Eine Zeitbombe in den Haushalten von Hamburg und Schleswig-Holstein
von David Stein
EU-weit liegt der Bestand notleidender Kredite (NPL) in der EU bei über 1000 Mrd. Euro oder 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU (NZZ vom 11.4.2017). Mit 5,1% des Gesamtkreditvolumens ist er auch international betrachtet nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Die höchsten Bestände weisen Griechenland (45,9%), Zypern (44,8%) Portugal (19,5%) und Italien (15,3%) auf. Im Fokus der Kritik der Berliner Regierungskoalition am Zustand des italienischen Finanzsektors steht die angeschlagene Bank Monte dei Paschi, die derzeit einen Kapitalbedarf von 8,8 Mrd. Euro hat.
Unerwähnt bleibt, dass auch in Deutschland eine marode Bank gerettet werden muss: die HSH-Nordbank. Diese Bank wäre schon 2009 Pleite gegangen, wenn nicht der staatliche Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin der Bank zur Seite gesprungen wäre und die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg nicht Kapital nachgeschossen und Garantien gegeben hätten. Die HSH muss nun aufgrund der Anordnung der EU-Kommission entweder abgewickelt oder bis Anfang 2018 verkauft werden.
Bei der HSH, die 2003 aus der Fusion der staatlichen Landesbanken von Schleswig-Holstein und Hamburg hervorgegangen ist, geht es allerdings wegen des ausgebreiteten Rettungsschirms um weitaus größere Summen als bei der Monte dei Paschi. Jahrelang haben die Länder die zunehmenden Risiken bagatellisiert und als beherrschbar dargestellt. Jetzt kann das Problem nicht länger unter dem Deckel gehalten werden. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig (SPD) hat jüngst eine Größenordnung von bis zu 16 Mrd. Euro drohender Verluste genannt, der Kieler FDP-Fraktionschef Kubicki geht von mehr als 20 Mrd. Euro aus.
256 Schiffe
Die angespannte Lage auf den Schifffahrtsmärkten macht nicht allein der HSH auf Dauer zu schaffen. Die Bank war einmal der weltweit größte Schiffsfinanzierer. 2009/10 hatte sie Schiffskredite für mehr als 30 Mrd. Euro in den Büchern. Ab 2003 verlegte sie sich zudem auf den Eigenhandel mit strukturierten Wertpapieren und verkam dadurch zu einer Zockerbude, für die zwei Bundesländer das Risiko übernommen hatten.
Im Gefolge der Finanzkrise brach auch der Welthandel ein und infolgedessen das Geschäft mit Schiffsfinanzierungen. Schiffskredite entwickelten sich zu einem Verlustbringer. Die Frachtraten reichen in vielen Fällen nicht mehr aus, um die Kredite zu bedienen. Die staatlichen Schiffsfinanzierer wurden in die Verlustzone gerissen. Neben der HSH trifft das auch die inzwischen in der Nord LB aufgegangene Bremer Landesbank (BLB) und die NordLB selbst, Norddeutschlands größte Landesbank.
Zusätzlich zu dem 2009 nachgeschossenen Eigenkapital, der Garantien und der seither geleisteten Abschirmungen für Verluste mussten seit dem Sommer 2016 die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein von der HSH Schiffskredite in einem Volumen von 5 Milliarden Euro übernehmen. Dahinter stehen Sicherheiten für insgesamt 256 Schiffe, eine gewaltige Flotte, größer als die von Frankreich, Deutschland und Großbritannien zusammengenommen.
Eine solch gewaltige Expansion der Schiffsfinanzierung war nur möglich durch die Kumpanei von Politik, Reedereien und Hafenwirtschaft. Die Instrumente waren die Gewährträgerhaftung für staatliche Banken und entsprechende Steuervorteile. In Deutschland erlaubten es günstige Steuerregeln, dass Privatanleger über geschlossene Fonds Schiffe finanzierten. Emissionshäuser sammelten Geld von Anlegern ein und legten damit geschlossene Fonds auf, die ein oder mehrere Schiffe finanzierten. Das Geld der Anleger diente als Eigenkapital – üblicherweise etwa 40 Prozent. Der Rest kam über einen Bankkredit, der über eine Schiffshypothek abgesichert war.
Das Beispiel Kortüm
Es wäre noch zu verschmerzen, wenn allein betuchte Fondsanleger auf der Suche nach hohen und zudem steuersparenden Renditen viel Geld verloren hätten. Rund 600 Schiffsfonds sind in den vergangenen Jahren pleite gegangen. Das Problem ist jedoch, dass in erster Linie die Haushalte der Länder durch diese Casinopolitik belastet wurden. Schiffskredite sind zu Giftmüll in den Bilanzen der finanzierenden Banken geworden, weil viele Schiffe viel weniger wert sind und nicht mehr gebraucht werden. Es sind zu viele Containerschiffe auf den Weltmeeren unterwegs. Der Druck auf die Margen bei den Frachtraten ist hoch.
Hinzu kommt, dass deutsche Banken die Marktbedingungen falsch eingeschätzt haben. Es wurden vorwiegend auf die frühere Größe des Panamakanals zugeschnittene Schiffsklassen («Panamaxe») finanziert, die nach dem inzwischen erfolgten Ausbau des Panamakanals zu klein und veraltet sind.
Obwohl die HSH am Tropf von Schleswig-Holstein und Hamburg hing, haben diese die Zügel nicht in die Hand genommen. Die Länder ließen die marode Bank so weitermachen wie bisher. Ein Beispiel: Der Hamburger Reeder Kortüm saß von 2004 bis 2015 im Beirat der HSH. In dieser Zeit räumte ihm die HSH Kredite in Milliardenhöhe ein. Ende 2016 erhielt seine inzwischen klamme Firma einen Schuldenerlass von 547 Mio. Euro von der HSH, ohne dass dies mit den Ländern abgestimmt worden wäre. In diesem Zeitraum kaufte Kortüm zudem eine 40-Meter-Yacht für 9 Millionen Euro – auf Kosten der Bank und damit des Steuerzahlers.
Ein Argument der Profiteure dieser Politik lautet: Die Exportnation Deutschland braucht eine eigene maritime Wirtschaft. Dies müsse sich der Staat durch Subventionen und das Engagement staatlicher Banken bei der Schiffsfinanzierung etwas kosten lassen. Diese Begründung knüpft an das Konstrukt der handels- und rüstungspolitischen Bedeutung der deutschen Flotte an, wie sie im Wilhelminismus und Faschismus hochgehalten worden ist und wofür der Roman des Schriftstellers Gorch Fock Schiffahrt tut not das ideologische Stichwort geliefert hat.
Es ist in vorgeschobenes Argument: Angesichts der Überkapazitäten an Tonnage auf den Weltmeeren ließe sich diese für eine Exportnation unproblematisch auch außerhalb Deutschlands buchen. Die versenkten Kredite der Staatsbanken gingen im übrigen an Reeder, die außerhalb von Deutschland ihren Sitz haben. So profitieren Reeder nicht nur bei der Finanzierung, sondern auch bei der Lohn- und Einkommensteuer, da ihre Schiffe zur Einsparung von Steuern und von Heuern für die Matrosen unter der Flagge von Bangladesh und den Philippinen fahren. Die Schiffe sind in den Schiffsregistern der Länder Liberia oder der Marshallinseln erfasst. Über diese Offshoreländer lief auch in den meisten Fällen die Finanzierung dieser Schiffe.
Eine andere Geschäftspolitik
Wie kann die unheilige Allianz entflochten werden? Erforderlich und möglich wäre eine von den Ländern vorgegebene andere Geschäftspolitik: Staatliche Landesbanken müssen ihr Kerngeschäft regional ausrichten. Auslandsaktivitäten dürfen nur in Form von Kooperationen mit Banken mit Sitz in einem Drittstaat – etwa über Konsortialkredite – vorgenommen werden. Die Kompetenzen für die BaFin und die EZB als Aufsichtsbehörden müssen dafür ausgeweitet werden.
Zentral ist die Durchsetzung politischer und auch finanzieller Verantwortung (Schadenersatz) der Verursacher für die Malaise der Staatsbanken – und dazu gehören nicht nur Vorstände und Aufsichtsräte, sondern auch die politische Klasse in den Bundesländern.
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