Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2017
AfD, Pegida und die bürgerlichen Medien
von Gerhard Klas

Sie lügen und manipulieren und lassen sich vor den Karren mächtiger, der Bevölkerungsmehrheit feindlich gesonnenen Kräfte spannen – so etwa zeichnen AfD, Pegida & Co ihr Bild über die «Mainstreammedien». «Lügenpresse» eben.

Die AfD, soviel steht fest, hat kein gutes Verhältnis zu Mainstreammedien. Weder ARD noch ZDF, auch nicht die FAZ, das Handelsblatt und der Spiegel erhielten z.B. Zugang zur Konferenz der Fraktion des Europäischen Parlaments «Europa der Nationen und der Freiheit» am 21.Januar in Koblenz. Nur das Springer-Blatt Die Welt durfte direkt von der Konferenz berichten. Alle anderen wurden vom Büro des AfD-Europaabgeordneten Pretzell, das die Presseakkreditierung organisierte, auf den Livestream der Konferenz verwiesen.

Dabei könne die AfD den Medien dankbar sein, meint z.B. Jens Berger von den «Nachdenkseiten», einem der meistgelesenen Politblogs im deutschsprachigen Internet. Denn ihre Berichterstattung habe nicht unwesentlich zum Erfolg der Partei beigetragen. «Wie kommt ein Bewohner der sächsischen Provinz eigentlich darauf, Angst vor der Islamisierung Deutschlands zu haben? Die Antwort ist wohl ebenso banal wie verstörend: Die Angst ist eine Folge der medialen Berichterstattung», polemisiert der langjährige Politblogger. Seiner Meinung nach beschäftigen sich die Mainstreammedien zu sehr mit den AfD-Lieblingsthemen «Islam, Terror, Flüchtlinge, Integration» und vernachlässigen dafür «sozialpolitische Probleme, Lobbyismus, Privatisierung, Arbeitslosigkeit oder Rente».

 

Wie die Medien arbeiten

Ohne Frage gibt es deutliche Tendenzen bei der Themenauswahl. Aber dahinter steht keine Verschwörung, sondern die aktuellen Trends und materiellen Bedingungen des Journalismus. Schnelligkeit und Tagesaktualität, zumal im digitalen Onlinezeitalter, sind in den meisten Medienhäusern absolute Priorität, nicht Reflexion. Das gilt für Private ebenso wie für Öffentlich-Rechtliche. Kein Thema mit möglicher hoher Klick- oder Einschaltquote darf außen vor bleiben. Die Wächterrolle der Medien gerät dabei nicht selten unter die Räder. Redaktionsetats werden zusammengestrichen – investigative Hintergrundrecherchen sind aber teuer. Sie dienen heute als werbewirksame «Leuchtturmprojekte», während in der Breite gespart wird und immer mehr freie Journalisten am oder sogar unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns arbeiten müssen.

Die Redakteure, die über die Themen entscheiden, haben in ihrer Mehrzahl mit dem wachsenden Heer der Niedriglöhner in der Regel wenig gemein: Sie müssen nicht jeden Euro umdrehen und müssen auch keine Angst vor Armut im Alter haben. Das beeinflusst den Blick auf die Welt, auch wenn es immer wieder löbliche Ausnahmen gibt.

 

Rolle der sozialen Medien

Es ginge jedoch zu weit, Fernsehen, Hörfunk und Print die Hauptverantwortung für den Erfolg der AfD zuzuschieben. Höher muss wohl die Bedeutung der sozialen Medien eingeschätzt werden, die von AfD und Pegida intensiv für ihre Propaganda genutzt werden. Aber dieser Verweis berechtigt Journalisten und Redakteure nicht, sich einer Auseinandersetzung um ihre eigene Rolle zu entziehen. Und das macht de facto die Mehrheit.

In der Branche herrscht der Reflex vor, gegen Rechtspopulisten nicht mehr als den Status quo zu verteidigen und zu verklären. Dass etwa der Ausgang der Wahlen in den Niederlanden hierzulande bejubelt wurde, ist hinsichtlich der ursprünglich prognostizierten Wahlresultate für Geert Wilders verständlich. Dass aber sein Hauptkonkurrent, der amtierende rechtsliberale Ministerpräsident Mark Rutte, mit Parolen wie «Wer unsere Werte nicht teilt, soll gehen» die Fremdenfeindlichkeit anheizte und mit «Niederländische Interessen kommen für mich zuerst» deutlich nach rechts in die Nähe von Geert Wilders rückte, war nur wenigen Journalisten eine Zeile wert.

 

Wasser auf die Mühlen der Rechten

Noch seltener hinterfragt wird die Rolle der EU. Dass ihree politisch-ökonomische Architektur unter maßgeblichem Einfluss der deutschen Politik den Sozialabbau in den Mitgliedstaaten vorangetrieben hat und die öffentlichen Kassen durch ein europaweites Steuervermeidungssystem für Konzerne ausgeblutet werden, ist im besten Fall eine Randnotiz in Spezialausgaben. Auch bei CETA und TTIP überwiegt die übliche Hofberichterstattung im Sinne der Wirtschaftskonzerne und ihrer Statthalter in der Politik. Und das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten.

Viel schlimmer noch wird es, wenn Kritiker von Investitions- und Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP von Medien pauschal in die Ecke von AfD & Co gestellt werden und die berechtige, meist gänzlich anders begründete Kritik linker Gruppen und Parteien an diesen neoliberalen Vertragswerken mit der Propaganda der Populisten gleichgesetzt und denunziert wird. Oder wenn Medien überhaupt jeden Zweifel am herrschenden System des Kapitalismus als «Verschwörungstheorie» abtun.

Erfreulicherweise lassen sich hierzulande die meisten Journalistinnen und Journalisten nicht vor den Karren offen rassistisch agierender Parteien und Gruppierungen spannen. Aber kaum jemand bezeichnet die rigorose Abschiebepolitik als das, was sie ist: als staatlichen Rassismus. Und wenn es um Fluchtursachen geht, wird es ganz gruselig: Wer sich nicht mit der billigen Diskriminierung von sog. «Armutsflüchtlingen» abfinden will, die angeblich kein Recht hätten, in unsere wohlhabenden Gefilde zu fliehen, sondern wissen will, wie überall auf der Welt etwa durch EU-Wirtschaftspolitik Armut erzeugt wird, der muss z.B. im Fernsehen schon auf die gut recherchierten Kabarettsendungen im ZDF oder wie eh und je auf einige wenige ARD-Politmagazine oder spät abends ausgestrahlte Spezialdokumentationen zurückgreifen.

Die Mobilisierung der Angst ist ein gemeinsamer Nenner der Neoliberalen und Rechtspopulisten. Erstere heizen mit ihrer Austeritätspolitik die berechtigte Angst vor dem sozialen Abstieg an und wollen so zu immer höherer Leistung anspornen (also die Ausbeutung der Arbeit optimieren), letztere wollen Unzufriedenheit und Befürchtungen immer größerer Bevölkerungsteile in eine Angst vor «Überfremdung» kanalisieren und schüren den Hass auf Migranten und Flüchtlinge, die in der sozialen Hierarchie noch weiter unten angesiedelt sind.

Einem Journalismus, der glaubwürdig bleiben will, bleibt keine Wahl: Er muss auch die Verantwortung der neoliberalen Eliten in Deutschland und Europa benennen, sonst wird jede Kritik am Rechtspopulismus unglaubwürdig und nährt weiter die Verschwörungstheorien von AfD, Pegida & Co. Und weil diese Eliten dazu neigen, ihre Verantwortung (z.B. für eine Steuerpolitik, die wenige reich und die öffentlichen Kassen leer gemacht hat) zu vertuschen und sich immer wieder als vermeintliche «Retter» aufzuspielen (vor dem Rechtspopulismus etwa), braucht es gründliche, unabhängige Recherche, Konfliktbereitschaft und Reflexion statt «Quote, Quote über alles» oder sogar eine Anbiederung an die «Sorgen der Bevölkerung» vor «Überfremdung».

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.