Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2017

Köln: PapyRossa, 2017. 136 S., 12,90 Euro
von Thies Gleiss

Er ist in aller Munde und jetzt gibt es ein Buch zum Thema: Der Populismus aus linker Sicht. Das Buch hat nicht gehalten, was es versprochen hat. Wenigstens das Rezensionsexemplar zerfiel nach einmaligem Blättern und Lesen in seine Bestandteile. Aber irgendwie passt das zum Thema.

Die beiden aus Kreisen linker Gewerkschaftstheorie und -praxis bekannten Autoren Violetta Bock und Thomas Goes versuchen in einem kleinen Band, den Modebegriff «Populismus» in ein Konzept von linker Widerstandstätigkeit gegen den realen Kapitalismus zu integrieren. Linker Populismus ist das Gegenteil von rechtem Populismus. Das aufzuzeigen, ist ihr erstes Anliegen und diese Aufgabe wird überzeugend erledigt. Der rechte Populismus ist eine Wutreaktion gegen das Establishment, aber er ist eine «Rebellion auf den Knien vor den Herrschenden», eingebettet in Nationalismus und Ausgrenzungsfantasien gegenüber beliebig gefundenen Sündenböcken.

Linker Populismus verwandelt die Wut gegen das Bestehende dagegen in eine «Revolte des aufrechten Ganges, und errichtet ein Netzwerk der Solidarität».

Die Entstehung des Populismus erklären Bock und Goes mit dem heute wieder sehr populären kommunistischen Theoretiker Gramsci als politisches Resultat einer «organischen Krise» der Herrschaft und Hegemonie der Oberklassen. Sie drückt sich in einer heute in fast allen Teilen der Welt zu beobachtenden Legitimations- und Akzeptanzkrise der Herrschaft des Kapitals aus. Unabhängig von ökonomischen Konjunkturen, aber durch die Entwicklung der konkreten Produktionsverhältnisse  regelmäßig verstärkt, entstehen «populistische Lücken». Die Gesellschaft zerfällt gefühlt und tatsächlich in ein Oben und Unten. Dabei fällt es einer rechten Ideologie leichter, dieses Oben gegen das Unten in ein Drinnen gegen ein Draußen zu verklären. Der gesellschaftliche Abstieg von Mittelklassen nach unten, und auch nur der gefühlte oder befürchtete Abstieg, würden durch Eindringlinge und Schmarotzer am ursprünglich funktionierenden System ausgelöst. Der Feind ist der Andere, der Fremde, und die Krücke, ihn zu vertreiben, ist der Nationalismus.

Der Linken fällt es deutlich schwerer, dieses Oben gegen das Unten in eine überzeugende Erzählung einer anderen möglichen Gesellschaft zu integrieren.

Das diskutieren Bock und Goes an der Politik von Hugo Chávez in Venezuela, der Praxis der neuen linken Organisation Podemos im Spanischen Staat und an Äußerungen der Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag, Sahra Wagenknecht. Das fällt schwer, muss aber dennoch gemacht werden.

 

Das Konzept

Deshalb entwickeln Bock und Goes als Fazit ihrer Streitschrift ein Konzept linkspopulistischer Politik, das überzeugt und unbedingt Handlungsrahmen der Linken von heute sein sollte. Es könnte allerdings auch ganz gut ohne den rhetorischen Bezug auf den «Populismus» auskommen. Ihre Überlegungen stehen nicht zufällig in der Tradition, mit der sich auch Gramsci auseinandersetzte: die Ideen einer Rosa Luxemburg von einem Sozialismus von unten, der sich aus der Selbsttätigkeit und Selbstorganisation der unterdrückten Klassen ergibt. Diese reale Bewegung der Unterklassen gilt es im Sinne der frühen Kommunistischen Internationale, Lenins, Trotzkis und anderer in eine Strategie der Gegenmacht umzuwandeln. Dafür sind programmatisch Forderungen und Zielsetzungen nötig, die am realen Bewusstsein der Menschen, ihren Ängsten und Tagessorgen anknüpfen, die aber eine Übergangsdynamik über den bestehenden Kapitalismus hinaus auslösen, je mehr der Kampf um diese Forderungen forciert wird.

Strategisch muss dieser Kampf durch den Aufbau geeigneter Strukturen und Widerstandsorganisationen ausgefochten werden – das Gegenmodell zu einer arbeitertümelnden Propaganda oder einer teleologischen Sichtweise vom Sozialismus als der angeblichen historischen «Mission» der Arbeiterklasse. Taktisch wird sich dieser Widerstand immer wieder in gemeinsamen Fronten, die praktische und theoretische Gegenüberstellung zum Oben, oder Einheitsfronten, wie es früher hieß, formieren müssen.

Das alles überzeugt und ist modern und aktuell aufgeschrieben. Leider ist es nur in kleinen linken Kreisen Allgemeingut.

 

Was fehlt

Was an der Populismuserklärung von Bock und Goes fehlt, sind zwei heute durchgängige Erkenntnisse:

Erstens ist «Populismus» gar nicht so sehr ein neues Ideenkapitel der Linken, sondern fast ausschließlich Herrschaftsdiskurs. Die Linke soll mit dem Totschläger «Ihr seid Populisten» eingeschüchtert werden. Dem entgegenzutreten in dem Sinne, dass die beste Taktik gegen Vorurteile immer noch deren Bestätigung ist, ist letztlich auch der Vorschlag von Bock und Goes. Und das gefällt.

Zweitens allerdings ist der «Populismus» heute in der Regel meist ein Synonym für unzureichend entwickeltes Klassenbewusstsein. Auf dem Weg zur Klasse für sich machen die Unter- oder Volksklassen, wie Bock und Goes sie nennen, an bestimmten Punkten halt und orientieren sich in der Regel an Personen, Führern, Caudillos, Prominenten oder wie immer sie bezeichnet werden, in der Hoffnung, die würden ihre Geschicke schon richtig in die Hand nehmen. Das wird von dieser neuen linken «Elite» dann in der Regel mit der Entwicklung entsprechender Strukturen und Stellvertreterpolitik beantwortet.

Diese Begleiterscheinung des linken Populismus ist leider immer auch der Ausgangspunkt für das Scheitern linkspopulistischer Versuche, die nicht einen organisierten Sozialismus von unten in Angriff nehmen. Von Venezuela bis Podemos ist diese bittere Note leider auch heute aktuell. Dem müsste sich möglicherweise ein zweites oder drittes Bändchen der Populismusdebatte widmen.

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