Brief eines Arbeiters von Blohm+Voss anlässlich von Massenentlassungen
dokumentiert
Nach dem angekündigten Arbeitsplatzabbau auf der Schiffswerft Blohm+Voss in Hamburg haben sich IG Metall und Unternehmensspitze auf einen Sanierungstarifvertrag geeinigt. Er sieht Einsparungen beim Urlaub- und Weihnachtsgeld, unbezahlte Überstunden und den Wegfall von 300 Stellen bis zum kommenden Sommer vor. Nicht alle sind damit zufrieden. Wir dokumentieren den offenen Brief eines Kollegen, der am 21.Juni 2017 bei Blohm+Voss verteilt wurde.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich schreibe euch heute, weil meine Wut und Empörung groß ist! Über 20 Jahre arbeite ich nun schon im Neubau. Ich habe miterlebt, wie wir auf der Werft immer weniger wurden und dabei immer größere Leistungen bringen mussten. Ich weiß, dass die Belegschaft z.B. vor ca. 35 Jahren aus 6500 (!) Beschäftigten bestand. Heute sind wir nur noch 980.
Und von diesen knappen 1000 sollen jetzt durch den neuen Werftboss Lürssen noch mal 300 entlassen werden. Es sieht so aus, als wenn die «teure» Stammbelegschaft durch «billigere» Kollegen von der Leiharbeit ersetzt werden soll.
Wir haben viele Krisen dieser berühmten Werft erlebt. Immer waren es die Arbeiter, die das ausbaden mussten. In jeder Krise tauchten neue Besitzer auf (ein Kommen und Gehen wie im Profifußball bei den Trainern!). Sie versprachen die Rettung und hatten dabei immer dasselbe im Sinn: Einsparen der Personalkosten durch Entlassungen, Lohnkürzungen und unbezahlte Mehrarbeit.
Ihr kennt das. Diese alte Leier wurde immer mit denselben Sprüchen begleitet. Angstmacherei pur. Drohung mit Schließung und Insolvenz, wenn wir dem nicht zustimmen würden. Sieht wie ein Spielchen aus. Doch die Angstmacherei hat bisher funktioniert.
Was mich wütend macht? In diesem Geschäft mit der Angst spielen unsere IG Metall und die BR-Vorsitzenden mit. Sie zeigen immer wieder volles Verständnis für die angebliche Notlage der Werft, aber wenig Einsatz für die Not der Belegschaft. Die Sprüche auf jeder Versammlung, ob auf Betriebs- oder Mitgliederversammlungen, ähneln leider sehr den Sprüchen der Werftleitung:
– der Werft gehe es dreckig,
– 300 müssen gehen,
– mit Abfindungen freiwillig kündigen,
– Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld,
– unbezahlte Mehrarbeit.
Klar, meine Wut richtet sich gegen die Herren von Lürssen. Aber sie richtet sich auch gegen die Haltung meiner IG Metall. Wozu bin ich in der Gewerkschaft? Doch nur, um mich gegen die Verschlechterung meiner Lage bei der Arbeit wehren zu können. Zusammen mit allen anderen Kollegen. Weil ich weiß, dass man allein untergeht. Es geht nicht an, dass der Betriebsrat und die IG Metall zu allem Ja sagen. Ich erwarte endlich das Nein.
Das wäre eine große Sache: Uns Mut machen. Nicht alles glauben. Krise? Insolvenz? Entlassungen? 300? Zu hohe Personalkosten? Alles sollte hinterfragt werden, Unterlagen in allen Ausschüssen anfordern und sie durch Experten und Berater überprüfen lassen. Aber vor allem uns Mitglieder und die Gesamtbelegschaft auf Extraversammlungen ständig informieren. Immer nur Zugeständnisse machen – das haben wir lange genug mitgemacht. Was war das Ergebnis? Die Lage beruhigte sich nur für kurze Zeit, bis zur nächsten Krise. Sollen wir das glauben, dass den Werftbossen die Zahl 300 reicht?
Es gibt aber auch Alternativen! Wir Kollegen sind nicht dumm. Wir haben auch Ideen, wie man mit der Werft weitermachen kann. Manchmal helfen auch radikale Gedanken und Vorschläge. Wie wäre es z.B. mit der Forderung nach Übernahme der Werft durch das Land Hamburg? Gehören solche wichtigen Industriezweige eigentlich in Privathand? In anderen Bereichen wie Strom, Gas, Wasser, Krankenhäuser hört man immer stärker die Forderung nach Verstaatlichung. Auch dort führte die Privatisierung zu Entlassungen und unerträglichem Arbeitsdruck.
Ich würde lieber auf einem Arbeitsplatz sein, wo keine Kriegsschiffe und Waffen gebaut werden, sondern für die Gesellschaft nützliche Produkte. Ist das ein utopischer Gedanke? Gerade Kollegen von Blohm+Voss sind seit 1981 in dem Arbeitskreis «Rüstungskonversion» der IGM Hamburg aktiv gewesen. Der bestand bis in die 90er Jahre. Ich weiß, das dauert, bis sich solche Ideen durchsetzen lassen. Aber irgendwann müssen wir Nein sagen und mit dem Neuen anfangen! Mir machte das Mut, als 48 Gewerkschaftskollegen auf der letzten Mitgliederversammlung die Sanierungspläne abgelehnt haben. Nur 48! Und doch schon ein Anfang in dieser Friedhofsruhe.
Euch allen solidarische Grüße!
Mehr Informationen zum Hintergrund auf der Webseite von LabourNet Germany: www.labournet.de.
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