von Gilbert Achcar
Ein schwelender Konflikt unter den Herrschenden am Persischen Golf hat sich Anfang Juni zu einer offenen Krise entwickelt, als Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrain den gesamten Land-, Luft- und Schiffsverkehr mit Qatar einstellten und die diplomatischen Beziehungen abbrachen. Um die Kampagne dieser Regierungen zu verstehen, müssen wir hinter Vorwürfe wie den der Terrorismusunterstützung schauen. Solche Vorwürfe verlieren jede Glaubwürdigkeit, wenn sie von Akteuren erhoben werden, die seit Jahrzehnten genau dies tun. Wir müssen vielmehr die Veränderungen betrachten, die der Arabische Frühling hervorgebracht hat.
Unter der Herrschaft von Emir Hamad Bin Khalifa Al Thani hat das Emirat Qatar zu den Angelegenheiten der Region eine ähnliche Haltung eingenommen wie die Regierung von Kuwait, nachdem dieses 1961 seine Unabhängigkeit von Großbritannien erklärt hatte. Diese Unabhängigkeitserklärung empörte damals die Republik Irak, die das Emirat als Teil ihres Territorium betrachtete. Aber Kuwait konnte von den damaligen Spannungen zwischen dem Irak und Ägypten sowie von dem Schutz Großbritanniens profitieren, weshalb seine Unabhängigkeit hingenommen wurde. Um den irakischen Nachbarn von allen Annexionsgelüsten abzuhalten, hat Kuwait seitdem eine Politik der arabischen Neutralität verfolgt, indem es gute Beziehungen zu beiden Polen des damals so bezeichneten «arabischen Kalten Krieges»–Ägypten und das saudische Königreich – unterhielt.
In ähnlicher Weise hat Qatar traditionell ein gespanntes Verhältnis zu seinem saudischen Nachbarn, besonders seit der Erklärung seiner Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1971. Nach seinem Machtantritt 1995 verfolgte Emir Hamad eine Politik, die bestrebt war, die Kleinheit des Landes durch eine Stärkung der Beziehungen zu den beiden Hauptkräften auszugleichen, die nach der massiven Stationierung von US-Truppen die Region dominierten: den USA und der Republik Iran. Qatar gelang es, gleichzeitig die wichtigste regionale Luftwaffenbasis der USA zu beherbergen und enge Beziehungen zum Iran und zur libanesischen Hezbollah zu pflegen. Die Politik der guten Beziehungen zu widerstreitenden Kräften zeigt sich auch darin, dass Qatar diplomatische Beziehungen zu Israel unterhält, während es zugleich die Hamas unterstützt.
Unter der Herrschaft von Emir Hamad beschränkte sich Qatars Rolle jedoch nicht darauf, auf ähnliche Art wie Kuwait neutral und passiv zu verschiedenen Parteien gute Beziehungen zu unterhalten. Vielmehr nutzte das Land seinen beträchtlichen Reichtum für eine aktive Rolle in der Politik der Region, indem es die Muslimbruderschaft sponserte. Saudi-Arabien hat die Bruderschaft seit ihrer Gründung 1928 gesponsert, seine Unterstützung aber zurückgezogen, als diese die US-Intervention während der Irak-Kuwait-Krise der 1990er Jahre ablehnte. Das politische Gewicht Qatars stieg deutlich mit der Gründung des Fernsehsenders Al Jazeera, der beim arabischen Publikum auf große Resonanz stieß, da er arabischen oppositionellen Stimmen, insbesondere der Muslimbruderschaft, ein Forum bot.
Zwei Antworten auf die arabische Revolution
Als 2011 der arabische Aufstand ausbrach, war Qatar somit durch die Förderung der Muslimbruderschaft und durch den Sender Al Jazeera in der Lage, eine größere politische Rolle zu spielen. Somit fanden beide Pole des Konflikts, der die arabische Welt seitdem dominiert – die alten Regime und die von der Muslimbruderschaft dominierte islamisch-fundamentalistische Opposition – Unterstützung im Golfkooperationsrat (GCC). Während Saudi-Arabien in der gesamten Region die alten Regime unterstützte – mit Ausnahme von Libyen, wo es neutral blieb, und von Syrien, wo der konfessionelle Faktor eine Allianz zwischen dem Iran und dem Assad-Regime hervorbrachte –, unterstützte Qatar die Erhebungen – besonders dort, wo die Bruderschaft beteiligt war, außer im Fall des GCC-Mitglieds Bahrain. Der Konflikt zwischen dem Emirat und der saudischen Monarchie wurde offensichtlich, als zu Beginn des Arabischen Frühlings Qatar den tunesischen Aufstand unterstützte, während Saudi-Arabien dem gestürzten tunesischen Präsidenten Ben Ali politisches Asyl gewährte.
Die Obama-Administration sah in Qatar ein Mittel, die Gefahr einer die US-Interessen bedrohenden Radikalisierung des arabischen Aufstands abzuwehren. Deshalb paktierte sie mit beiden Seiten: Einerseits unterstützte sie zusammen mit den Saudis die alten Regime (wie in Bahrain), andererseits versuchte sie, zusammen mit Qatar und mit Hilfe der Muslimbruderschaft und ihrer Verbündeten die Aufstände einzudämmen (so in Tunesien und Ägypten).
Doch diese Rolle Qatars, das Washington dazu drängte, mit den Aufständen zu flirten, erregte den Zorn der Saudis und der Vereinigten Arabischen Emirate, die die Muslimbruderschaft zu ihrem Hauptfeind erklärt hatten. Der Druck, den beide Golfstaaten auf Qatar ausübten, verstärkte sich, als die qatarische Wette auf die Muslimbruderschaft platzte, die ägyptische Armee Präsident Morsi stürzte und die Bruderschaft gewaltsam unterdrückte. Gleichzeitig beschloss Emir Hamad zugunsten seines Sohnes, dem aktuellen Emir Tamim, zurückzutreten. 2014 erreichte der Druck der Golfstaaten seinen ersten Höhepunkt, er zwang den neuen Emir zu einem Kurswechsel.
Danach schien der Golfkonflikt beendet. Die drei Golfstaaten schlossen ein Abkommen zur Unterstützung der syrischen Opposition gegen das Assad-Regime, das die Beziehungen Qatars (und der Muslimbruderschaft) zum Iran belastete, und später beteiligte sich Qatar an der militärischen Kampagne gegen die Allianz von Ali Abdullah Saleh mit den Huthis im Jemen – all dies vor dem Hintergrund eines neuen Königs auf dem saudischen Thron. So schien es, als sei nun eine Übereinstimmung der GCC-Mitglieder möglich. Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass die Saudis eine zeitlang nach einem sunnitischen Konsens gegen den Iran unter Einschluss der Muslimbruderschaft suchten, der mit Spannungen zwischen Riyadh und Kairo zusammenfiel. Dieser Trend passte auch perfekt zur Politik der Obama-Administration.
Doch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten änderte die Konstellation. Der neue Präsident unterstützt eine Politik der Konfrontation gegen den Wandel in der arabischen Region. Er steht auch dem Iran extrem feindlich gegenüber und ist ein enger Freund Israels. Einige seiner wichtigsten Berater wollen die Muslimbruderschaft als terroristische Gruppe einstufen, in Übereinstimmung mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, eine entsprechende Korrespondenz ihres Botschafters sickerte kürzlich in Washington durch.
Diese grundlegende Veränderung der Bedingungen haben das saudische Königreich dazu bewogen, sich mit al-Sisis Ägypten zu versöhnen. Zusammen mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten haben sie deshalb die frenetischen Attacken auf Qatar lanciert, die einen radikalen Wandel von dessen Politik erzwingen sollen. Eine neue Welle von Protesten wird jedoch unvermeidlich früher oder später wieder ausbrechen (Vorboten davon sind in Marokko und Tunesien bereits sichtbar). Dann könnten Riyadh und Abu Dhabi es bedauern, Qatar aus seiner Rolle gedrängt zu haben.
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