von Franco Turigliatto
Linke Kritiker der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ziehen gern eine Parallele zum Referendum, das die rechtsextreme Lega Nord in Italien am 22.Oktober in der Lombardei und in Venetien durchgeführt hat. Franco Turigliatto von Sinistra Anticapitalista findet, hier werden Äpfel mit Birnen verglichen.
Jede Gleichsetzung der demokratischen Bewegung für die Unabhängigkeit Kataloniens mit der politischen Dynamik in einigen Regionen Norditaliens, namentlich der Lombardei und Venetiens, geht an der Sache vorbei: Zu verschieden ist die Geschichte beider Länder, der Charakter der sozialen Bewegungen, ihr Verhältnis zur Zentralgewalt, die Stimmung in der Bevölkerung und die politischen Ziele der Kräfte, die «mehr Autonomie» fordern.
Der legitime Wunsch der katalanischen Bevölkerung nach nationaler Selbstbestimmung hat seine Wurzeln in der Art, wie sich der Spanische Staat herausgebildet hat, in der Unterdrückung der Nationen durch den Madrider Zentralstaat und die Franco-Diktatur, deren Erbe immer noch nachwirkt, in den harten Kämpfen der Vergangenheit, die ein Zusammengehörigkeitsgefühl und nationales Bewusstsein geschaffen haben, und schließlich auch in der Sprache.
Was Italien betrifft, so sei in erster Linie daran erinnert, dass die lombardische Bourgeoisie, die am höchsten entwickelt war, unwidersprochen im Bündnis mit der savoyardischen Monarchie im Piemont die Einigung Italiens im 19.Jahrhundert und die Proklamation des Königreichs Italien 1861 vorangetrieben hat. Fünf Jahre später hat sich auch Venetien angeschlossen, nachdem die Österreicher im sog. Deutschen Krieg von Preußen und Italien 1866 geschlagen worden waren.
Die Lombardei ist die Region, die gestern wie heute und mehr noch als das Piemont, den größten wirtschaftlichen, politischen und sozialen Nutzen aus der Einigung Italiens gezogen und die Regionen Süditaliens ausgebeutet hat. Heute ist die Lombardei die reichste Region Italien, und Mailand ist unbestritten ein internationales Finanzzentrum. Die großen Linien der italienischen Bourgeoisie werden hier ausgearbeitet, Regierung und Parlament in Rom ratifizieren sie nur.
Venetien, das in den 60er Jahren bedeutende Fabriken zählte, hat in den 80er und 90er Jahren eine starke und chaotische Entwicklung genommen. Es haben sich hier Myriaden von kleinen und mittleren Betrieben angesiedelt, in denen die Arbeitskraft sehr prekär und der Grad der Ausbeutung sehr hoch ist, einschließlich der Migranten. Es gibt hier auch einige bedeutende Exportunternehmen. In diesen Jahren hat sich eine regelrechte kapitalistische «Herrenrasse» herausgebildet, von kleinen und großen Kapitalisten, Herren und Herrchen, die besonders reaktionär sind, die Steuerflucht pflegen und ständig Steuererleichterungen fordern. Die Krise von 2008 hat sie stark gebeutelt, in den letzten zwei Jahren hat sich die Konjunktur für sie jedoch wieder erholt.
Zweitens darf man nicht vergessen, dass es in diesem Land eine reale Bewegung und eine konkrete Forderung nach Loslösung vom Rest Italiens nie gegeben hat – nur eine kurze Zeitlang hat die Lega Nord einmal diese Forderung erhoben, aber ohne Überzeugung; sie ist danach auch immer stärker zu einer «nationalen Partei» geworden und betreibt ihre Anliegen auch auf dieser Ebene – so sehr, dass sie die Bezeichnung «Nord» aus ihrem Namen tilgen will.
Der Zweck des Referendums
Die Referenden, die im Oktober in der Lombardei und in Venetien durchgeführt wurden, forderten lediglich mehr Autonomie vor allem in Steuerfragen und hinsichtlich der Verwendung der Einkünfte. Diese Autonomie ist bereits auf der Basis der geltenden Verfassung möglich.
Sinistra Anticapitalista hat deshalb geschrieben: «Das wirkliche Ziel des Referendums ist ein rein politisches: Maroni und Zaia (die Präsidenten der beiden Regionen) wollen den Kampf um mehr Autonomie, den der derzeitige Generalsekretär der Lega Lombarda faktisch schon fallen gelassen hatte, wieder aufwärmen, um bei den nächsten Regionalwahlen wiedergewählt zu werden. Im Fall einer entsprechend starken Wahlbeteiligung beim Referendum könnte Maroni sogar nach der Kandidatur für den Premierminister bei den kommenden Parlamentswahlen streben.»
Die Rechten, die die Losung ausgegeben hatten, «behalten wir unser Geld zu Hause», verfolgten somit das Ziel, Stimmen zu sammeln, um die kommenden nationalen und regionalen Wahlen im nächsten Jahr zu gewinnen. Die sozialdemokratische PD und die Fünf-Sterne-Bewegung, die beide in diesen Regionen nur schwach vertreten sind, haben das Referendum aus opportunistischen Gründen unterstützt, weil sie hofften, dadurch wieder mehr Zustimmung bei den Wählern zu holen.
Im Referendum ging es einzig und allein um weitere Steuererleichterungen (von denen die Unternehmen im Zusammenhang mit den Spargesetzen schon viele bekommen haben). Diese Sektoren der Bourgeoisie und die Parteien, die sie vertreten, sind in den Städten, Regionen und Gemeinden, in denen sie regieren, hervorgetreten durch Leistungskürzungen bei den öffentlichen Diensten, Finanzierung privater Gesundheitseinrichtungen auf Kosten des öffentlichen Gesundheitswesens, Großbauten, Verschwendung von Geldern und Korruption. Sie wollen unter den abhängig Beschäftigten die Illusion verbreiten, dass es ihnen besser ginge, wenn sie möglichst nicht zu Italien gehörten, wo sie doch hauptverantwortlich für die Prekarisierung und die Überausbeutung sind.
Sie streben an, den Solidarcharakter des Sozialstaats vollständig aufzulösen, die Arbeiter zu spalten und die Ungleichheit im Land weiter zu verschärfen. In bezug auf die Flüchtlinge ist ihre Politik besonders hart: sie wollen auf nationaler Ebene sogar die ganz schwachen Form einer Aufnahme von Flüchtlingen auflösen, die es noch gibt.
Das Referendum war also ein großangelegtes Täuschungsmanöver, keine große gesellschaftliche Bewegung für ein demokratisches Ziel, sondern ein politisches Manöver und eine reaktionäre Bewegung für den «Herr-im-Haus-Standpunkt», weniger Steuern und den Beibehalt ihrer Privilegien auf Kosten der abhängig Beschäftigten.
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