Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2017
Zum Artikel von Andreas Kemper, «Die Netzwerke», im Rahmen des Schwerpunkts zur AfD, SoZ 4/2017
von Angela Klein

In SoZ 4/2017 ist ein Vortrag von Andreas Kemper wiedergegeben, den dieser im Rahmen der Mobilisierungen gegen den AfD-Parteitag in Köln gehalten hatte. Das autorisierte Transkript beschreibt u.a., zu wem der Exponent des rechtsextremen Flügels, Björn Höcke, Beziehungen pflegt – dazu gehören auch Mitglieder der ehemaligen Stahlhelmfraktion der CDU in Hessen, wie etwa Martin Hohmann. Von diesem hieß es im Text, er sei «aus der CDU geflogen, weil er Juden als Tätervolk» bezeichnet habe.

Daraufhin erhielten wir Mitte Mai von der von ihm beauftragten Kanzlei Oestreich die Aufforderung, über 6000 Euro zu bezahlen, weil er das 1. nicht gesagt habe, 2. die SoZ sich schon einmal verpflichtet habe, diese Äußerung zu unterlassen.

Ersteres stimmt rein formal. Mit letzterem hat die Kanzlei leider recht. Vor fünf Jahren, im Jahr 2012, hatten wir schon einmal das Vergnügen. Damals hatte die SoZ einen Artikel der Informationsstelle Militarisierung über die KSK (Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr) wiedergegeben. Darin war ebenfalls von Martin Hohmann die Rede und davon, er habe die Juden als Tätervolk bezeichnet.

Damals hatte sich die SoZ, um einem teuren Rechtsstreit aus dem Weg zu gehen, zu einer Unterlassung der Behauptung verpflichtet. Größere Medien als wir hatten dies gleichfalls getan, darunter der WDR, Spiegel Online, die FR, Bild, T-Online u.a. Der Stern prozessierte und unterlag nach einem Urteil des OLG Frankfurt/M. 2004.

Da wir aber kein Schild in der Redaktion hängen haben, «Immer an Martin Hohmann denken» und unsere Gehirne nicht jünger werden, haben wir die entsprechende Passage in der Rede von Andreas Kemper schlicht übersehen. Kanzleien, die mit dem Aufspüren solcher Sachen ihr Geld verdienen, passiert dies natürlich nicht.

Rhetorische Tricks
Zum inhaltlichen Hintergrund der Sache: Im Oktober 2003 hatte Hohmann in Neuhof bei Fulda eine Rede zum Tag der Deutschen Einheit gehalten, in der er gegen Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter und an die jüdischen Opfer des Holocaust eintrat, laut Wikipedia «wegen der schlechten Wirtschaftslage». In der Sache ging es ihm darum, das Kapitel deutsche Verantwortung für die Naziverbrechen endgültig ad acta zu legen. Um dies zu begründen, unternahm er den halsbrecherischen Versuch, die historische Verantwortung von Deutschen und Juden auf eine Stufe zu stellen. Er bemühte dabei einen krassen antisemitischen Topos, nämlich die Gleichsetzung von Judentum und Bolschewismus. Wenn man die Deutschen als Tätervolk bezeichne, könne man das in Bezug auf die Juden auch tun, schließlich waren «Juden [während der Oktoberrevolution] in großer Zahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv». Die Bezeichnung «Tätervolk» und der damit verbundene Vorwurf der Kollektivschuld sei sowohl «den Juden» als auch «den Deutschen» gegenüber unangebracht, das wahre Tätervolk seien «die Gottlosen» gewesen.

Die Journalistin Andrea Livnat schrieb dazu am 27.Oktober 2003 im Online-Magazin hagalil.com: «Martin Hohmann sagt in seiner Rede nichts Verbotenes, er hetzt nicht mit verfassungsfeindlichen Parolen. Seine Argumentation ist wesentlich raffinierter und perfider. Bestreitet er letztendlich, dass die ‹Juden› als Kollektiv ein Tätervolk seien, so zählt er doch zuvor genau dafür ‹Beweise› auf. Durch die Gegenüberstellung von Nationalsozialismus und Bolschewismus bzw. von Deutschen und Juden als ‹Tätervolk› wird der Holocaust verharmlost, die ‹Schuld› des nationalsozialistischen Deutschland relativiert und schließlich antisemitische Argumentationen der übelsten Sorte aufgewärmt und neu serviert.»

Zu den Beweisen der «übelsten Sorte» gehört das antisemitische Machwerk von Henry Ford, das Buch «Der internationale Jude» aus dem Jahr 1920, in dem er die Juden pauschal als «Weltbolschewisten» bezeichnete und von der «Wesensgleichheit» von Judentum und Kommunismus sprach. Die Nazipropaganda machte daraus den Begriff «jüdischer Bolschewismus», er wurde zum Hauptfeind des «deutschen Volkes» erkoren, der ausgemerzt gehöre.

Die Gerichte
Wegen der öffentlichen Empörung, die auf seine Aussagen folgten, wurde Hohmann aus der CDU ausgeschlossen, eine Zivilklage dagegen verlor er. Seine Aussagen hat er nie zurückgenommen. Er hat zwar erklärt, er bestreite nicht die Einzigartigkeit des Holocaust (darum ging es bei den Vorwürfen auch nicht) und habe die Juden auch nicht als Tätervolk bezeichnen wollen. Nein, das hat er nicht, er hat nur Täter und Opfer auf eine Stufe gestellt, und das als Bundestagsabgeordneter. Es läuft aber auf dasselbe hinaus, ob ich sage: B ist ein Massenmörder, oder ob ich sage: Wenn A (anerkanntermaßen) ein Massenmörder ist, dann ist B auch einer. Für diese Gleichstellung hat er sich nie entschuldigt, zu sehr wird sie seiner Überzeugung entsprechen. Zumal wenn es gar nicht darum geht, B als Massenmörder anzuprangern, sondern A von diesem Vorwurf reinzuwaschen. Martin Hohmann kandidierte in Fulda für die AfD bei den hessischen Kommunalwahlen im März 2016.

Bislang hatten ihm die Gerichte seine formale Argumentation durchgehen lassen. 2016 scheiterte Hohmann allerdings vor dem Landgericht Dresden, da hatte er gegen das Kulturbüro Sachsen, das antifaschistische Arbeit macht und auf seiner Webseite den Vorwurf wiederholte hatte, Hohmann habe die Juden als Tätervolk bezeichnet, auf Erstattung der Kosten einer Abmahnung geklagt. Die Richterin ließ ihn aber abblitzen. Sie sah sich durch die eingereichten landgerichtlichen Beschlüsse nicht beeindruckt, sondern kam zu dem Schluss, dass es eben nicht falsch ist, zu behaupten, Hohmann habe «die Juden» als «Tätervolk» bezeichnet. Anders als die anderen Landgerichte fiel sie auf die rhetorischen Tricks Hohmanns nicht herein: «Der Versuch des Klägers, dies mit dem Satz: ‹Daher sind weder «die Deutschen», noch die «Juden» ein Tätervolk› zu relativieren oder als sprachliches Schutzschild zu nutzen, verfängt nicht. Es geht zu Lasten des Klägers, wenn er sich sprachlicher Verwirrspiele bedient.» Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.

Die Kanzlei bezieht sich in ihrem Schreiben auf ein Urteil des OLG Frankfurt/M., das im Dezember entschieden hatte, die Behauptung verletze Hohmanns Persönlichkeitsrecht, dieser dürfe «selbst bestimmen, wie er sich der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will».

Die Sache ist also nicht geklärt, im Endeffekt fallen auch richterliche Entscheidungen nicht im luftleeren Raum, sondern werden von der gesellschaftlichen Stimmung beeinflusst.

In jedem Fall brauchen wir die kräftige, vor allem finanzielle, Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Eine solche Ausgabe war in unserm Haushalt nicht vorgesehen.

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