Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2017
Lufthansa im Aufstieg
von Violetta Bock

Die Kapitalseite denkt sich oft schöne Erzählungen aus, um zu begründen, warum der Niedriglohnsektor und die Flexibilisierung zunehmen müssen, damit Unternehmen ihre Profite und Gewinne steigern können.

Im Fall Air Berlin wird das nicht mal versucht. Hier kassieren ganz unverhohlen die Manager, und die Beschäftigten stehen vor dem Nichts. Die Wut und Fassungslosigkeit der Beschäftigten ist gut zu verstehen. Sie haben auf die extreme Schieflage oft deutlich hingewiesen. Videos, Facebookgruppen wie #ichbineinairberliner, Zeremonien bei den letzten Flügen machen deutlich, wie sehr die Kolleginnen und Kollegen ihren Job – und ja, selbst Air Berlin – geliebt haben.

Mitte September waren durch Krankmeldungen noch bis zu hundert Maschinen am Boden geblieben, just zur selben Zeit als die Verkäufe der Flotte anstanden. Jetzt wird Abschied gefeiert, wie Mitte November in Düsseldorf unter dem Motto «United we dance» mit 1600 Partygästen.

 

Was ist passiert?

Noch im Februar dieses Jahres rückte Thomas Winkelmann als Chef der Fluglinie an die Spitze. Laut einem Interview mit dem Merkur (17.11.17) sollte er die Fluglinie mit rund 8000 Beschäftigten im Auftrag des maßgeblichen Eigners Etihad Airways aus Saudi-Arabien für einen Investor aufpäppeln, der letztendliche Rückzug von versprochenen Überbrückungshilfen sei überraschend gekommen.

Doch manche munkeln, die Pleite sei absehbar gewesen. Mitte August meldete Air Berlin Insolvenz an, Lucas Flöther, Rechtsanwalt beim Insolvenzgericht Berlin-Charlottenburg, wird bestellt. Er kritisiert, dass die Kosten für die zahlreichen Sanierungs- und Restrukturierungsprogramme teilweise sogar die Einsparungen überstiegen. Um den Flugbetrieb aufrechtzuerhalten, gewährt die Bundesregierung einen Überbrückungskredit in Höhe von 150 Millionen Euro. Ryanair legt daraufhin als erste Beschwerde bei den Kartellbehörden ein, weil sie ein Komplott zwischen Bundesregierung, Lufthansa und Air Berlin wittert: «Diese künstlich erzeugte Insolvenz ist offensichtlich aufgesetzt worden, damit Lufthansa eine schuldenfreie Air Berlin übernehmen kann, und dies widerspricht sämtlichen Wettbewerbsregeln von Deutschland und der EU.»

Ende Oktober wird der Flugbetrieb eingestellt und am 1.November das Insolvenzverfahren eröffnet, die Zerschlagung wird fortgesetzt. 106 Flugzeuge werden übernommen, zum großen Teil von Lufthansa, ein kleiner Teil geht an Easyjet. Bis Ende des Jahres soll der Verkaufsprozess abgeschlossen sein und 250 Millionen einbringen. Bis dahin muss die EU-Kommission geprüft haben, ob die Lufthansa dadurch eine marktbeherrschende Stellung erlangt. Sollten Anfang Dezember Zweifel angemeldet werden, wird weiter geprüft. Laut Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager sei es gut möglich, dass Lufthansa einige Strecken abgeben muss.

Während sich Lufthansa die Filetstücke rauspickt, ist die Zukunft der Beschäftigten fraglich. Denn die werden nicht automatisch übernommen, viele wurden Anfang November freigestellt und erhalten weder Arbeitslosengeld noch Gehalt. Die Gewerkschaften ermutigen nun die Beschäftigten, Kündigungsschutzklagen anzustrengen, weil es de facto ein Betriebsübergang ist, bei dem nicht nur die Flotte, sondern auch die Arbeitsverhältnisse inklusive Kündigungsschutz an die neue Gesellschaft übergehen müssen. Lufthansa gibt sich großzügig und verweist auf die vielen Jobs, auf die man sich bewerben könne, doch in den letzten Wochen wurde deutlich, dass damit die österreichische Tochter Eurowings Europe gemeint ist.

In einem offenen Brief hatten Kollegen von Eurowings Europe die dortigen Arbeitsbedingungen öffentlich gemacht und gewarnt: niedrigere Löhne, keine Personalvertretung, kein Tarifvertrag. Sie schreiben: «Hier hat jeder Mitarbeiter andere Arbeitsverträge, es gibt Unterschiede beim Gehalt, bei der Anzahl der Urlaubs- und OFF-Tage und sogar bei der Art der Bezahlungsgrundlage … Unsere Geschäftsleitung hält solche Konditionen und Praktiken für ‹marktgerecht›, wir empfinden es als dunkelsten Frühkapitalismus.» Die Tarifkommission Air Berlin Kabine von Ver.di bedankte sich für die Warnung, sie stelle klar, dass keinesfalls Lufthansa-Verträge angeboten werden, sondern Airberliner dazu gedrängt werden sollen, sich bei der prekären Tochter zu bewerben.

Bis zu 4000 Beschäftigte können zu den beiden Unternehmen wechseln. Bei weiteren rund 4000 rechnet die Bundesagentur für Arbeit damit, dass sie sich arbeitslos melden werden. 7340 haben Anspruch auf Insolvenzgeld, das für drei Monate gezahlt wird. Die Nürnberger Behörde rechnet dafür mit zusätzlichen Ausgaben von etwa 55,2 Millionen Euro, hinzu kämen die Sozialversicherungsbeiträge. In die Transfergesellschaft für bis zu 650 Angehörige des Bodenpersonals, die von Air Berlin und dem Land Berlin finanziert wird, wollen bislang 260 Beschäftigte wechseln.

Viele sind wütend, wie Lufthansa es geschafft hat, den Konkurrenten auf Kosten der Gläubiger, der Mitarbeiter und der Steuerzahler zu übernehmen. Viele sind verunsichert, wie sie in dieser Situation handeln sollen, damit sie nicht getarnte Aufhebungsverträge unterschreiben. Thomas Winkelmann fließen unterdes aufgrund einer Bankgarantie bis 2021 4,5 Millionen Euro zu, die er in einem Vierjahresvertrag abgesichert hat.

Doch noch wird nicht aufgegeben. Am 22.11., leider kurz nach Redaktionsschluss, rufen Mitarbeiter von Air Berlin und Ver.di zu einer Demonstration auf unter dem Motte «Billiglöhne sind kein Glück, wir wollen unsere Jobs zurück». Sie wollen damit die Vorgänge rund um die Zerschlagung des Konzerns und die mutmaßlich schlechtere Arbeitsbedingungen bei den neuen Arbeitgebern aufzeigen. Insbesondere fordern sie zu prüen, ob ein Betriebsübergang vorliegt, da sich die Airberliner nach aktuellem Stand um ihre Jobs neu bewerben müssen. Gleichzeitig demonstrieren sie auch gegen die Ausflaggung zu Eurowings Europe nach Wien.

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