von Lutz Getzschmann
Die Warnstreiks haben sich gelohnt, der diesjährige Tarifabschluss für die 45000 Angestellten im hessischen Landesdienst ist für die beteiligten Gewerkschaften Ver.di, GEW und GdP zumindest kein Reinfall.
Die Angestellten des öffentlichen Dienstes in Hessen bekommen innerhalb von zwei Jahren 4,2 Prozent mehr Gehalt: Rückwirkend zum 1.März steigen die Tarife um 2 Prozent, aber mindestens 75 Euro, zum 1.Februar 2018 noch einmal um 2,2 Prozent. Außerdem vereinbarten die Tarifparteien, dass die Landesbediensteten vom 1.Januar 2018 an den öffentlichen Nahverkehr in ganz Hessen kostenfrei benutzen dürfen. Diese Regelung gilt zunächst für ein Jahr und kann als direktes Wahlgeschenk im Vorfeld der Landtagswahl 2018 angesehen werden.
Dass Beamte jetzt streiken dürfen, ändert alles
Die eigentliche Überraschung war allerdings nicht der Tarifabschluss selber, sondern die kurz darauf verkündete Übernahme des Ergebnisses auch für die hessischen Beamten in zwei Schritten ab 1.7.2017 und 1.2.2018.
Auch die Freifahrtberechtigung ab 1.1.2018 soll für die Beamten gelten. Seit die schwarz-grüne Regierung im Amt ist, hatte sie den Beamten nie die gleichen Zuwächse zukommen lassen wie den Angestellten – im Gegenteil: Im Koalitionsvertrag hatten CDU und Grüne nach der Landtagswahl 2013 ausdrücklich die Nullrunde für die Beamtinnen und Beamten bis Sommer 2016 festgeschrieben und für die darauffolgenden Jahre Erhöhungen von maximal einem Prozent in Aussicht gestellt.
Heftiger Unmut war die Reaktion gewesen, große Demonstrationen von Ver.di, GEW und GdP, sowie im Juni 2015 ein von der hessischen Landesregierung für illegal erklärter Warnstreik der in der GEW organisierten, verbeamteten Lehrerinnen und Lehrer. Gegen si war die Landesregierung dann auch prompt mit mehr als 5000 Disziplinarverfahren vorgegangen, hatte aber letztlich ein Eigentor geschossen, weil mehrere tausend Betroffene daraufhin einem Aufruf der GEW gefolgt waren, ihr Recht auf eine mündliche Anhörung zu der ihnen vorgeworfenen Verfehlung wahrzunehmen.
Die Anhörungen legten die Staatlichen Schulämter monatelang de facto lahm, zusätzliches Personal musste von anderen Landesbehörden hinzugezogen werden, um die teils recht ausführlichen Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen zu protokollieren, die die Gelegenheit nutzten, um Überlastung, entgrenzte Arbeitszeiten, übervolle Klassen, verfallende Schulgebäude, unzureichende personelle Ausstattung für die Umsetzung der Inklusion, obrigkeitsstaatliches Agieren des Dienstherren und manches mehr als Streikmotiv zu Protokoll zu geben.
Und nicht nur das: Angesichts der offenkundigen Kollision des hessischen Beamtenrechts mit der Europäischen Menschenrechtscharta und einschlägigen Urteilen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, in denen das Streikrecht für Beamte, soweit sie keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen, ausdrücklich bejaht wird, war die Landesregierung im Sommer 2016 gezwungen, die bis dahin immer noch nicht abgeschlossenen Disziplinarverfahren bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Beamtenstreik auszusetzen.
Burkaverbot
Nach einem derart verbissen geführten Kampf um die Besoldung ist die jetzige Übertragung des Tarifergebnisses auf die Beamten nicht nur ein Eingeständnis der Niederlage, sondern vor allem auch ein Zeichen dafür, wie stark es inzwischen knirscht im Gebälk. Gerade die zunehmende Überlastung der personell völlig unzureichend ausgestatteten Schulen mit der Inklusion beeinträchtigter Kinder und der Integration von Migranten mit geringen Deutschkenntnissen birgt erheblichen Sprengstoff. Überlastungsanzeigen häufen sich, offene Briefe frustrierter Kollegien machen die Runde, und auch die Bereitschaft zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen trotz Verbot und Repression scheint zuzunehmen – Grund genug für die beunruhigte Landesregierung, um weniger als anderthalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl einige Zugeständnisse zu machen, um die Wogen ein wenig zu glätten.
Was jedoch die Freude der Betroffenen merklich trübt, ist ein auf Druck von Innenminister Beuth (CDU) in den Tarifvertrag aufgenommenes Burkaverbot – angesichts der gegen Null tendierenden Zahl der Burkaträgerinnen im öffentlichen Dienst eine rein symbolische Bestimmung, die offenbar darauf angelegt ist, ein rechtspopulistisches Signal zu setzen. Dass die Tarifkommissionen von Ver.di und der GEW – letztere mit großen öffentlich bekundeten Bauchschmerzen – dieser skandalösen Regelung zugestimmt haben, sorgt jetzt innergewerkschaftlich für Unmut.
Während Ver.di-Verhandlungsführer Wolfgang Pieper abwiegelte, die Regelung sei für die Gewerkschaften tragbar, die Bürger hätten einen darauf Anspruch zu wissen, mit wem sie sprechen, bezweifeln viele Gewerkschaftsmitglieder, dass die Kleiderordnung etwas in einem Tarifvertrag zu suchen hat. Zudem sei die Vereinbarung «völlig ohne jegliche Diskussion gelaufen», ärgert sich etwa Jürgen Johann, der Vorsitzende des Ver.di-Bezirks Südhessen. Johann hatte, wie andere Gewerkschaftsfunktionäre, erst durch einen Bericht der Frankfurter Rundschau kurz vor der Vertragsunterzeichnung mitbekommen, dass Innenminister Peter Beuth (CDU) ein Burkaverbot im Tarifvertrag verankern wollte.
Der südhessische Ver.di-Bezirk geht davon aus, dass die Vereinbarung der Hessen mit dem Ver.di-Bundesvorstand abgestimmt war. Nun kritisiert der Bezirksvorstand «auf das Schärfste», dass sich die Gewerkschaftsspitzen von Innenminister Peter Beuth (CDU) für seine Zwecke hätten instrumentalisieren lassen. «Wir als Gewerkschaft dürfen uns nicht von der Politik für populistische und fragwürdige Vorhaben vor den Karren spannen lassen», heißt es in einer Resolution.
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