von Marcus Schwarzbach
Das Weißbuch «Arbeiten 4.0» umfasst 232 Seiten und soll sowohl Unternehmervertretern als auch Gewerkschaftern Anknüpfungspunkte bieten. Es fällt auf, was fehlt.
Zu Beginn des Dialogs betonte Arbeitsministerin Nahles: «Niemand hat ein Gestaltungsmonopol. Deshalb kann es am Ende nur einen Kompromiss geben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass es ein guter, ein sozialer Kompromiss wird.»
Im Dialogprozess wurde auch über Crowd-Working und Soloselbständige diskutiert. Während zu Beginn des Prozesses das Bundesarbeitsministerium hier noch dringenden Regelungsbedarf sah, wird das Thema im Weißbuch selbst kaum angesprochen. Crowdsourcing beinhaltet, dass Arbeit, die bislang im Unternehmen selbst erledigt wurde, ausgelagert wird.
Crowd-Working-Plattformen wie «Clickworker» sind die Vorboten einer neuen Arbeitsorganisation. Bei den Internetmarktplätzen für Arbeit ist die Macht klar auf der Seite der Auftraggeber. Bezahlt wird oft nur, wer zuerst eine Lösung einreicht, die den Anforderungen des Auftraggebers entspricht. Das Zerlegen von Arbeit in kleine und zumeist einfache Tätigkeiten ermöglicht es den Auftraggebern, auf eine Unmenge an Anbietern zurückzugreifen, die sich weltweit unterbieten.
Praxistipps für Unternehmen
Crowdsourcing ist aber nicht nur bei kleinen Nebenjobs oder einfachen Aufgaben bedeutsam. Auch bislang abgesicherte und hochqualifizierte Arbeitnehmer sind von diesen Veränderungen betroffen.
Dabei geben Fachzeitschriften für Personalabteilungen jetzt schon Praxistipps. «Crowdworking ist derzeit in der Arbeitswelt noch eine kleine Nische», erläutert das Personalmagazin. Diskutiert wird etwa über das Thema: «Crowdwork als Arbeitsvertrag oder Preisausschreiben?» und die Beiträge ergänzt um konkrete Formulierungsvorschläge für Verträge.
So empfiehlt etwa der Rechtsanwalt Dietmar Heise, «durch Klauseln zur Geheimhaltung und Löschung der Arbeitsergebnisse beim Crowdworker [solle] sichergestellt» werden, dass Arbeitsergebnisse «vertraulich behandelt und nicht für eigene Zwecke» verwertet werden.
Konkreter geht die Leiharbeitsbranche den Trend an. Die Crowd-Working-Plattform «Twago» wurde von Randstad, einem der großen Player in der Verleihbranche, gekauft. Das Randstad-Portfolio werde erweitert, «sodass keine interne Konkurrenz geschaffen wurde», erklärte Jan Ole Schneider die Unternehmensstrategie im Personalmagazin (10/2016). Das Ministerium scheint hier zu warten, bis Konzerne Fakten geschaffen haben.
Der Softwareriese IBM nutzt Crowdsourcing* bereits – sein Konzept heißt «GenO – Generation Open»: Große Projekte werden in viele kleine Pakete zerlegt, die 40–80 Stunden umfassen. Freie Programmierer oder IBM-Angestellte aus dem weltweiten IBM-Verbund sollen sich auf Online-Ausschreibungen bewerben.
Vom Arbeitsvertrag zum Werkvertrag
Durch ihre Mitbestimmungsrechte konnten die Betriebsräte bei IBM verhindern, dass Programmierer in der Bundesrepublik über solche Versteigerungsplattformen ihren Arbeitnehmerstatus verlieren. Doch der Druck durch die zunehmende Konkurrenz der weltweiten GenO-Programmierer steigt.
Von den Beschäftigten hört man, dass die Arbeit dadurch nicht effektiver werde – doch es steigt der Stress: Ein Projekt erhält ein kleineres Budget als vorher, gleichzeitig ist unklar, ob die einzelnen GenO-Arbeitspakete dann für das Gesamtprojekt verwendbar sind.
Diese Beispiele zeigen, wie massiv die Veränderungen sind. Die neuen Formen der Arbeitsorganisation können von Unternehmern genutzt werden, um aus einem Arbeitsvertrag einen Werkvertrag zu machen. Die arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Erbringung einer Arbeitsleistung ergibt sich aus §611 BGB. Danach ist der Arbeitnehmer «zur Leistung der versprochenen Dienste» (einer bestimmten Tätigkeit) verpflichtet. Der Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag, der Ort, Zeit und Art der Arbeit enthalten sollte.
Im Gegensatz dazu ist beim Werkvertrag die Arbeit Mittel zum Erfolg. Es zählt nur noch ein bestimmtes Ergebnis oder ein Produkt. Es spielt keine Rolle, in welcher Zeit eine Arbeit abgeschlossen wird. Dieser Ansatz widerspricht den rechtlichen Vorgaben eines Arbeitsvertrags. Aus Unternehmersicht liegen die Vorteile jedoch auf der Hand: Bezahlte Überstunden fallen weg, gesetzliche Höchstarbeitszeiten sowie Ruhepausen sind nicht mehr zu berücksichtigen.
«Um den Missbrauch besser nachzuweisen, ist die Umkehr der Beweislast wichtig. Und wir brauchen eine rechtzeitige und umfassende Informationspflicht an den Betriebsrat, die auch empfindliche Folgen nach sich zieht, wenn sie verletzt wird», fordert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
Wie mit Formen der «Scheinselbständigkeit» umzugehen ist und ob der Betriebsbegriff nicht anders gefasst werden muss, wenn dezentral gearbeitet wird, bleibt im Weißbuch offen. Die Ministerin scheint hier zu warten, bis Unternehmen weitere Fakten schaffen.
Der Autor ist Berater in Mitbestimmungsfragen und Autor von Work around the clock? Industrie 4.0, die Zukunft der Arbeit, und die Gewerkschaften (Köln: Papyrossa, 2016, 138 S., 16,80 Euro).
* Zum Crowdsourcing bei IBM und den Gegenstrategien von Gewerkschaften und Betriebsrat siehe auch: www.igmetall.de/crowdsourcing-bei-ibm-11240.htm.
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