von David Stein
Selbst diese feste Bank privater Altersvorsorge kann eine sichere Rente nicht mehr garantieren.
Das Geschäftsmodell der Lebensversicherung ist gescheitert – die Legende von der sicheren privaten Altersvorsorge lebt weiter.
Die Kapitallebensversicherung, das neben der gesetzlichen Rente gängigste Finanzprodukt bei der Alterssicherung in Deutschland, ist ein Auslaufmodell. Im Gefolge der Finanzkrise 2007 senkten die großen Zentralbanken, auch die EZB, die Leitzinsen. Der staatlich festgelegte Garantiezins, d.h. die Mindestverzinsung, die beim Abschluss des Versicherungsvertrags für dessen gesamte Laufzeit zugesagt wird, wird laufend der Zinsentwicklung angepasst. Hatte dieser in seinen Hochzeiten zwischen 1994 und 2000 noch 4 Prozent betragen, liegt er 2017 nur noch bei 0,9 Prozent. Auch die variable Überschussbeteiligung fällt geringer aus, weil sie vom Neugeschäft abhängig ist. Attraktiv ist die Lebensversicherung nur noch für diejenigen Versicherten, die ihren Vertrag zu Zeiten abgeschlossen haben, als der Garantiezins hoch war.
Die Versicherungen setzten alle Hebel in Bewegung, Kunden mit Verträgen, die vor 2005 abgeschlossen wurden, loszuwerden und sie für eine vorzeitige Kündigung der Altverträge zu gewinnen. Diese haben – neben der Steuerfreiheit – Renditen, die sich mit vergleichsweise sicheren Finanzprodukten nicht mehr erzielen lassen.
Die Versicherungen haben nun Probleme bei der Bedienung dieser garantierten Zinszahlungen. Sie sind aufsichtsrechtlich verpflichtet, die entgegengenommenen Kundengelder möglichst sicher, etwa in Staatsanleihen und begrenzt in Aktien zu investieren. Es ist bei den derzeitigen Konditionen risikoarmer Investments aber kaum möglich, Renditen, die über dem zugesagten Garantiezins liegen, zu erzielen.
Die meisten Versicherungen haben nun die Flucht nach vorne angetreten und bieten das Produkt nicht mehr an. Die Lebensversicherung wird nur noch als Versicherung ohne Garantiezins oder als fondsgebundene Lebensversicherung in einem deutlich reduzierten und für den Kunden erheblich risikoreicheren Nischenmarkt überleben.
Es bleibt aber das Problem der Abwicklung des Altgeschäfts, im Sprachjargon der Versicherungswirtschaft wird dies als «run-off», oder «Stilllegung» bezeichnet. Diese kann von der Versicherung selbst vorgenommen oder aber in die Hände Dritter durch Verkauf des Vertragsbestands gelegt werden.
Droht der Versicherungswirtschaft durch «run-off» ein «Erdbeben»? Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll die Ergo-Versicherungsgruppe einen Käufer für ihre beiden Tochtergesellschaften Hamburg-Mannheimer – heute Ergo Leben – und die Victoria-Lebensversicherung suchen. Es geht um rund 6 Millionen Lebensversicherungsverträge, fast ebenso viele Kunden und 56 Milliarden Euro an Kapitalanlagen. Zu den Interessenten gehören chinesische Investoren, US-Hedgefonds und britische Anleger.
Die Münchner Generali Deutschland soll ebenfalls prüfen, ob sie ihre Tochtergesellschaft Generali Leben mit 4 Millionen Verträgen einem Dritten, etwa einer Abwicklungsplattform, zur Abwicklung überlässt.
Nach dem Maßstab der Kapitallogik würde ein solcher Verkauf Sinn machen. Angesichts der Niedrigzinsen und der kommenden, strengeren Kapitalvorschriften der EU-Richtlinie Solvency II binden die Altverträge mit hohen Zinsgarantien sehr viel Kapital. Die BaFin fordert zudem höhere Zinszusatzreserven in zweistelliger Milliardenhöhe, um die Garantieversprechen abzufedern.
Dazu kommt die teure Verwaltung. Deshalb der Plan, das Geschäftsfeld an einen Dritten abzugeben, der sich auf die Abwicklung konzentriert, die Abwicklung mehrerer Versicherungen bündelt und das – so die Hoffnung – aufgrund der puren Masse effizienter und billiger machen kann.
Der Bund der Versicherten (BdV) spricht in diesem Zusammenhang von einem «Erdbeben», das der Versicherungswirtschaft – und den Versicherten – durch den Verkauf drohen soll. Dieses Horrorszenario haben die Medien 1:1 übernommen. Zweifel sind angebracht. Die BaFin, die den Verkauf genehmigen muss (ein Antrag liegt noch gar nicht vor), ist bei den Überlegungen zu einem externen Run-off sehr zurückhaltend und verweist auf die hohen operationellen Anforderungen an einen solchen Deal in dieser Größenordnung (Börsenzeitung vom 12.10.2007).
Neben der Solvenz des Käufers wird auch die Eignung des Managements überprüft. Bisher sind drei eher kleine Lebensversicherungsbestände von Versicherungen an spezialisierte Abwicklungsplattformen übertragen worden. Das Genehmigungsverfahren der BaFin hat allein dafür über ein Jahr gedauert. Für die Versicherten hat sich dadurch nichts geändert. Verluste sind ihnen nicht entstanden. Zu kritisieren ist aber, dass ein solcher Verkauf rechtlich ohne Zustimmung des Versicherten über die Bühne gehen kann.
Böser Bube EZB
Eins ist jedoch sicher: Sollte es überhaupt zum Verkauf kommen, werden – wovon beim Versichertenlobbyisten BdV nicht die Rede ist – rund tausend Beschäftigte der Versicherungen ihre Arbeitsplätze verlieren. Fest steht auch, dass eine langfristige Altersvorsorge über eine private Versicherung immer ein Lotteriespiel ist. Das werbemäßige Versprechen der Versicherungen, ein Garant für die Altersvorsorge ihrer Kunden zu sein, entpuppt sich als Luftnummer.
Die Schlussfolgerungen der bürgerlichen Presse hinsichtlich der Verantwortlichkeit sind jedoch andere: Sie sehen die Versicherungen – ebenso wie die Versicherten – primär als Opfer der Niedrigzinspolitik der EZB. Auch die Versicherungsbranche macht diese und die «übertriebene Regulierung» verantwortlich.
Unerwähnt bleibt, wie bei der Lebensversicherung die Beiträge der Kunden in den ersten Jahren der Laufzeit des Vertrags größtenteils als Provision an die Vermittler und in die Verwaltung fließen, das Produkt auf der Kostenseite und bei der Überschussbeteiligung völlig intransparent ist und sich Versicherungen bei der Anlage der Kundengelder oft genug verzockt haben.
Die These von der Verantwortung der EZB hat in Deutschland viele Unterstützer – bei konservativen Ökonomen, bei Banken und Versicherungen sowieso, bei der CDU/CSU und der AfD. Auch DIE LINKE fabuliert von der Enteignung der Kleinsparer durch die EZB. Von ihr wurde am 3.7.2016 im Bundestag ein Antrag unter der Überschrift «Kalte Enteignung der Sparer stoppen» (Drucksache 18/9126) eingebracht. In diesem Antrag ist die EZB der böse Bube, der den Kleinsparern die eigentlich verdienten Zinsen wegnimmt.
Die niedrigen Sparzinsen werden jedoch nur sekundär durch die EZB-Leitzinsen verursacht. Der Hauptgrund für das niedrige Zinsniveau – gerade auch für langlaufende Anlagen – ist die zunehmende Ungleichverteilung des Wohlstands und die Austeritätspolitik der Finanzminister in den EU-Mitgliedstaaten, die mit einer Wirtschaftsflaute in weiten Teilen Europas und der Welt einhergeht.
Die Deutschlandrente ist ein mieser Trick
Die Finanzpresse fordert nach dem Debakel der Riesterrente und der Kapitallebensversicherung, dass für die private Altersvorsorge der Zukunft Regierung und Versicherer «ernst zu nehmende Alternativen» prüfen müssten. Den Koalitionären aus CDU/CSU, Grüne und FDP wird die «Deutschlandrente» ans Herz gelegt. Schließlich sei diese von drei Ministern in der hessischen schwarz-grünen Koalition entwickelt worden. Die Beiträge für die Deutschlandrente werden vom Staat eingezogen, der sie von privaten Fondsmanagern verwalten lässt und selbst kein Gewinninteresse verfolgt. Ausgeblendet wird dabei, dass die angelegten Gelder nach wie vor Banken und Versicherungen in den Rachen geworfen werden, die die Anlagepolitik nach eigenem Gusto bestimmen. Und auch bei der Deutschlandrente bleiben die Sparer den Risiken des Kapitalmarkts ausgesetzt.
Linke Wirtschaftspolitik kann sich nicht für private Finanzprodukte und höhere Zinsen, d.h. für ein leistungsloses Einkommen aus Kapitalbesitz stark machen, egal wer von diesen Zinsen profitiert. Zinsen machen nur die reicher, die schon Geld haben. Wenn alle mit Erwerbseinkommen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssten, auch Selbständige und Beamte, wäre dies eine wirkliche Alternative für einen sicheren Lebensstandard und gegen Armut im Alter.
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