine mehr, und sie als solche zu behandeln unmöglich. Eine menschenwürdige Arbeit zu verrichten, ist nicht mehr möglich.

Dokumentationen, die zur Abrechnung dienen, behindern meine Arbeit und fressen Zeit, die ich früher für die Patienten hatte.

Sie erwähnten vor dem Wahlkampf: «Pflegekräfte haben einen härteren Job als ich», als «stille Helden» haben Sie uns bezeichnet.

Still sind wir bisher gewesen, da gebe ich Ihnen Recht, ob wir einen härteren Job haben als Sie, vermag ich nicht zu beurteilen. Was ich jedoch beurteilen kann: Das Gesundheitssystem in seiner bestehenden Form behindert meine Arbeit.

Arbeitszeitgesetze werden aufgrund von fehlender Finanzierung der Personalstellen nicht eingehalten. Patienten werden zu früh entlassen, da ihre Finanzierung nicht gewährleistet ist.

Gefährliche Pflege (bedingt durch Personalmangel) bringt jeden an seine noch leistbare Grenze.

Der Nachwuchs bleibt aus, und diejenigen, die sich zu dieser Ausbildung entschlossen haben, scheiden viel zu früh aus dem Berufsleben aus, werden während ihrer Ausbildung nur unzureichend betreut und viel zu oft allein gelassen.

Wohl dem, der keine Leistungen im Krankenhaus in Anspruch nehmen muss. Denn jeder Aufenthalt könnte im Moment zur tödlichen Falle werden.

Innerlich gekündigtes Personal, schlecht bezahlte Hilfskräfte mit entsprechender Motivation, überarbeitete und übermüdete Pflegekräfte, die nur noch versuchen, den größten Schaden abzuwenden, sind alltägliche Bilder in jeder Klinik von Deutschland.

Glauben Sie nicht, dass hier endlich eine umfassende Reform nötig ist?

Hier muss eine umfassende Reform auf die Tagesordnung, keine Schnellschüsse und kleine Nachbesserungen.

Über eine Million Pflegekräfte arbeiten und leiden in Ihrem Land, das Sie regieren. Sie tragen die Verantwortung für jene, die Ihnen das Vertrauen ausgesprochen haben.

Ist Ihnen klar, dass Sie dieses Vertrauen mit Füßen treten?

Wir können Sie nicht wirtschaftlich unterstützen, wir tragen auch nichts zum Bruttoinlandsprodukt bei. ABER: Wir versorgen die Schwächsten in unserer Gesellschaft, geben jenen Hilfe und Unterstützung, die krank oder auch alt geworden sind. Das ist IHR Volk, um die wir uns MENSCHENWÜRDIG und PROFESSIONELL kümmern wollen. Also sorgen Sie dafür, dass wir auch die nötigen Mittel an die Hand bekommen, um uns nicht täglich strafbar zu machen und mit einem schlechten Gewissen nach Hause zu gehen.

17.Januar 2017

 


 

Leben geht vor Profit - Zum Offenen Brief von Jana Langer
von Manuel Kellner

Da schreibt sich die OP-Schwester Jana Langer den jahrelang aufgestauten Frust vom Hals. Er mündet in einem auf Facebook veröffentlichten Offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, der in den sozialen Medien große Beachtung findet. Angela Merkel antwortet trotzdem nicht – bislang jedenfalls. Was soll sie auch sagen? Die unhaltbaren Zustände in den Kliniken sind die Folge der neoliberalen Politik im Interesse des Kapitals, für die sie steht, für die die gesamte etablierte Politik steht. Mit dieser Politik kann und will sie nicht brechen.

Eine Sache ist es, wohlfeil schöne Worte über die Leistungen und die harte Arbeit der Pflegekräfte von sich zu geben und die Beschäftigten der Krankenhäuser «stille Helden» zu nennen, eine ganz andere Sache wäre es, auf den Aufschrei dieser Krankenschwester und auf die Proteste vieler hunderttausend Beschäftigter im Gesundheitswesen mit Taten zu reagieren, die die unhaltbar gewordenen Zustände ändern.

Die Kliniken funktionieren mittlerweile wie profitorientierte Unternehmen. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten sind unerträglich und verhindern eine angemessene Betreuung der Patientinnen und Patienten. Die Dokumentierung der Leistungen frisst sehr viel Zeit. Das dauert manchal deutlich länger als der operative Eingriff selbst. Außerdem wird viel zu wenig Personal eingestellt. Oft reicht schon eine einzige Krankmeldung, damit der Dienstplan zusammenbricht. Im Mittelpunkt stehen nicht die Menschen, sondern die Kosten bzw. das oberste Gebot: Kosten zu sparen.

Verschlimmert haben sich die Zustände in den Kliniken besonders durch die jahrelangen Privatisierungen und die Einführung der Kostenpauschalen im Jahr 2004. Alle Leistungen sind streng budgetiert. Es geht nicht mehr darum, ob Maßnahmen zum Wohl der Patienten erforderlich sind. Es geht nur noch darum, ob und wie diese Maßnahmen abgerechnet werden können.

Gegenüber der Presse führt Jana das Beispiel der Hüft-OPs an. Deren Zahl ist festgelegt. Führt eine Klinik mehr Hüft-OPs durch als vorgesehen, wird sie bestraft und zur Kasse gebeten. Führt sie weniger Hüft-OPs durch als vereinbart, dann auch. Darum werden nötige Operationen immer wieder nicht durchgeführt oder hinausgezögert, während unnötige Operationen durchgeführt werden, um das «Soll» zu erfüllen.

Diese Missstände sind Ausdruck einer kapitalistischen Misswirtschaft. Wie Jana Langer in ihrem Offenen Brief an Angela Merkel schreibt, reicht da kein Herumdoktern an Symptomen. Eine grundlegende Reform muss her, sagt sie. Ja: Die ganze Richtung stimmt schon lange nicht mehr, das Ruder muss herumgeworfen werden. Die Menschen gehören endlich wieder in den Mittelpunkt, und da sind die Interessen der Beschäftigten nach kürzerer Arbeitszeit, besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen genau auch die Interessen der Patienten, die professionelle Behandlung und menschliche Zuwendung brauchen.

Jana Langer schreibt, das Personal der Kliniken trage nicht zum Bruttoinlandsprodukt bei. Wörtlich genommen stimmt das nicht ganz, denn das Bruttoinlandsprodukt ist ja die geldwerte Summe aller gehandelten Waren und Dienstleistungen. Es stimmt aber trotzdem, dass das Gesundheitswesen, die Altenpflege, die Kinderbetreuung usw. Bereiche sind, die von Haus aus nicht dem gewinnorientierten Wirtschaften zugerechnet werden. Ein Land gilt im marktwirtschaftlich-kapitalistischen Sinn nicht als reich, bloß weil es ein herausragend gutes Gesundheitssystem hat wie das arme Kuba.

Die Zurichtung der Bereiche der Daseinsvorsorge und der im Dienst der Bürger stehenden Infrastruktur auf profitorientiertes Wirtschaften nimmt groteske Züge an. Der Reichtum einer Gesellschaft sollte daran gemessen werden, wie sie für ihre Mitglieder zu sorgen imstande ist – für alle ihre Mitglieder, ganz besonders für diejenigen, die ganz besonders auf Hilfe angewiesen sind. Nur eine demokratisch verwaltete gemeinwirtschaftliche Organisierung der Daseinsvorsorge kann das gewährleisten.

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