von Gerhard Klas
Eher geht die Welt unter…
Gaia ist eine Figur aus der griechischen Mythologie, die Göttin, die die Erde verkörpert. Ihr Problem: Sie ist von einer Krankheit befallen, die Menschheit heißt. So könnte man eine Grundthese von Bruno Latours Buch Kampf um Gaia skizzieren.
Der französische Philosoph und Wissenschaftssoziologe ist dennoch kein Misanthrop. Der mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler, u.a. mit dem Kulturpreis der Münchner Universitätsgesellschaft, gehört «zu den einflussreichsten, intelligentesten und gleichzeitig populärsten Vertretern der Wissenschaftsforschung».
Die Trennung zwischen Mensch und Natur aufzuheben, ist ein Anliegen, das Bruno Latour seit vielen Jahren verfolgt. In seinem neuen Buch beschreibt er die Erde als Organismus, der von einem zerstörerischen Gen befallen ist: dem modernen Menschen in seiner Ausprägung als «Homo economicus». Noch nie sei eine «provinziellere Definition von Menschheit zum universellen Verhaltensstandard erhoben worden», eine Menschheit, «die sich auf eine winzige Anzahl intellektueller Kompetenzen reduziert, versehen mit einem Hirn, das ihn nur zu den einfachsten Rendite- und Konsumkalkülen befähigt».
Die oft komplexen und assoziativen Gedankengänge Latours entbehren nicht der Ironie, ja bisweilen bitterer Polemik. Aber das ist nachvollziehbar, je weiter man in der Lektüre vordringt, die auf acht überarbeiteten Vorträgen gründet, die er 2013 als Gastdozent der University of Edinburgh hielt. Es geht um das Verhältnis von Wissenschaft und Politik, das Naturverständnis moderner und vormoderner Gesellschaften, für das er auf Beispiele aus Theater, Literatur, Film, Geschichte und Politik zurückgreift.
Zentraler Beleg für die «tiefe Mutation unserer Beziehung zur Welt» ist für Latour die Klimaerwärmung, die mit der industriellen Lebensweise einhergeht. Sie wird, da ist er sich sicher, schlimmere Folgen zeitigen als der Zweite Weltkrieg. Ebenso wie im Deutschen Reich die brutale Diktatur bis zum totalen Zusammenbruch fast ungestört weiter funktionierte, gelte gleiches auch für die Fortdauer des Klimaregimes, das auf der Ausbeutung fossiler Energieträger und einem hemmungslosen Extraktivismus gründet. Eine Mischung aus Verblendung, Macht- und Profitgier wohnt vor allem der besonders renitenten Haltung vieler Klimaskeptiker inne, die in wichtigen westlichen Staaten die Regierungsgeschäfte lenken. Eine Haltung, die der Autor an anderer Stelle mit der abwehrenden Reaktion der Inquisition vergleicht, als Wissenschaftler wie Kopernikus und Galilei entdeckten, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt.
Als Beleg für die Irrationalität zitiert Bruno Latour nicht nur historische Vergleiche, sondern aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse: Zu 98 Prozent bestehe wissenschaftliche Klarheit darüber, dass die Erderwärmung menschengemacht sei. Die von vielen Wissenschaftlern geführte Debatte um das Erdzeitalter des «Anthropozäns» unterstreiche, dass die Menschheit zum geologischen Faktor geworden ist – und die Naturwissenschaften zu einem wichtigen politischen Faktor.
Umso mehr regt es Latour auf, dass sich viele Naturwissenschaftler von postfaktischen Politikern und solchen, die globale Krisen gerne aussitzen, immer wieder mit dem Argument in die Grenzen weisen lassen, sie hätten sich politisch neutral zu verhalten. Aber eine distanzierte und unbeteiligte Haltung der Wissenschaft sei angesichts der Dringlichkeit der Lage obsolet. Die Gegenseite hat ihr längst den Krieg erklärt.
Diese Kriegslogik liegt für Bruno Latour auf der Hand: Da die schiere Beschreibung der Fakten Vorschriften für eine Politik so gefährlich nahe komme, müssten die Fakten selbst in Zweifel gezogen werden, um die Infragestellung der industriellen Lebensweise zu stoppen.
«Sagt euren Herren, dass die Wissenschaftler auf dem Kriegspfad sind», zitiert Latour wohlwollend aus einem Theaterstück. Kampf um Gaia liefert wichtige Denkanstöße eines empörten Wissenschaftlers, der sich nicht in die Ecke zynischer Kommentatoren abschieben lassen will, sondern seine Kolleginnen und Kollegen und alle, die seine Sicht teilen, dazu aufruft, in die Offensive zu gehen. Bruno Latour will mit seinem Buch das Unvorstellbare vorstellbar machen: Den Bruch mit dem Wachstums- und Technikglauben der Moderne. Es könne doch nicht sein, schreibt er, dass es heutzutage leichter zu sein scheint, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus.
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