von Serdar Kazak*
Der «Fall» oder die «Befreiung» von Aleppo liegt nun mehr als einen Monat zurück. In unserer schnelllebigen Gegenwart ist das eine lange Zeit. Es ist schon der Schnee von gestern. Doch die Reaktionen der Genossinnen und Genossen sowohl in der Türkei als auch in Deutschland waren sehr emotional und unsachlich. Mit etwas Distanz lassen sich die Ereignisse besser analysieren. In diesem Sinne ist der Fall oder die Befreiung von Aleppo immer noch frisch, sogar ein Schnee von Morgen.
Teile der Linken sehen im Fall von Aleppo entweder einen großen Sieg gegen die Islamisten (besonders die türkischen Genossen) oder dreckige Machenschaften eines dreckigen Diktators in einem dreckigen Krieg. Interessanterweise haben beide gleichzeitig Recht und Unrecht.
Es ist nicht angemessen, Assad zu einem Sozialisten zu erklären, weil er gegen Islamisten kämpft. Es ist aber auch unangemessen, jede Opposition im Land automatisch als die syrische Revolution zu feiern, weil er ein Diktator ist oder mit dem Iran und Russland kollaboriert.
Wenn man seine Politik vor dem Bürgerkrieg aus der Perspektive der Arbeiterklasse betrachtet, sieht man genauso viele neoliberale Schritte, wie in allen anderen ähnlichen Ländern. Privatisierungen, mafiöse Strukturen, Unterdrückung der Arbeiterbewegung und Ausverkauf des Landes waren immer an der Tagesordnung. Das war die Zeit, wo Assad von Clinton als «Reformer» gelobt und von Erdogan zum «Bruder» erklärt wurde.
Heute ist der gleiche Assad – ob wir wollen oder nicht – einer der wenigen verbliebenen Vertreter des Laizismus im Mittleren Osten. Das ist einerseits das natürliche Ergebnis der jahrelangen Unterdrückung der Linken, andererseits aber der massiven Unterstützung der Islamisten durch die Türkei seit Kriegsbeginn. Assad hat die Linke im Keim erstickt. Das ist klar. Die Türkei aber hat die Islamisten ausgebildet, bewaffnet und ins Land geschmuggelt. Die Islamisierung der Opposition war hauptsächlich das Werk der ausländischen Mächte, Türkei, Qatar und Saudi-Arabien.
Der Aufstand in Syrien begann am 15.März 2011. Fortschrittliche Gruppen waren am Anfang in der Bewegung dabei. Sie waren vielleicht sogar in der Mehrheit. Die Verhältnisse wurden aber ziemlich schnell militarisiert. Die Regierung griff sofort zu den Waffen, ausländische Mächte aber auch. Am 31.Mai 2011 fand das erste gemeinsame Treffen der Opposition in Antalya unter der Schirmherrschaft der türkischen Regierung statt. Da waren Vertreter der USA, von Großbritannien, Qatar, Saudi-Arabien und natürlich der Türkei auch dabei. Das war der Anfang vom Ende der Opposition. Am 29.Juni 2011 wurde der Luftwaffenoberst und Anhänger der Muslimbrüder, Riad al-Asaad, zum Kommandanten der Freien Syrischen Armee gewählt. Spätestens jetzt waren die Fronten ziemlich klar: Die Kurden und die Regierungstruppen waren die einzigen noch laizistisch gebliebenen Kräfte in der Region.
Diese Tatsache ist die reale Grundlage der Zusammenarbeit, oder besser gesagt, der gegenseitigen Duldung zwischen der Regierung und der kurdischen Befreiungsbewegung. Beide haben noch einen gemeinsamen Feind, der sie vernichten will.
Die Situation in Syrien ist ähnlich wie in China während der japanischen Besatzung. Damals waren die Kommunisten unter der Führung von Mao, auch wenn es ihnen nicht gefiel, gezwungen, gegen die japanische Invasion mit der Guomindang von Chiang Kaishek zu kollaborieren. Einen großen Unterschied gibt es aber im Fall Syriens: Es gibt da keinen Mao Zedong und eine Überzahl von Chiang Kaisheks.
* Der Autor lebt seit 1986 in Deutschland. Er schreibt regelmäßig Artikel für die marxistische Zeitschrift RED aus Ankara und Science-Fiction-Geschichten.
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