Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2017
Die Sache mit den Arbeitsplätzen
von Alfred Weinberg

Das Rheinische Braunkohlerevier wird auch in diesem Sommer wieder Schauplatz großer Mobilisierung gegen den Braunkohletagebau sein. RWE zieht alle Register, um die örtliche Bevölkerung gegen die Protestbewegung aufzubringen, bisher mit mäßigem Erfolg. Unter anderem schwingt der Konzern die Arbeitsplatzkeule. Was ist dran an dem Argument?

Fast alle Beschäftigten von RWE sind dem Konzern bisher sehr verbunden, sehr loyal, identifizieren sich stark damit. RWE gibt sich ganz als Firma, die gut für ihre Beschäftigten sorgt – durch Vergünstigungen wie langjährige Kohledeputate, relativ hohe Betriebsrenten usw.

Wie aber sieht die Realität sonst noch aus?

RWE bietet relativ gut bezahlte Arbeitsplätze. Nur: Sicher sind diese schon lange nicht mehr – seit Jahren vernichtet RWE im Rheinischen Revier selbst Arbeitsplätze. Von den 15316 Arbeitsplätzen im Jahr 1990 sind aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen 2008 nur 8433 übriggeblieben. Realisiert wurde der Arbeitsplatzabbau mit Hilfe des «Programms 51», das bedeutete: Mit 51 Jahren konnten viele Beschäftigte von RWE vorzeitig in den Ruhestand gehen. Ab 2012 wurde jedoch anders gezählt. Indem Beschäftigte in den Kraftwerken der allgemeinen Versorgung nun mitgezählt wurden, stieg die Beschäftigtenzahl im Jahre 2012 wieder auf 12693. Am 31.12.2015 lag sie bei 9410.

 

Ab in die Arbeitslosigkeit?

Wie würde ein sofortiger Ausstieg aus der Braunkohle die Beschäftigten treffen? Dazu muss man ihre Altersstruktur berücksichtigen. 41,3% sind 46–55 Jahre alt; 26,5% sind 56 Jahre und älter. Also hat etwa ein Drittel bald das Rentenalter erreicht. Weil aber der Rückbau der Tagebaue, der Kraftwerke und der gesamten Braunkohleinfrastruktur sowie die notwendige, wirkliche Renaturierung mindestens 5–6 Jahre dauern würde, müsste fast niemand in die Ungewissheit einer eventuellen Arbeitslosigkeit entlassen werden.

Gleichzeitig könnten manche Beschäftigte ins aufstrebende Tochterunternehmen Innogy wechseln. Nach der Ankündigung eines starken Personalabbaus und von Lohnsenkungen im Sommer 2016 einigten sich RWE und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie sowie die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di auf folgenden Kompromiss: keine Entlassungen, keine Lohn- bzw. Gehaltsabsenkungen, Reduzierung der Belegschaft durch Eintritte ins Rentenalter.

 

RWE und die Gewerkschaften

Die IG BCE ist die treueste Unterstützerin, die man sich vorstellen kann. Sie ist im Grunde ein «Sprachrohr» des RWE-Managements. Im Sommer 2015, als der damalige Wirtschaftsminister Gabriel einen Klimabeitrag der Kohleindustrie forderte, verkündete sein Parteigenosse Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der IG BCE, dieser Vorschlag werde 100000 Arbeitsplätze kosten, und verbreitet damit Panik. Stattdessen schlug er vor, mit den alten Kohlekraftwerken eine Kapazitätsreserve zu schaffen. Wie stark der Einfluss von Vassiliadis ist, zeigt sich u.a. darin, dass er den Vorschlag in Abstimmung mit den Bundesländern entwickelte und der damalige Industriepräsident Grillo ihm sofort zustimmte.

Entsprechend mobilisierte die IG BCE ihre Mitglieder zu einer Demonstration nach Berlin, RWE stellte die Beschäftigten dafür frei und bezahlte auch noch die Busse nach Berlin. [Dies erinnert an die Pro-Atom-Kundgebung, zu der im Jahr 1976 Gewerkschaften, Atomlobby und Regierungsvertreter luden, auch damals wurden die Busse von den Atomkonzernen gezahlt.]

Erwähnenswert ist noch die Initiative «Schnauze voll» der IG BCE im Sommer 2016, anlässlich des Klimacamps in der Nähe des Tagebaus Garzweiler. In einem Aufruf, der eine Faust zeigte, die das Camp zerquetscht, wurden die Klimaaktivistinnen und -aktivisten als kriminelle Gewalttäter hingestellt. Die Darstellung konnte sogar als Aufforderung zur Gewalt gegen die Klimacamper aufgefasst werden. Ganz ähnlich kriminalisiert auch RWE die Waldbesetzung im Hambacher Forst und ermöglicht gewaltsame Übergriffe der Sicherheitsdienste.

Glücklicherweise reagierte die Bewegung gegen Kohle und für Klimagerechtigkeit besonnen und initiierte Dialoggespräche mit der IG BCE und mit Ver.di noch auf dem Klimacamp selbst.

Ver.di hat bis 2016 ebenfalls einen klaren Pro-Braunkohle-Kurs verfolgt und sich z.B. in den Publikationen ihres zuständigen Fachbereichs deutlich für den Kapazitätsmarkt ausgesprochen. 2015 sprang der Ver.di-Vorsitzende Bsirske noch Vassiliadis zur Seite und ließ ebenfalls nach Berlin mobilisieren. Auf dem Gewerkschaftsrat im April 2016 rückte Ver.di jedoch von dem eindeutigen Pro-Kohle-Kurs ab und beschloss, Gaskraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplung hätten Priorität.

Bsirske ist Multifunktionär, u.a. auch stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats von RWE. Nun muss er, gezwungen vom neuen Beschluss, einen kohlekritischeren Kurs vertreten. Ver.di hat ein eigenes Ausstiegsszenarium vorgelegt. Mitglieder der Gewerkschaft suchen zunehmend das Gespräch mit der Anti-Kohle-Bewegung, manche die direkte Kooperation. Hier eröffnen sich vielversprechende Perspektiven, denn wenn die Mitarbeiter auf unsere Seite wechseln, hat RWE verloren.

 

RWE und die «Politik»

RWE hat bekanntlich einen langen Arm, sowohl in die Lokalpolitik als auch in die Landes- und Bundespolitik. Ein drastisches Beispiel dafür vermeldete vor kurzem der Kölner Stadtanzeiger: «CDU-Politiker Gregor Golland bis zu 120000 Euro im Jahr für Halbtagsjob bei RWE». Dieser Landtagsabgeordnete des Rhein-Erft-Kreises sitzt in RWE-relevanten Ausschüssen.

Der SPD-Abgeordnete Reiner Thiel aus der Region um Grevenbroich, der sogenannten «Hauptstadt der Energie», stellt sich auf seiner Webseite ebenfalls offensiv als Braunkohleverfechter dar. Er ist auch ein starker Befürworter der Braunkohlechemie. Noch viele andere Beispiele könnten genannt werden, hier sei nur auf Hildegard Müller verwiesen, einer engen Vertrauten von Angela Merkel, die jetzt im Vorstand von Innogy sitzt.

 

RWE und die Zukunft

Die Zukunftsprojektionen von RWE lassen sich am Forum «terra nova» am Tagebau Hambach ablesen. Am Rande des riesigen Tagebaus hat RWE schon mal Liegestühle und Sonnenschirme (aus Metall) aufgestellt – als Vorgriff auf die zukünftige Perspektive des Tagebaus nach dem Ende des Betriebs 2045: nämlich seine Wandlung zum zweitgrößten See der Republik hinter dem Bodensee, nachdem der Tagebau mit Rheinwasser geflutet wurde.

RWE engagiert sich auch fleißig in in der Innovationsregion Rheinisches Revier (IRR GmbH). Dort propagiert der Konzern vor allem die scheinbar blendenden Aussichten der Braunkohlechemie als der Petrochemie ebenbürtig. Schon zur Zeit des Nationalsozialismus wurde in Leuna Benzin in Braunkohle umgewandelt. Die derzeitige Benzinproduktion Südafrikas beruht zu etwa 27% auf Kohle. Noch würde sich in Deutschland ein solches Großprojekt nicht rechnen, aber es wird umfangreich geforscht und experimentiert.

Die Technische Universität Bergakademie Freiberg in der Nähe des anderen großen Braunkohlereviers, der Lausitz, ist dabei besonders emsig. 1% der in der Lausitz geförderten Braunkohle soll bereits laufend chemisch umgewandelt werden – erfolgreich und ökonomisch.

 

RWE und Atomenergie

Der Strommix von RWE enthält weiterhin etwa 15% Atomstrom. RWE hat auch Anteile am multinationalen Konzern URENCO. Der deutsche URENCO-Standort ist Gronau in Westfalen, wo seit 1985 Kaskaden in Betrieb sind, die nach dem Zentrifugenverfahren Kernbrennstoff auf bis zu 5% Uran 235 anreichern. Die URENCO-Gruppe beliefert Kernkraftwerke in Europa und Übersee und hält derzeit einen Weltmarktanteil von über 25%, mit steigender Tendenz. Auch die Katastrophen-Atomkraftwerke in Belgien werden beliefert, auch Tihange.

Für den Fall, dass Tihange doch geschlossen wird, ist eine für RWE sehr günstige und profitable Lösung geplant: Die Netzbetreiber Amprion (Deutschland) und Elia (Belgien) planen nämlich eine runde 100 Kilometer lange Hochspannungsgleichstromverbindung zwischen Deutschland und Belgien. Das Projekt trägt den Namen ALEGrO (Aachen Lüttich Electricity Grid Overlay). Auf deutscher Seite wird die Trasse zwischen Oberzier, direkt am Tagebau Hambach, und Aachen-Lichtenbusch verlaufen.

 

RWE am Ende?

Leider nein. Wie wir gesehen haben, trotzt der global operierende Konzern der tiefen Krise mit geschickten Maßnahmen.

RWE und die Tochter Innogy befinden sich aber im Dauerkonflikt mit einem wachsenden Widerstand, der sich vielfältig, teilweise zunehmend radikaler und immer weniger berechenbar organisiert. Große Teile der Zivilgesellschaft, z.B. die «Klima-Allianz», zeigen sich solidarisch mit den radikaleren Strömungen der Bewegungen gegen die Kohle und für Klimagerechtigkeit.

In diesem Jahr werden die direkten Aktionen des zivilen Ungehorsams im Rheinischen Braunkohlerevier neue Höhepunkte erleben. Orientiert am «Flächenkonzept» der Anti-Atom-Bewegung im Wendland, wird es mehrere Klimacamps und verschiedene Aktionen sowohl in bzw. an den Tagebauen als auch an den Kraftwerken geben. Mit «Ende Gelände» ist ein internationales Bündnis entstanden, das durch die Zusammenarbeit mit «AusgeCO2hlt» und den Menschen vor Ort, solidarisch organisiert im «Bündnis gegen Braunkohle», in den nächsten Jahren so wirksam sein wird, dass die Vergesellschaftung von RWE und Innogy auf der Tagesordnung stehen wird.

«RWE und Innogy – in die Knie!»

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