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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2017

Frankfurt am Main: Westend, 2016. 351 S., 24 Euro
von Paul B. Kleiser

Im vergangenen Jahr sind über 5000 Menschen beim Versuch ertrunken, aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Auf die Flüchtlingsbewegungen reagieren die Europäer mit immer brutaleren Methoden der Abschottung.

Nun plant man sogar, im Bürgerkriegsland Libyen «Auffanglager» zu errichten. Im Oktober 2016 besuchte Bundeskanzlerin Merkel Mali und den Niger und bot den dortigen Regierungen «wirtschaftliche Hilfe» an, wenn sie nur dafür sorgen, die Menschen von einer Reise Richtung Norden abzuhalten. Die Frage der Verantwortung des Westens für das wirtschaftliche Elend wird fast immer umgangen.

Etwa zehn Jahre lang beurteilte man Wachstum und beginnende Industrialisierung im Afrika südlich der Sahara optimistisch Vor allem wegen des Rohstoffbooms; manche glaubten tendenziell an eine Entwicklung wie in China und Indien. Auf die «asiatischen Tiger» sollten die «afrikanischen Löwen» folgen. Doch «die Periode wirtschaftlichen Wachstums war nicht … mit großen Verbesserungen der sozialen Lage der Bevölkerung verbunden. Außerdem ist sie kaum von industriellem Wachstum begleitet», schrieb der Internationale Währungsfonds (IWF) neulich.

Der IWF berichtet auch, seit 2015 werde der Optimismus von Pessimismus abgelöst. Bis 2014 betrug das Wachstum südlich der Sahara gut 5%, 2015 fiel es auf 3,5%. Für dieses Jahr wird nur mit 2% gerechnet – im Unterschied zu den «Schwellenländern» (China 2016 angeblich 6,7%).

Der Rohstoffboom der späten 1990er Jahre traf Afrika in einer Situation der Schwäche, denn die Schuldenkrise und die Politik der «Strukturanpassungen» (des IWF) haben vor allem ausländisches Kapital begünstigt: Die Minensteuer und die Lizenzgebühren (royalty rates) wurden gesenkt, die Gewinne wanderten (abgesehen von den korrupten «Eliten») vor allem in die Taschen der (westlichen und chinesischen) Multis und deren Aktionäre.

Das faktenreiche Buch des britischen Journalisten Tom Burgis mit dem Untertitel «Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas» stellt eine Mischung aus journalistischen Eindrücken und Erfahrungen aus zehn afrikanischen, rohstoffabhängigen Ländern und daraus abgeleiteten theoretischen Einsichten dar. Es geht vor allem um die Frage, wer von den Einnahmen aus Rohöl und Mineralien profitiert, welche Wege die Gelder nehmen und warum die große Mehrheit der Bevölkerung weiter verarmt.

Denn unter bestimmten Bedingungen verhindern Rohstoffe (der «Ressourcenfluch» bzw. die «Rentenökonomie») eine wirtschaftliche Entwicklung. 69% der Menschen in extremer Armut leben in Ländern, in denen Öl, Gas oder Bodenschätze die Wirtschaft dominieren, und auch die Durchschnittseinkommen liegen dort weit unter dem weltweiten Durchschnitt. In den beiden größten Ölländern Nigeria und Angola müssen (in Nigeria) 68% der Bevölkerung mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen, in Angola 43%. In Zambia und im Kongo sind es 75% bzw. 88% – obwohl der Kupferpreis sich vervierfacht hat. Die Bodenschätze sind eine Goldgrube für die Konzerne plus die Regierenden und ihre Klientel – die Regierungen sind nicht auf Steuern angewiesen, brauchen also auch keine Unterstützung durch das Volk. Bezeichnenderweise sind vier der am längsten amtierenden Staatschefs: Teodoro Obiang Nguema in Äquatorialguinea, José Eduardo dos Santos in Angola, Robert Mugabe in Zimbabwe und Paul Biya in Kamerun, Afrikaner (zusammen regieren sie seit 136 Jahren).

Seit 1956 wird in Nigeria Öl gefördert; der Kampf um die Provinz Biafra 1967, in der etwa zwei Drittel der Vorkommen liegen, kostete wohl über einer Million Menschen das Leben, aber Nigeria blieb ein einheitlicher Staat. Doch «mit jedem der einander nun ablösenden, verheerenden Diktatoren schwand die Hoffnung, es könne sich zu einem schwarzen Stern erheben, der ein unabhängiges Afrika anführt. Stattdessen wurde es zu einem Petrostaat, in dem Öl für 80% der Staatseinkünfte sorgt und in dem die Sicherung des eigenen Anteils an der Rohstoffrente ein Kampf um Leben und Tod ist.» Die Mehrheit der Bevölkerung hungert, während das Öl eine extrem reiche Oberschicht fett gemacht hat. Die früher blühende Textilindustrie mit ihren berühmten afrikanischen Mustern und Stoffen wurde von den gefälschten chinesischen Imitaten verdrängt, die – industriell gefertigt – erheblich billiger sind. Diese werden in Massen über den Hafen von Cotonou, der Hauptstadt Benins, eingeführt und dann von Schmugglern über die Grenze gebracht. Die Chefs der Schmugglerfirmen sind die Oligarchen der nördlichen Grenzgebiete zum Niger.

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