Der gefährliche Paradigmenwechsel der deutschen Entwicklungspolitik
von Niema Movassat*
Lassen wir uns durch die Rekordwerte des Entwicklungshaushalts und Deutschlands steigenden Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit nicht in die Irre führen: Die deutsche Entwicklungspolitik erlebt derzeit einen Rückschlag nach dem anderen. Nicht nur wird die Entwicklungszusammenarbeit vor den Karren der menschenverachtenden Flucht- und Migrationsabwehr gespannt. Ebenso besorgniserregend ist, dass es zunehmend zu einer Neudefinition der Entwicklungspolitik kommt. So hat Entwicklungspolitik in den jüngsten Afrika-Initiativen der Bundesregierung primär die Aufgabe, günstige Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen zu schaffen. Derweil bleiben Menschenrechte und Demokratie auf der Strecke.
Es spricht Bände, dass der ausgefeilteste entwicklungspolitische Plan der Bundesregierung aus dem Finanzministerium und nicht dem Entwicklungsministerium kommt. Während der «Marshallplan mit Afrika» des Entwicklungsministers Gerd Müller (CSU) vor allem aus einer Aneinanderreihung von leeren Versprechungen und irreführenden Behauptungen besteht, haben Wolfgang Schäuble und sein Chefökonom Ludgar Schuknecht eine klare Vision, die noch dazu mit den wichtigen internationalen Finanzinstitutionen abgesprochen ist: Afrikanische Staaten sollen zu investorfreundlichen Regimen umgebaut werden. Ihr «Compact with Africa» schielt dabei vor allem auf eine spezielle Art von Investoren: Institutionelle Anleger, Versicherungen, Pensionskassen etc. sollen dabei helfen, einen Engpass der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas zu beheben: die fehlende Infrastruktur im Energiebereich, im Verkehrssektor oder in der Wasserwirtschaft.
Seit einigen Jahren geht der ehemalige Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank, Paul Collier, mit der Idee hausieren, dass institutionelle Anleger die geeigneten Geldgeber für diese Infrastrukturprojekte wären. Denn Versicherungen oder Pensionskassen hätten in den USA und Europa ohnehin große Schwierigkeiten, ihre hohen Renditeerwartungen zu erfüllen. Deswegen bestehe die Aufgabe der Entwicklungspolitik nun darin, diese Anleger bzw. deren Geld nach Afrika zu lotsen. Wie? Indem sie die Renditeerwartungen der Investoren absichern durch die Schaffung «guter» politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern ebenso wie durch Risikoabsicherungen z.B. in Form von Bürgschaften.
Krudeste neoliberale Ideen
Wer sich den «Compact with Africa» durchliest, der findet dort eine Mischung der krudesten neoliberalen Ideen und Instrumente der letzten Jahrzehnte:
Strukturanpassungsprogramme sollen die Ausgaben der afrikanischen Staaten reduzieren. Die Einsparungen sollen insbesondere im Sozialbereich stattfinden. Angeblich soll dies die ökonomische Stabilität der Länder verbessern. Öffentliche Dienstleistungen auch im Bereich der Daseinsvorsorge sollen privatisiert werden – auch dies soll der Reduzierung der Staatsausgaben dienen und gleichzeitig neue Investitionsmöglichkeiten für das Kapital schaffen. Private Schiedsgerichte sollen sicherstellen, dass Investoren ihre Interessen auch gegen politischen Widerstand – etwa nach Regierungswechseln – durchsetzen können.
Diese Vorschläge passen sehr gut zu den wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen der Bundesregierung, insbesondere von Finanzminister Schäuble, der ja auch in Deutschland den Erhalt und Ausbau der Infrastruktur zunehmend an Private abgibt (Stichwort Autobahnprivatisierung). Und sie passen auch gut zum Agenda-2030-Diskurs der Bundesregierung, in dem der Privatwirtschaft eine herausragende Rolle bei der Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele zugeschrieben wird. Die Aufgabe von Entwicklungspolitik besteht in diesem Diskurs vor allem darin, privates Kapital zu mobilisieren.
Mit Karl Marx und Rosa Luxemburg kann man argumentieren, dass die Überlegungen von Collier, Schäuble und Co. zur Entwicklungsfinanzierung geeignet sind, eine neue Welle der sog. ursprünglichen Akkumulation einzuleiten. Demzufolge muss sich das Kapital immer neue Bereiche erschließen, um seine Verwertung abzusichern.
Brautschau für Investoren
Im Rahmen des «Compact with Africa» wollen Deutschland und andere G20-Staaten afrikanische Länder deshalb zum einen dabei unterstützen, politische und ökonomische Reformen auf den Weg zu bringen – «Reformpartnerschaften» nennt das Entwicklungsminister Müller. Wie gering hierbei der Stellenwert demokratischer Reformen ist, zeigt sich daran, dass Ägypten im «Marshallplan» als Reformland angeführt und Äthiopien in die Reihe der Compact-Länder aufgenommen wurde.
Zum anderen sollen öffentliche Gelder private Investitionen in die afrikanischen Länder attraktiver machen – indem sie lukrative Fondsstrukturen schaffen, Garantien leisten oder andere Instrumente zur Risikoabsicherung schaffen. Entwicklungsgelder als Hebel und Absicherer von Privatinvestitionen – willkommen in der Entwicklungszusammenarbeit des 21.Jahrhunderts.
Genau diese Ideen standen auch im Zentrum der G20-Afrikakonferenz, die am 12. und 13.Juni in Berlin stattfand. Ausgewählte afrikanische Staaten bekamen dort die Möglichkeit, sich wie bei einer Brautbeschau potentiellen Investoren zu präsentieren und mit politischen und wirtschaftlichen Reform sowie konkreten Investmentplänen zu umgarnen. Staatlich geförderte Prostitution – auch dies scheint im 21.Jahrhundert zur Normalität zu werden.
* Der Autor ist MdB und Obmann der Fraktion DIE LINKE im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.