von Rolf Euler
China hat von den Internetkonzernen bzw. der NSA und anderen Datensammlern «gut» gelernt. Es will ein «Bonitätssystem» eingeführen, das auf der Gesamtkontrolle des Internets und seiner Nutzer beruht und letztlich zu einer Einstufung aller 1,4 Milliarden Bürger führen soll.
Schon länger kontrolliert die chinesische Regierung das Internet und was in China dort angeklickt werden kann. Von ausländischen Konzernen wird Wohlverhalten verlangt, was die Einhaltung der Restriktionen angeht. Über reale Kontroversen in China sollen sie kein Wort verlieren dürfen. Informationen, die der Partei nicht gefallen, werden gefiltert. Doch die jetzigen Pläne gehen weit darüber hinaus. Der zuständige Mann im Zentrum für elektronischen Handel wird mit folgenden Worten zitiert: «Das Ziel des Systems ist, eine gute soziale Ordnung und eine harmonische Entwicklung zu schaffen.»
Dazu wird ausgenutzt, dass China eine eigene Online-Plattform namens Weibo mit rund 700 Millionen Nutzern betreibt, dass mit den inzwischen 400 Millionen Smartphones über das Bezahlprogramm Alipay abgerechnet wird, sodass persönliche Datenspuren anfallen. Dahinter steht nicht nur die Regierung bzw. die Partei, sondern auch der Konzern Alibaba, der die Scores sammelt und zum Beispiel auf einer Datingplattform veröffentlicht. Damit ist die Überwachung gar nicht mehr auf Whatsapp oder Google angewiesen.
Hinzu kommt die Videoüberwachung in Städten, deren Daten für Bewertungen des öffentlichen Verhaltens herangezogen werden sollen. Bürger werden dann angeprangert, wenn sie zu oft bei Rot über die Straße gegangen sind und dabei von Kameras erfasst wurden, die Gesichter erkennen können. Die Handelsplattform Alibaba will das Einkaufsverhalten mit «Sesame Credit» protokollieren lassen und zu einem «Score» zusammenfassen, also in einer Bonusklasse wie bei einer Rating-Agentur.
In diese Bewertung soll zusätzlich ein persönlicher Zuverlässigkeitsindex einfließen. Stromrechnung pünktlich bezahlt? Verträge eingehalten? Nur Spiele im Internet gespielt, womöglich Gewalt, Pornografie und Opposition? Gerichtsbeschlüsse befolgt? Lesestoff der Partei benutzt? Kritik in den Medien geübt? Politische Aktivitäten? Das alles soll erfasst werden, als «Vertrauenswürdigkeitsnote» allen beteiligten Institutionen und Organisationen zur Verfügung stehen und Menschen mit niedriger Bewertung von Vorteilen ausschließen.
«Das System erhöht den Preis für unrechtmäßiges Verhalten», sagt der chinesische Experte.
Die Regierung will in den nächsten Jahren also Orwells «Großen Bruder» in die Realität umsetzen, wie Pilotprojekte in einzelnen Städten und Wirtschaftszweigen schon zeigen. Totale Kontrolle per Internet – da schwindet die Hoffnung auf eine demokratiefördernde Wirkung des «WWW».
«Wir müssen bescheiden und umsichtig sein, uns vor Überheblichkeit und Unbesonnenheit in acht nehmen und mit Leib und Seele dem chinesischen Volk dienen», sagte Mao 1945. Wir wissen, dass es – wenn es denn jemals Realität war – damit lange vorbei ist. Die Verhältnisse in China sind noch nicht mal eine Karikatur auf eine kommunistische Gesellschaft, wie sie sich Marx vorgestellt hat.
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