von Paul Michel
Martin Schulz Superstar. Martin Schulz Hoffnungsträger. Innerhalb weniger Wochen ist der SPD dank ihm die Trendwende gelungen. Zum erstenmal seit vielen Jahren liegt die längst abgeschriebene SPD in Meinungsumfragen wieder vor der CDU, im direkten Vergleich mit Merkel lässt der neue Star der SPD die Kanzlerin um Meilen hinter sich. Offenbar kommt er gut an. Er präsentiert sich als ein Mann aus «einfachen Verhältnissen», der von sich behauptet, «für die hart arbeitenden Menschen» in diesem Land zu kämpfen.
Unbestreitbar ist, dass der Sohn eines Polizisten und einer Hausfrau mit großer Energie und nicht bestreitbarem Geschick sich selbst gekonnt inszeniert. Schulz zum Anfassen, immer mit den Leuten auf Tuchfühlung, stets bemüht, dass bei seinen Kontaktaufnahmen mit dem Volk Kameras in der Nähe sind, hemdsärmelig und plump vertraulich mit den Journalisten, immer zupackend und dynamisch, Siegeswillen ausstrahlend und menschliche Wärme vortäuschend.
Martin Schulz ist ein Phänomen, dem die Quadratur des Kreises gelingt: Er redet ohne etwas auszusagen – und vermittelt gleichzeitig das Gefühl von Glaubwürdigkeit.
Beispiel Steuern: Schulz reüssiert als angeblicher Anwalt der kleinen Leute und redet davon, dass «Riesenvermögen» höher belastet werden müssten als kleine und mittlere. Gleichzeitig lehnt er eine Vermögensteuer und höhere Einkommensteuern für Reiche und Höchstverdiener ab. Auch seine Haltung zu einer höheren Besteuerung von Firmenerben lässt er offen.
Beispiel Agenda 2010: Angeblich gibt sich Schulz selbstkritisch gegenüber der Agenda 2010 des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder. Die Maßnahmen seien zwar «die richtige Antwort auf eine Phase der Stagnation» gewesen, sagt Schulz dem Spiegel. Allerdings seien auch Fehler gemacht worden. «Wir hätten gleichzeitig den Mindestlohn einführen und Superreiche stärker belasten müssen.» 2014 klang er noch ganz anders. Da lobte er Schröder, er sei «einer der ganz großen Politiker in Deutschland». Ausdrücklich bezog er das Lob auf die Agenda 2010, die für andere Europäer heute Vorbild sei.
Angesichts solcher Unstimmigkeiten fragen sich zu Recht manche bürgerliche Journalisten: «Aber wofür steht der lustige Mann aus Würselen?»
Ein Blick zurück auf sein Wirken als Vorsitzender des EU-Parlaments schafft da etwas Klarheit. Zwar tat sich Martin Schulz auch in dieser Zeit vor allem durch mediale Selbstinszenierung, große Sprüche und das Zünden von politischen Nebelkerzen hervor. Ein paar Positionen, die er bezog, lassen allerdings erkennen, aus welchem Holz der Mann geschnitzt ist:
– Als es um die Aufklärung der Luxemburg-Leaks ging, die Steuersparmodelle, dank derer viele große internationale Konzerne weniger als 1% Steuern auf ihre Gewinne zahlen, hat Martin Schulz stets den Architekten solcher Konstrukte, Jean-Claude Juncker, geschützt. Er verhinderte er einen Untersuchungsausschuss, der sich mit der Rolle des derzeitigen EU-Kommissionspräsidenten befassen sollte, in dessen Amtszeit als luxemburgischer Ministerpräsident viele dieser Steuerabsprachen stattfanden.
– Bis zum Schluss war Schulz ein Förderer von TTIP und CETA. Immer wenn es um TTIP ging, hat er mit faulen Tricks eine Debatte des Europaparlaments über TTIP abgewürgt, weil er eine «inkohärente Abstimmung», sprich: ein für ihn nachteiliges Ergebnis erwartete.
– Am meisten über seine politische Verortung verrät die Rolle, die Schulz bei der Unterwerfung von SYRIZA unter das Diktat der Troika im ersten Halbjahr 2015 gespielt hat. In den Monaten von Januar bis Juli 2015 hat Schulz unter Aufbietung seiner ganzen schauspielerischen und demagogischen Fähigkeiten der Troika politischen Flankenschutz bei ihrem Abwürgen von SYRIZA gegeben. Bei Treffen mit Ministerpräsident Tsipras machte er einen auf hemdsärmelig jovial, und als das nicht die angestrebte Wirkung zeigte, schaltete er in den Feldwebelmodus um. In der ihm eigenen Großmäuligkeit ließ er die Öffentlichkeit wissen, dass er jetzt «die Faxen dicke» habe und von nun an mit Tsipras «Tacheles» reden würde. Auch wenn er zwischendurch bei Treffen mit Tsipras wieder einen auf Kumpel machte, so stand er in der Sache immer an der Seite von Schäuble und seinen Kumpanen, wenn es galt, der griechischen Verhandlungsdelegation «mentales Waterboarding» zu verabreichen. «Wenn SYRIZA seine Forderungen überzieht, wird auch kein Geld mehr nach Griechenland fließen», lautete das gemeinsame Mantra von Schulz und Schäuble. In der heißen Phase der Verhandlungen zwischen der SYRIZA-Regierung und der Troika stellte selbst die bürgerliche Presse fest, dass Schulz die Bundeskanzlerin mehrfach rechts überholte.
Das sollte uns Hinweis und Warnung sein, was wir von einem Kanzler Schulz zu erwarten haben. Wer also eine Alternative zu Merkels Politik sucht und deswegen Martin Schulz wählt, kann sich gleich selbst ins Knie schießen. Gravierende Unterschiede zwischen Merkel und Schulz gibt es nur in Stilfragen. Da hat Schulz viel mit dem letzten sozialdemokratischen Bundeskanzler, Gerhard Schröder, gemein: ausgeprägte Wichtigtuerei, autoritäre Basta-Mentalität, krankhafter Ehrgeiz – alles Eigenschaften, die viele Emporkömmlinge aus «einfachen Verhältnissen» auszeichnen. Aber sind das Eigenschaften, weswegen wir den Kandidaten Schulz wählen sollten?
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