Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2017

Deutschland/Finnland 2016, Regie: Kirsi Liimatainen; Ilanga Films, auf DVD
von Rolf Euler

Über junge Linke und Revolutionäre, ihre großen Träume von Gerechtigkeit und Solidarität und was aus ihnen geworden ist – diesen Dokumentarfilm von einer jungen Finnin, die dabei war, empfehle ich gern.

Kirsi Liimatainen verbringt als aufrührerische Arbeiterjugendliche mit vielen anderen zusammen Ende der 80er Jahre ein Studienjahr in der DDR auf der FDJ-Schule am Bogensee nahe Berlin. Mit ihr lernen junge Leute aus mehr als achtzig Ländern – aus Europa, Südamerika, Afrika, dem Nahen Osten, und sie lernen sich kennen, die Umstände in ihren Ländern und die Geheimnisse, die hinter ihren Geschichten stecken. Viele der jungen Menschen, z.B. aus Chile oder Südafrika, leben dort unter falschem Namen und dürfen nicht nach Hause berichten, um den jeweiligen Diktaturen nichts zu verraten. Manche – wie die Regisseurin – lernen den Abstand zwischen Wirklichkeit und Propaganda in der DDR kurz vor ihrem Ende kennen und beginnen, sich Gedanken zu machen.

Und dann, über zwanzig Jahre nach Beendigung des Studienjahres und nach der Wende in Osteuropa, macht sich Kirsi Liimatainen auf die Suche nach ehemaligen Kameradinnen und Freunden, beginnt ihren Dokumentarfilm. Fotos und Filme aus der Studienzeit, von den internationalen Demonstrationen, dann das leere Schulgebäude, in den Archiven alte Unterlagen mit geschwärzten Namen – so fängt sie ihre Suche an. Und dann die erste Umarmung auf dem Flughafen mit einer Frau aus Bolivien: «Wo stehst du heute, was ist aus dir geworden?»

Im Laufe der Zeit reist die Filmemacherin nach Bolivien, nach Chile, in den Libanon und nach Südafrika, findet einige Menschen wieder und erlebt ihre gegenwärtigen Tätigkeiten und Ansichten. Sie spricht mit den Müttern über die Angst der Familien damals, mit alten Genossen, die bis heute die rote Fahne hochhalten oder nach wie vor im Streit mit andersdenkenden Marxisten leben. Und sie spricht mit den Resignierten, deren Umstände ihnen keine Möglichkeiten mehr zu lassen scheinen, den Kampf von damals fortzuführen. Vor allem aber findet sie: Menschen, die an den Ideen von Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit festhalten möchten, wenn auch unter anderen Vorzeichen als zur Zeit des Kalten Krieges. Keine Kommunisten mehr, aber «Linke, gegen den Kapitalismus». Ihre bolivianische Freundin, die sie in Südamerika aufsucht, zeigt ihr, wie wenig die alten kommunistischen Gruppen noch überzeugen können, zeigt ihr die Bewegung der Indígenas. Und die beiden Frauen sprechen mit Evo Morales, dem sozialistischen Präsidenten, der die indigene Bewegung als «vom Imperialismus gesteuert» bezeichnet.

Dann Chile, wo ihr alter Studienfreund nach wie vor nachts Plakate klebt und sich als aufrechten Kommunisten bezeichnet, in einer linken Bewegung mitmacht. Dann im Libanon, wo ehemalige Kämpfer zivilen Berufen nachgehen, Frau und Kinder haben und wenig Hoffnung auf Verbesserung der Lage. Der Blick in die älteren Gesichter, der Weg zu Müttern und Gefährtinnen der früheren jungen Freunde, deren Klarnamen Kirsi Liimatainen damals nicht kannte und deren Heimat sie heute besuchen kann, bieten die nachhaltigsten Eindrücke dieses Films. Beeindruckend die alten Genossen in Südafrika, bei denen sie versucht, einen ehemaligen, schwer verletzten ANC-Kämpfer wiederzufinden.

Die Regisseurin denunziert nicht die alten Ideen, sie hat einen solidarischen Blick auf die früheren und auf die jetzigen Verhältnisse, in denen alle diese ehemaligen Studenten der FDJ-Schule lebten und leben. Die Suche nach den ehemaligen «comrades», von denen einige zu Wort kommen, «where are you today» – das mag man sich selber auch fragen beim Anschauen dieses Films.

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